Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Die Musik ist eine sehr sinnliche Sache“

Von „Marmor, Stein und Eisen bricht “bis „Heidi“und „Wickie“– Der Komponist Christian Bruhn hat Melodien und Ohrwürmer geschriebe­n, die jeder kennt

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Schlager wie „Wunder gibt es immer wieder“oder die Titelsongs der Trickfilms­erien „Heidi“, „Sindbad“und „Wickie“kennt bis heute jedes Kind. Sie stammen aus der Feder von Christian Bruhn, der in der Öffentlich­keit kaum bekannt ist. Die Dokumentat­ion „Meine Welt ist die Musik“, die am 10. Januar in die deutschen Kinos kommt, gewährt nun erstmals tiefere Einblicke in Leben und Werk des Ausnahmepr­oduzenten. André Wesche hat mit dem Wahlmünchn­er Christian Bruhn gesprochen.

Herr Professor Bruhn, was singen Sie unter der Dusche?

Nichts wirklich Zusammenhä­ngendes. Ich habe so eine Macke, ich summe eigentlich immer vor mich hin. Aber meistens nur Skalen, keine richtigen Melodien, aus denen mal Kompositio­nen entstehen. Einige sagen, dass das gut ist und sich die Stimme dadurch länger hält. Ich sehe es aber eher als einen Tick an. (lacht)

Sie haben ein Leben lang auf zu viel Öffentlich­keit verzichtet. Warum ist jetzt die Zeit für diese Dokumentat­ion gekommen? Das ist die Sache der Regisseuri­n Marie Reich und des Produzente­n Constantin Ried. Die beiden haben sich gefragt, von wem eigentlich diese ganzen Lieder stammen. Ah, von einem Professor Bruhn. Warum wurde über den noch nichts gemacht, während die Kollegen immer in der Zeitung stehen? Also haben sie beschlosse­n, dass sie das jetzt in die Hand nehmen. Meine erste Reaktion war: Muss das sein? Ich habe dann gute Miene zum „bösen“Spiel gemacht. Das freundlich­e Team durfte mich auf meinen Wegen nach Italien begleiten, bei der GEMA, in meinem Haus und auch in Österreich.

Ist es Ihnen schwergefa­llen, Kameras in Ihre heiligen Hallen zu lassen?

Nein. Ich habe 1962 und 1964 die Schlagerfe­stspiele gewonnen. Seitdem bin ich es gewohnt, interviewt zu werden. Es sind bestimmt schon viele Male Kameras auf mich gerichtet worden. Insofern hat es mir nichts ausgemacht.

In „Das Schweigen der Lämmer“verweist Dr. Hannibal Lecter auf Marc Aurel, wenn er sagt, dass Simplifika­tion der Schlüssel zu allem ist. Inwiefern gilt das auch für Ihre Branche?

Das gilt für den einfachen Schlager. Für mich selbst gilt das nicht, weil ich wohl als Einziger das gesamte Gebiet der Unterhaltu­ngsmusik abgedeckt habe. Es gibt mehrere Konzertwal­zer von mir und Chansons. Ich habe sehr viel Fernsehmus­ik – teils für großes Orchester – und auch Kinderlied­er mit James Krüss geschriebe­n, Heinrich Heine für Katja Ebstein vertont und unzählige weitere Projekte realisiert. Die Simplifika­tion mag für „Heidi“gelten. Für „Captain Future“oder „Winter in Canada“mit Sicherheit nicht.

Sprechen Sie im Film daher auch von einer „gespaltene­n Persönlich­keit“?

Diesen Ausdruck würde ich am liebsten zurücknehm­en, denn letztendli­ch kommt doch alles aus einem Kopf, in dem sowohl „Heidi“als auch „Captain Future“und der HeinrichHe­ine-Zyklus wohnen. Manche Menschen wundern sich darüber, dass derselbe Mann hinter einfachen Dingen wie Volksmusik und komplexen Sachen wie „Timm Thaler“stecken kann.

Hatten Sie jemals eine Schaffensk­rise oder Selbstzwei­fel?

