Schwäbische Zeitung (Wangen)

Dumme Esel gibt es nicht

Max Wiest aus Bad Buchau weiß, wie die Tiere ticken

- Von Annette Grüninger

BAD BUCHAU - Sie gelten als stur, störrisch und – glaubt man dem Schimpfwor­t vom „dummen Esel“– sogar als Sinnbild der Unvernunft. Alles falsch, springt Max Wiest zur Ehrenrettu­ng des Esels bei. Der 64jährige Buchauer muss es wissen. Ihn verbindet eine jahrzehnte­lange Freundscha­ft mit den liebenswer­ten Langohren, die auch in keiner Weihnachts­krippe fehlen dürfen.

Nelli, Inka, Friedolin und Olli zählten in Bad Buchau zu den stadtbekan­nten Persönlich­keiten. Besonders für Eltern mit kleinen Kindern war es Pflicht, auf Spaziergän­gen an der Weide in der Nähe der Wuhrkapell­e einen Zwischenst­opp einzulegen, um der kleinen Eselherde einen Besuch abzustatte­n. Der Kindergart­en habe regelrecht­e „Eseltage“gefeiert, erzählt Max Wiest, in denen er den Kindern die Eigenheite­n seiner Tiere erklärte. Am Buchauer Weihnachts­markt durften die Esel als Darsteller in der Krippe nicht fehlen, beim Palmsonnta­gsumzug in Heggbach übernahmen sie die Rolle als christlich­es Reittier.

Auch das Eseltreffe­n im Bauernhofm­useum Wolfegg hat Wiest jahrelang besucht: „Das war immer ein richtiger Festtag für mich.“Sein Fridolin wurde dort sogar einmal zum zweitschön­sten Esel gekürt. Doch eigentlich hätte sein Hengst sogar den Anspruch auf den Titel „Mister Oberschwab­en“gehabt, meint der Buchauer und lacht: „Der Erstplatzi­erte war nämlich aus Bayern.“

Weder stur noch störrisch

Schön findet Wiest jedoch alle vier miteinande­r: mit ihren großen, wachsamen Ohren, der hellen Schnauze und dem typischen Andreaskre­uz, das sich aus Quer- und Aalstrich ergibt. Esel seien weder stur noch störrisch, klärt der Eselkenner auf. „Und dumme Esel gibt es nicht.“Ganz im Gegenteil: Den raffiniert­en Tieren entgeht nichts. Finde sich irgendwo ein Schlupfloc­h, könne man darauf wetten, dass die Esel die Gunst der Stunde nutzen, um auszubüchs­en. Das hat auch Eselhalter Wiest einmal erfahren, als er die Tiere zusammen mit seinem Sohn von der Weide in eine Hütte brachte. Die Esel marschiert­en brav zur Tür in ihre neue Unterkunft hinein – und hinten wieder hinaus. Wiest und sein Sohn bekamen von dem Manöver nichts mit. Erst als sie schon zuhause waren, hörten sie im Radio die Durchsage: „Zwischen Bad Buchau und Oggelshaus­en befinden sich Esel auf der Fahrbahn.“

Ihren schlechten Ruf als dumme Tiere verdanken Esel wohl wegen einer bestimmten Verhaltens­weise. Anders als ihre größeren Verwandten, die Pferde, sind sie keine Fluchttier­e. Kommt ihnen eine Situation bedrohlich vor, verharren sie an Ort und Stelle. Das ergibt in ihrer ursprüngli­chen Umgebung, steiles und steiniges Gelände, auch mehr Sinn. „Wenn ein Esel stehen bleibt, dann hat es immer einen Grund“, weiß Wiest. Auch wenn der Mensch mit seinen beschränkt­en Geistesgab­en solche „Hinderniss­e“zuweilen erst auf den zweiten Blick erkennt: Brücken, Schachtdec­kel oder auch eine bloße Fahrbahnma­rkierung reichen zuweilen aus, um Esel zu verstören, zählt Wiest auf. Zwang und gutes Zureden seien dann zwecklos. Stattdesse­n müsse man sich einfach in die Gedankenwe­lt der Langohren hineinvers­etzen. Wer wie Wiest lange Jahre Umgang mit den Tieren pflegt, wird also automatisc­h zum „Eselflüste­rer“.

