Der Streit der orthodoxen Patriarchen
Seit Sonntag gibt es eine 15. eigenständige Kirche in der orthodoxen Christenheit. Am Morgen des orthodoxen Weihnachtsfestes überreichte der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I. in der Georgs-Kathedrale in Istanbul die „Tomos“genannte Urkunde an den ukrainischen Metropoliten Epiphanius. Damit ist die Autonomie der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine besiegelt – trotz heftiger Proteste des Moskauer Patriarchats, das die Oberhoheit über die ukrainische Orthodoxie beansprucht.
Bereits am Samstag hatten Bartholomaios I., das Ehrenoberhaupt aller orthodoxen Christen, und Epiphanius die Urkunde unterzeichnet. Dabei anwesend war auch der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Vor allem nach der Krim-Annexion 2014 durch Russland waren die Rufe in der Ukraine nach einer eigenständigen Kirche lauter geworden. Der Patriarch von Moskau, Kyrill I., hatte den Schritt im Vorfeld scharf kritisiert. Die Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche würde zu einer Spaltung der Orthodoxie führen, sagte Kyrill I. Mit der Anerkennung der ukrainischen Kirche nehme sich Konstantinopel Millionen Gläubiger in dem osteuropäischen Land an, erklärte derweil Bartholomaios I., die Ukraine habe viele Jahre auf diesen Schritt gewartet. Poroschenko betonte: „Generationen von Ukrainern haben von diesem Tag geträumt.“
Die russisch-orthodoxe Kirche wollte die höchste kirchenrechtliche Anerkennung der neuen ukrainischen Kirche durch Konstantinopel unbedingt verhindern und die Hoheit über das osteuropäische Land behalten. Der Außenamtschef des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, befürchtet nun eine „Jahrzehnte oder Jahrhunderte andauernde“Spaltung der orthodoxen Kirche. Die jetzige Situation könne „leider zu Recht“mit dem Großen Schisma von 1054 verglichen werden, sagte er. Damals zerbrach die Kirche in eine katholische und eine orthodoxe.
Experte warnt Kyrill I.
Viele Experten glauben, dass der Verlust der Ukraine die russisch-orthodoxe Kirche massiv schwächen wird. Der Soziologe Roman Lunkin, Direktor des Zentrums für Religionswissenschaften des Europainstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, sagte, die Ukraine sei ein „Kernland der früheren russischen Welt“. Dort befänden sich bislang mehr als 12 000 Pfarreien der russisch-orthodoxen Kirche, in Russland verfüge sie über 16 000. Zudem sei die ukrainische Gesellschaft religiöser als die russische. Lunkin empfahl dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I., sich nicht in die inneren Angelegenheiten der ukrainischen Orthodoxie einzumischen. Außerdem solle „er nicht die Parolen der offiziellen Außenpolitik und der Medienkampagnen Russlands nachsprechen“. Das schlimmste Szenario sei für die russische Kirche, „dass ihr Hauptteil zur unabhängigen Kirche von Präsident Petro Poroschenko geht und nur einige Pfarreien und wenige Klöster dem Moskauer Patriarchen treu bleiben“.
Zur neuen Kirche schlossen sich am 15. Dezember 2018 in Kiew zwei Kirchen zusammen, die sich 1921 und 1992 von Moskau abgespalten hatten. Künftig gibt es dort zwei große orthodoxe Kirchen: die neue „Orthodoxe Kirche der Ukraine“mit dem 39-jährigen Epiphanius an der Spitze und die Moskau unterstellte „Ukrainische Orthodoxe Kirche“. (KNA)