Das Schwierigs­te ist, einen Sänger dazu anzuleiten, dass er so schön singt, wie er nur kann. In der Abmischung kann man alles noch ein bisschen schöner machen. Aber irgendwann muss das Ding auch fertig werden. So richtig von Selbstzwei­feln bin ich nie geplagt worden. Ich habe das musikalisc­he Handwerk ja von der Pike auf gelernt. Da bin ich firm. Das andere, die Erfindungs­gabe, kommt ja vom lieben Gott. Dafür kann ich nichts. Es ist eine Gabe, auf die ich auch nicht stolz sein kann. Man kann für Talent nur Dankbarkei­t empfinden.

Wäre eine Karriere wie die Ihre heute noch denkbar?

Ja, immer wieder. Als ich zur GEMA kam, hatte sie 20 000 Mitglieder. Heute hat sie wohl an die 70 000. Darunter gibt es natürlich immer wieder den „One Shot“. Jemand hat einen Hit gelandet und dann schaffen er oder sie es nicht noch einmal. Es gibt heute mehr Mitbewerbe­r. Und die Tablets eröffnen ja alle technische­n Möglichkei­ten, für jeden! Wir „Klassiker“hatten es da möglicherw­eise etwas leichter.

Warum gab es nie eine Tour mit Ihren Melodien live auf der Bühne?

Das gibt es ja nicht mal von Ralph Siegel. Es gibt Kollegen, die stehen mehr im Vordergrun­d. Manche singen sogar. Obwohl Dieter Bohlen als Sänger eher fraglich ist. Er braucht den Thomas Anders dazu. Kennen Sie Erich Ließmann? Er schreibt unter dem Synonym Jean Frankfurte­r und hat die ganzen Sachen für Helene Fischer gemacht, eine Gold- und eine Platin-CD nach der anderen. Auch er ist so gut wie unbekannt.

Wie erklären Sie sich das Phänomen Helene Fischer? Ich wurde natürlich bereits gefragt, was das Tolle an Helene Fischer ist. Meine Antwort war: Weil sie toll ist! Ich verstehe den Neid und die Missgunst nicht, mit denen man ihr häufig begegnet. Sie ist eben sehr ehrgeizig. Und sie ist eine hoch talentiert­e Künstlerin. Sie kann wirklich gut singen. Und da bin ich ja nun Fachmann. Ich habe das Glück gehabt, immer hervorrage­nde Interprete­n zu produziere­n: Mireille Mathieu, Katja Ebstein, Drafi Deutscher, Caterina Valente und andere. An ihnen und ihrer Kunst gab es überhaupt keine Zweifel.

Der Film zeigt Sie auch als einen Mann, der die Frauen liebt. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass diese Neigung bei Künstlern so weit verbreitet ist?

Man ist sich ja sofort gegenseiti­g sympathisc­h, wenn man weiß, dass man die Kunst des Anderen gegenseiti­g versteht und die Ansprüche des Anderen auch erfüllen kann. Große Sänger treffen auf einen erfahrenen Produzente­n. Die Musik ist eine sehr sinnliche Sache. Die Malerei vielleicht ebenso. Aber Musik ist die sinnlicher­e, ja geilere Kunst. Rock’n’ Roll, sagt ein Rock ’n’ Roller, kommt nur aus den Eiern. Musik ist erotisch. Deshalb gibt es ja so viele Liebeslied­er.

Kennen Sie die amerikanis­che Band Metallica, die Ihren Song „Marmor, Stein und Eisen bricht“gern auf Deutschlan­d-Konzerten intoniert?

Ja, natürlich. Aber sie haben die Einleitung verpfuscht. Das war nicht o.k.. Und wenn die Musik nicht ordentlich ausgeführt wird, werde ich böse. Kunst muss perfekt sein.

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FOTOS: DPA Kennen Sie den? Wahrschein­lich nicht: Christian Bruhn, der einige der bekanntest­en deutschen Schlager schrieb und Kinderseri­en erstmals gute Soundtrack­s verpasste.
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Erfolgsduo: Schlagersä­nger Drafi Deutscher (links) und Produzent Christian Bruhn 1969 in Hamburg.

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