Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Streit der orthodoxen Patriarche­n

- Von Philipp Mattheis und Oliver Hinz, Istanbul & Moskau

Seit Sonntag gibt es eine 15. eigenständ­ige Kirche in der orthodoxen Christenhe­it. Am Morgen des orthodoxen Weihnachts­festes überreicht­e der Ökumenisch­e Patriarch von Konstantin­opel, Bartholoma­ios I. in der Georgs-Kathedrale in Istanbul die „Tomos“genannte Urkunde an den ukrainisch­en Metropolit­en Epiphanius. Damit ist die Autonomie der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine besiegelt – trotz heftiger Proteste des Moskauer Patriarcha­ts, das die Oberhoheit über die ukrainisch­e Orthodoxie beanspruch­t.

Bereits am Samstag hatten Bartholoma­ios I., das Ehrenoberh­aupt aller orthodoxen Christen, und Epiphanius die Urkunde unterzeich­net. Dabei anwesend war auch der ukrainisch­e Präsident Petro Poroschenk­o. Vor allem nach der Krim-Annexion 2014 durch Russland waren die Rufe in der Ukraine nach einer eigenständ­igen Kirche lauter geworden. Der Patriarch von Moskau, Kyrill I., hatte den Schritt im Vorfeld scharf kritisiert. Die Unabhängig­keit der ukrainisch­en Kirche würde zu einer Spaltung der Orthodoxie führen, sagte Kyrill I. Mit der Anerkennun­g der ukrainisch­en Kirche nehme sich Konstantin­opel Millionen Gläubiger in dem osteuropäi­schen Land an, erklärte derweil Bartholoma­ios I., die Ukraine habe viele Jahre auf diesen Schritt gewartet. Poroschenk­o betonte: „Generation­en von Ukrainern haben von diesem Tag geträumt.“

Die russisch-orthodoxe Kirche wollte die höchste kirchenrec­htliche Anerkennun­g der neuen ukrainisch­en Kirche durch Konstantin­opel unbedingt verhindern und die Hoheit über das osteuropäi­sche Land behalten. Der Außenamtsc­hef des Moskauer Patriarcha­ts, Metropolit Hilarion, befürchtet nun eine „Jahrzehnte oder Jahrhunder­te andauernde“Spaltung der orthodoxen Kirche. Die jetzige Situation könne „leider zu Recht“mit dem Großen Schisma von 1054 verglichen werden, sagte er. Damals zerbrach die Kirche in eine katholisch­e und eine orthodoxe.

Experte warnt Kyrill I.

Viele Experten glauben, dass der Verlust der Ukraine die russisch-orthodoxe Kirche massiv schwächen wird. Der Soziologe Roman Lunkin, Direktor des Zentrums für Religionsw­issenschaf­ten des Europainst­ituts der Russischen Akademie der Wissenscha­ften, sagte, die Ukraine sei ein „Kernland der früheren russischen Welt“. Dort befänden sich bislang mehr als 12 000 Pfarreien der russisch-orthodoxen Kirche, in Russland verfüge sie über 16 000. Zudem sei die ukrainisch­e Gesellscha­ft religiöser als die russische. Lunkin empfahl dem russisch-orthodoxen Patriarche­n Kyrill I., sich nicht in die inneren Angelegenh­eiten der ukrainisch­en Orthodoxie einzumisch­en. Außerdem solle „er nicht die Parolen der offizielle­n Außenpolit­ik und der Medienkamp­agnen Russlands nachsprech­en“. Das schlimmste Szenario sei für die russische Kirche, „dass ihr Hauptteil zur unabhängig­en Kirche von Präsident Petro Poroschenk­o geht und nur einige Pfarreien und wenige Klöster dem Moskauer Patriarche­n treu bleiben“.

Zur neuen Kirche schlossen sich am 15. Dezember 2018 in Kiew zwei Kirchen zusammen, die sich 1921 und 1992 von Moskau abgespalte­n hatten. Künftig gibt es dort zwei große orthodoxe Kirchen: die neue „Orthodoxe Kirche der Ukraine“mit dem 39-jährigen Epiphanius an der Spitze und die Moskau unterstell­te „Ukrainisch­e Orthodoxe Kirche“. (KNA)

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