Wenn der „Don“über Tod oder Leben bestimmt
Der Erbacher Blutrache-Prozess geht heute in die nächste Runde – In Ulm ist ein 46-Jähriger mit albanischen Wurzeln angeklagt
ERBACH/ULM - Die albanische Blutrache kennt keine Grenzen und wird grausam und unerbittlich vollzogen. Dass es diese Jahrtausende alte Stammestradition in Europa auch heute noch gibt, bestätigt der seit April 2018 laufende Mordprozess vor dem Ulmer Schwurgericht, der auch in diesem Jahr seine Fortsetzung findet, weil noch wichtige Zeugen zur Aufklärung eines besonders tragischen Falles eiskalter Hinrichtung beitragen sollen.
Auf der Anklagebank sitzt ein 46jähriger Deutscher mit albanischen Wurzeln, der keine Aussagen vor Gericht macht. Er hatte sich mit seiner Familie in Göppingen mit einem eigenen Betrieb eine Existenz aufgebaut, bis ein Anruf alles zerstörte. Der Grund: Er sei dazu auserkoren worden, eine Blutrache zu vollziehen. Falls er sich weigerte, der Aufforderung aus seinem alten Heimatland zu gehorchen, hätte es Folgen für die ganze Familie gehabt.
Ein sogenannter Don, nach dem noch immer gesucht wird, habe dem bisher unbescholtenen Mann bei der professionellen Tatbegehung Hilfe in der Vorbereitung und Ausführung geleistet. Laut Anklageschrift sei das Opfer, ein 19-jähriger Albaner, der mit seiner Mutter und seinem Bruder in Westfalen nach einer verzweifelten Flucht vor der Blutrache Unterschlupf fand, nachdem der Vater schon zuvor in Albanien aufgespürt und getötet worden war.
Da der junge Albaner sein Überleben in Deutschland mit Drogengeschäften sicherte, wurde er im April 2017 von „Don“telefonisch in den Raum Ulm gelockt, um gute Rauschgiftdeals zu machen, ermittelte die Polizei. Das arglose Opfer wurde laut Anklageschrift im April 2017 bei einem Treffen am Erbacher Rösslesee mit einem Hammer erschlagen. Die Leiche wurde dann in eine Folie verpackt und mit einem 18-Kilo-Betonstein im trüben Anglersee versenkt. Nach einem Monat tauchten die sterblichen Reste des jungen Mannes auf und wurden von einem Angler entdeckt.
Die Hintergründe waren schnell ermittelt: Im Jahr 2000 wurde in der nordalbanischen Stadt Korca ein Onkel des Angeklagten auf offener Straße von einem Mann erschossen, der wiederum mit der Familie des jetzigen Opfers verwandt ist. Es gab mehrere Tote bei der nachfolgenden Familienfehde, wie den Vater des am Erbacher See ermordeten 19-Jjährigen, der laut Kanun-Gesetz bis zum 18. Lebensjahr als Jugendlicher unter Schutz stand. Kaum war er 18, wurde er zum Freiwild der Blutrachevollstrecker, wurde europaweit gesucht und schließlich entdeckt.
Ein Leben in Angst
Das Opfer hatte ihnen die Suche leicht gemacht, da es in Deutschland nicht auf die 48-jährige Mutter hörte und mit Rauschgift handelte. Wie sie im Zeugenstand unter Tränen erzählte, war sie aus Furcht vor den geplanten Morden an ihren Kindern mit ihren beiden Söhnen zunächst nach Griechenland geflohen, lebte dort zehn Jahre. Aus wirtschaftlicher Not wechselte sie mit ihren heranwachsenden Kindern nach Deutschland, wo sie einen Asylantrag stellte.
Als ihr Ältester mit nun 18 an der Reihe war, getötet zu werden, klärte die Mutter ihn über die Bedrohung aus Albanien auf. Deswegen nannte er laut einer Mitarbeiterin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge als Asylbegründung die Angst vor der Blutrache. Der Asylantrag sei, sagte die Zeugin, zunächst rechtmäßig abgelehnt worden, weil es sich bei der Blutrache nicht um politische Verfolgung durch den Staat handle. „Details zur Familientragik hat er aber bei der Anhörung nicht genannt“, sagte die Frau. Ihr Sohn sei ihr im Lauf der Zeit in Deutschland entglitten, nachdem er in die Drogenszene geraten war. Die Polizei wurde auf ihn aufmerksam, begann ihn zu überwachen. Schließlich landete er ihm Gefängnis.
Durch seine Rauschgiftaktivitäten war der junge Albaner laut Oberstaatsanwalt ins Visier des „Gegenclans“seiner Familie geraten, der ihn suchte, um ihn „auszulöschen“. Möglicherweise hatten auch seine eifrigen Facebook-Aktivitäten die Blutrachehäscher auf die Spur gebracht. Zu den wichtigsten Zeugen der letzten Verhandlungstage des Jahres gehörte auch der ein Jahr jüngere Bruder des Getöteten. Der jetzt 18-Jährige lebt jetzt – genauso wie seine Mutter – beschützt im Zeugenschutzprogramm an einem unbekannten Ort. Im Zeugenstand erzählte er, dass sich sein Bruder mit dem späteren Haupttäter des Blutrachevollzugs namens „Don“wenige Tage vor seinem Tod getroffen habe. „Gemeinsam wollten sie mit Drogen Geschäfte machen“. Den Angeklagten kenne er nicht, antwortete er auf Fragen des Gerichtsvorsitzenden. Er wisse nur, dass es ein Freund des Onkels sei.
Von dem mysteriösen „Don“fehlt noch jede Spur. Zur Aufklärung des Falles ist das Schwurgericht auf die albanischen Behörden angewiesen. Die Fahndung war zwar bisher vergeblich, aber die hartnäckigen Bemühungen des Schwurgerichts zeitigten doch einen Erfolg. Am 16. Januar wird ein Videoverhör mit dem wegen Mordes im Gefängnis einsitzenden Onkel zustande gekommen. Der Indizienprozess wird am 7. Januar fortgesetzt.