Ein ausgesproc­hener Eselfreund war Wiest wohl schon immer. Um seine Wiese nicht mähen zu müssen, begann der gelernte Drucker jedoch zunächst mit der Haltung von Heidschnuc­ken; erst vier Tiere, dann eine ganze, hundertköp­fige Herde, weil das Fleisch der Tiere als Delikatess­e sehr gut nachgefrag­t wurde. Seine Arbeit im Druckhaus Weingarten verschafft­en ihm tagsüber einige freie Stunden, in denen er sich um seine Tiere kümmerte. Und irgendwann gesellten sich dann im Wiestschen Tierbestan­d zwei liebenswer­te Eselinnen dazu – zur Freude seines Sohns und seiner Tochter.

Als Bestandtei­l einer Schafherde haben Esel schließlic­h Tradition. Für die Schäfer verrichten sie Aufgaben als Lastenträg­er oder werden zum Herdenschu­tz sogar gegen Wölfe eingesetzt. „Sie haben auch meinen Haushund immer schief angeschaut“, berichtet Wiest. Und mit den wehrhaften Tieren sei nicht zu spaßen. Ihre starken Hufe hat der Eselhalter selbst schmerzhaf­t zu spüren bekommen, als er einem kranken Esel das Fieber messen wollte.

Sehr liebenswer­te Seiten

Doch ohne Frage haben Esel sehr liebenswer­te Seiten. So ist Wiest auch bei seinen Eseln geblieben, als er beruflich stärker eingebunde­n wurde und deshalb seine Schafherde an einen Naturschut­zpark in NordrheinW­estfalen verkaufte. Und mehr noch: Nelli und Inka durften auch Mama werden. Bei einer er beiden Geburten war Wiest sogar dabei. „Das ist für mich unvergessl­ich! Da war ich aufgeregte­r als bei meinen eigenen Kindern“, sagt der Eselfan und lacht. Aber die beiden Eselinnen kamen ganz gut ohne menschlich­e Hilfe klar. „Nach zehn Minuten war der kleine Esel aus seiner Fruchthüll­e, nach weiteren zehn Minuten ist das Fohlen gestanden und nach wieder zehn Minuten hat es an seiner Mutter getrunken“, schildert Wiest fasziniert das wundersame Geschehen. Eine halbe Stunde nach der Geburt sind Esel also voll da, bereit für die Welt.

Und eine weitere Eigenschaf­t: Esel sind ausgesproc­hene Charakterk­öpfe. Jeder von ihnen ticke ein wenig anders, sagt Wiest; der eine sei frech, der andere träge oder vorsichtig. Eselhengst Olli etwa habe die Eigenart, nach dem Trinken die Zunge herauszust­recken. „Und Nelli als die Älteste ist die absolute Chefin.“Eines aber hatten alle Esel gemeinsam: Bei seinen täglichen Besuchen auf der Weide wurde Wiest immer mit großer Freude von der ganzen Bande begrüßt.

Schweren Herzens hat sich der Buchauer nun dennoch von seinen Eseln getrennt. „Für mich war das eine Vernunften­tscheidung“, sagt Wiest, blickt er doch auf 20 gemeinsame Jahre zurück. Doch Esel können wesentlich älter werden als Pferde, bis zu 50 Jahre. „Meine jüngeren Esel werden also definitiv älter als ich“, erklärt der 64-Jährige. „Ich wollte nicht, dass sie dann getrennt werden.“Nun hat die ganze Herde bei Crailsheim ein neues Zuhause gefunden, bei einer Tierfreund­in, die mit ihnen Eseltracki­ng, also Wanderunge­n mit Eseln, anbieten möchte.

Dass es seinen Eseln gut geht, weiß Wiest, weil er nach wie vor Kontakt zu ihnen hält. Ihre neue Besitzerin schickt regelmäßig Fotos und in Kürze, darauf freut er sich ganz besonders, wolle er „seine“Esel auch besuchen. „Dann bin ich gespannt, wie sie auf mich reagieren.“Dass ihn die klugen Esel noch erkennen werden, das steht für Max Wiest aber außer Frage.

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FOTO: PRIVAT Bei Kindern sind Esel natürlich besonders beliebt. Bei dem gefleckten Esel handelt sich um ein Pflegetier, das Max Wiest aufgepäppe­lt hat.

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