„Wenn du mich liebst, dann machst du das“
Über Monate sollen ein Mann und seine Verlobte eine Frau in München zur Prostitution gezwungen haben – Der Anklage zufolge lebte das Opfer wie eine Gefangene
MÜNCHEN (lby) - An einem Samstag Ende März 2018 fand in der bayerischen Landeshaupststadt ein Martyrium sein Ende. Eine 26-jährige Frau meldet sich auf einer Polizeidienststelle. Die Beamten nehmen eine Anzeige auf, Vorwürfe: Zwangsprostitution, Zuhälterei, Vergewaltigung. Sie habe mit 100 bis 150 Männern schlafen müssen, gegen Geld, das sie nicht behalten durfte, berichtet die aus Afghanistan stammende Frau. Kurz darauf werden ein Mann und dessen Verlobte als Verdächtige festgenommen.
Die Angeklagten schweigen
Seit Montag nun stehen der 28-Jährige und seine 29-jährige Lebensgefährtin, ebenfalls beide mit afghanischen Wurzeln, vor dem Münchner Landgericht I. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bestreiten sie, lassen sie durch ihre Anwälte mitteilen. Mehr wollen sie nicht zur Sache mitteilen, auch nicht, wie es stattdessen gewesen sein soll.
So steht bislang nur die Version der Anklage im Raum. Es ist die Geschichte einer Frau, die binnen kürzester Zeit ihrer Würde und ihrer Freiheit beraubt wurde, die in die Fänge eines verbrecherischen Paares geraten sein soll. Sie beginnt im November 2017. In einem Online-Chat speziell für Afghanen lernen sich die junge Frau, die in Berlin wohnt, und der Mann aus München kennen. Schon nach zwei bis drei Wochen verspricht er ihr die Ehe. Mit dem Fernbus fährt sie nach München, um ihn zu treffen. Dort haben sie Geschlechtsverkehr, für sie ist es das erste Mal. Nach dem Verlust der Jungfräulichkeit sei sie nun von ihm abhängig, erklärt ihr der 28-Jährige. Die 26-Jährige hat ihm nichts entgegenzusetzen. Außerdem muss sie feststellen, dass noch eine Frau in der Wohnung ihres Chatpartners wohnt: die Schwester des Mannes, so jedenfalls stellt sie sich vor. Tatsächlich handelt es sich um seine Verlobte.
Von da an ist die 26-Jährige den beiden ausgeliefert. Die Wohnung darf sie nur noch in Begleitung des Mannes verlassen. Das Pärchen nimmt ihr Ausweis und Handy ab, die 29-Jährige Frau schreibt im Namen des Opfers eine SMS an dessen Eltern: „Mama und Papa, ihr habt mich immer geärgert. (…) Ich komme nicht mehr nach Hause zu euch. (…) Lasst mich bitte in Ruhe!“Mitte Dezember 2018 beantragt die 29-Jährige beim Amtsgericht ein Kontaktverbot für die Familie der Berlinerin, beruhend auf dem Gewaltschutzgesetz. Das Amtsgericht gibt dem Gesuch statt.
Nach knapp einem Monat Gefangenschaft muss die 26-Jährige sich prostituieren. „Wenn du mich liebst, dann machst du das für mich“, soll der Angeklagte gesagt haben. Das Opfer gehorcht. Die Verlobte des Angeklagten bahnt Kontakte über Internetseiten an, bringt sie zu Freiern in Hotels, auf Parkplätzen, in Wohnungen, und holt sie von dort ab. An manchen Tagen muss das Opfer mit drei bis vier Männern nacheinander verkehren. Den Verdienst, im Schnitt 1000 Euro pro Woche, muss sie abliefern.
Böse Drohungen
Für den Fall, dass sie aussteigen wolle, droht das Pärchen: Sie würden der Familie in Berlin erzählen, dass sie keine Jungfrau mehr ist, dass sie ihren Körper verkauft. Sie würden ihr den Kopf abschneiden und an die Eltern schicken. Mehrmals vergewaltigen sie ihre Gefangene in der Wohnung. Sie wehrt sich nicht. Erst Ende März 2018 findet sie die Kraft, zur Polizei zu gehen. Ein Freier hilft ihr dabei. Das Münchner Paar verbringt mehrere Monate in Untersuchungshaft.
Bis Ende des Monats soll feststehen, ob die Rekonstruktion der Staatsanwaltschaft zutrifft. Auch das Opfer soll aussagen, den Angeklagten im Gerichtssaal gegenübertreten, kündigt ihre Anwältin an. Sie werde es zumindest versuchen.