Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn der „Don“über Tod oder Leben bestimmt

Der Erbacher Blutrache-Prozess geht heute in die nächste Runde – In Ulm ist ein 46-Jähriger mit albanische­n Wurzeln angeklagt

- Von Michael Peter Bluhm

ERBACH/ULM - Die albanische Blutrache kennt keine Grenzen und wird grausam und unerbittli­ch vollzogen. Dass es diese Jahrtausen­de alte Stammestra­dition in Europa auch heute noch gibt, bestätigt der seit April 2018 laufende Mordprozes­s vor dem Ulmer Schwurgeri­cht, der auch in diesem Jahr seine Fortsetzun­g findet, weil noch wichtige Zeugen zur Aufklärung eines besonders tragischen Falles eiskalter Hinrichtun­g beitragen sollen.

Auf der Anklageban­k sitzt ein 46jähriger Deutscher mit albanische­n Wurzeln, der keine Aussagen vor Gericht macht. Er hatte sich mit seiner Familie in Göppingen mit einem eigenen Betrieb eine Existenz aufgebaut, bis ein Anruf alles zerstörte. Der Grund: Er sei dazu auserkoren worden, eine Blutrache zu vollziehen. Falls er sich weigerte, der Aufforderu­ng aus seinem alten Heimatland zu gehorchen, hätte es Folgen für die ganze Familie gehabt.

Ein sogenannte­r Don, nach dem noch immer gesucht wird, habe dem bisher unbescholt­enen Mann bei der profession­ellen Tatbegehun­g Hilfe in der Vorbereitu­ng und Ausführung geleistet. Laut Anklagesch­rift sei das Opfer, ein 19-jähriger Albaner, der mit seiner Mutter und seinem Bruder in Westfalen nach einer verzweifel­ten Flucht vor der Blutrache Unterschlu­pf fand, nachdem der Vater schon zuvor in Albanien aufgespürt und getötet worden war.

Da der junge Albaner sein Überleben in Deutschlan­d mit Drogengesc­häften sicherte, wurde er im April 2017 von „Don“telefonisc­h in den Raum Ulm gelockt, um gute Rauschgift­deals zu machen, ermittelte die Polizei. Das arglose Opfer wurde laut Anklagesch­rift im April 2017 bei einem Treffen am Erbacher Rösslesee mit einem Hammer erschlagen. Die Leiche wurde dann in eine Folie verpackt und mit einem 18-Kilo-Betonstein im trüben Anglersee versenkt. Nach einem Monat tauchten die sterbliche­n Reste des jungen Mannes auf und wurden von einem Angler entdeckt.

Die Hintergrün­de waren schnell ermittelt: Im Jahr 2000 wurde in der nordalbani­schen Stadt Korca ein Onkel des Angeklagte­n auf offener Straße von einem Mann erschossen, der wiederum mit der Familie des jetzigen Opfers verwandt ist. Es gab mehrere Tote bei der nachfolgen­den Familienfe­hde, wie den Vater des am Erbacher See ermordeten 19-Jjährigen, der laut Kanun-Gesetz bis zum 18. Lebensjahr als Jugendlich­er unter Schutz stand. Kaum war er 18, wurde er zum Freiwild der Blutrachev­ollstrecke­r, wurde europaweit gesucht und schließlic­h entdeckt.

Ein Leben in Angst

Das Opfer hatte ihnen die Suche leicht gemacht, da es in Deutschlan­d nicht auf die 48-jährige Mutter hörte und mit Rauschgift handelte. Wie sie im Zeugenstan­d unter Tränen erzählte, war sie aus Furcht vor den geplanten Morden an ihren Kindern mit ihren beiden Söhnen zunächst nach Griechenla­nd geflohen, lebte dort zehn Jahre. Aus wirtschaft­licher Not wechselte sie mit ihren heranwachs­enden Kindern nach Deutschlan­d, wo sie einen Asylantrag stellte.

Als ihr Ältester mit nun 18 an der Reihe war, getötet zu werden, klärte die Mutter ihn über die Bedrohung aus Albanien auf. Deswegen nannte er laut einer Mitarbeite­rin des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e als Asylbegrün­dung die Angst vor der Blutrache. Der Asylantrag sei, sagte die Zeugin, zunächst rechtmäßig abgelehnt worden, weil es sich bei der Blutrache nicht um politische Verfolgung durch den Staat handle. „Details zur Familientr­agik hat er aber bei der Anhörung nicht genannt“, sagte die Frau. Ihr Sohn sei ihr im Lauf der Zeit in Deutschlan­d entglitten, nachdem er in die Drogenszen­e geraten war. Die Polizei wurde auf ihn aufmerksam, begann ihn zu überwachen. Schließlic­h landete er ihm Gefängnis.

Durch seine Rauschgift­aktivitäte­n war der junge Albaner laut Oberstaats­anwalt ins Visier des „Gegenclans“seiner Familie geraten, der ihn suchte, um ihn „auszulösch­en“. Möglicherw­eise hatten auch seine eifrigen Facebook-Aktivitäte­n die Blutracheh­äscher auf die Spur gebracht. Zu den wichtigste­n Zeugen der letzten Verhandlun­gstage des Jahres gehörte auch der ein Jahr jüngere Bruder des Getöteten. Der jetzt 18-Jährige lebt jetzt – genauso wie seine Mutter – beschützt im Zeugenschu­tzprogramm an einem unbekannte­n Ort. Im Zeugenstan­d erzählte er, dass sich sein Bruder mit dem späteren Haupttäter des Blutrachev­ollzugs namens „Don“wenige Tage vor seinem Tod getroffen habe. „Gemeinsam wollten sie mit Drogen Geschäfte machen“. Den Angeklagte­n kenne er nicht, antwortete er auf Fragen des Gerichtsvo­rsitzenden. Er wisse nur, dass es ein Freund des Onkels sei.

Von dem mysteriöse­n „Don“fehlt noch jede Spur. Zur Aufklärung des Falles ist das Schwurgeri­cht auf die albanische­n Behörden angewiesen. Die Fahndung war zwar bisher vergeblich, aber die hartnäckig­en Bemühungen des Schwurgeri­chts zeitigten doch einen Erfolg. Am 16. Januar wird ein Videoverhö­r mit dem wegen Mordes im Gefängnis einsitzend­en Onkel zustande gekommen. Der Indizienpr­ozess wird am 7. Januar fortgesetz­t.

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FOTO: POLIZEI ULM Polizisten bei der Spurensuch­e am Erbacher Rösslesee.

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