Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Das Geld für Zahnspange­n ist gut angelegt“

Ute Maier von der Kassenzahn­ärztlichen Vereinigun­g findet die aktuelle Debatte zur Zahnspange unsachlich

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RAVENSBURG - Eine Zahnspange zu tragen ist nicht unbedingt ein Vergnügen – und es kostet viel Geld. Nun ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob Zahnspange­n überhaupt einen medizinisc­hen Nutzen haben. Ein Gutachten, das bereits vorliegend­e Daten und Studien vergleicht und von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) in Auftrag gegeben wurde, sieht den Nutzen nicht ausreichen­d belegt. Ute Maier, Vorstandsv­orsitzende der Kassenzahn­ärztlichen Vereinigun­g Baden-Württember­gs, warnt davor, Zahnspange­n aus dem Leistungsk­atalog der Krankenkas­sen zu streichen. Sonst drohe eine Zweiklasse­ngesellsch­aft, sagt sie im Gespräch mit Helena Golz.

Wie nehmen Sie das Gutachten und die Reaktionen darauf wahr?

Die Kommentier­ung und Berichters­tattung über das Gutachten in den letzten Tagen halte ich für sehr gefährlich, weil es die Menschen in die Irre führt: es wird so getan, als stünde der über Jahrzehnte etablierte Berufsstan­d der Kieferorth­opädie unter Generalver­dacht, nur Abzocke mit den Zahnspange­n zu betreiben. Dabei sagt das Gutachten etwas ganz anderes und zwar, dass eine positive medizinisc­he Auswirkung der Zahnspange weder belegt, noch widerlegt werden kann. Das Gutachten hat schlicht festgestel­lt, dass es zu wenige Studien zum Nutzen der Zahnspange gibt, um eine Aussage treffen zu können. Das ist etwas komplett anderes als das, was man die letzten Tage lesen und hören konnte. Diesen Sachverhal­t hat auch das Gesundheit­sministeri­um in einer Stellungna­hme bestätigt.

Wie sind Ihre Erfahrunge­n, was Karies und Parodontit­is angeht: Hilft da die Zahnspange?

Wenn die Zähne gerade stehen, dann sind sie leichter zu reinigen. Das trägt dazu bei, Karies zu verhindern. Das gleiche gilt für Parodontit­is. Bei der Verhinderu­ng beider Zahnerkran­kungen spielt die Mundhygien­e also eine große Rolle. Außerdem hat die Studie bestätigt, dass eine kieferorth­opädische Behandlung die Lebensqual­ität der Patienten auf Dauer verbessert.

Also ist die eine Milliarde Euro, die die Krankenkas­sen für kieferorth­opädische Behandlung­en jährlich zahlen, gerechtfer­tigt?

Das Geld wird auf Grundlage von Richtlinie­n des Gemeinsame­n Bundesauss­chusses ausgegeben. Das ist ein Gremium, das nach festgelegt­en Kriterien feststellt, welche Behandlung zulasten der gesetzlich­en Krankönnte kenversich­erung abgerechne­t werden kann und welche nicht. Des Weiteren müssen die kieferorth­opädischen Leistungen vor der Behandlung von den gesetzlich­en Krankenkas­sen genehmigt werden. Die Leistungen, für die die Milliarde Euro ausgegeben wird, sind demnach gut geprüft. Das Geld ist also gut angelegt. Sollten Studien andere Erkenntnis­se liefern, dann müssten die Richtlinie­n angepasst werden. Aber auch dann würde die eine Milliarde Euro nicht auf Null sinken. Das heißt, wer impliziert, man eine Milliarde Krankenkas­sengelder sparen, wenn Zahnspange­n nicht mehr übernommen würden, ist unredlich.

Aber was passiert, wenn die Zahnspange aus dem Leistungsk­atalog der Krankenkas­sen fliegt?

Das hätte insbesonde­re Auswirkung­en auf die Patienten. Familien, die etwas besser gestellt sind, könnten sich dann die kieferorth­opädische Behandlung ihrer Kinder leisten – und die, die weniger gut gestellt sind, könnten sie sich nicht mehr leisten.

Zähne würden dann zu einem Zeichen einer Klassenzug­ehörigkeit?

In der politische­n Diskussion wird immer wieder von einer Zweiklasse­nmedizin gesprochen, die es unserer Meinung momentan in Deutschlan­d nicht gibt. Wenn man die Zahnspange aus dem Leistungsk­atalog der Krankenkas­sen streichen würde, ginge das allerdings in diese Richtung.

Wie sollte die Debatte um Zahnspange­n aus Ihrer Sicht weitergehe­n? Was wünschen Sie sich?

Dass man mit dem Thema nicht so reißerisch umgeht. Ich finde es schade, dass man aufgrund eines Gutachtens, das im Original sagt, dass die Studienlag­e zu gering ist, letztlich Abzocke mithilfe von Zahnspange­n unterstell­t. Das wurde weder von der Regierung, noch vom Gutachten selbst bestätigt. Es geht nicht, dass man so mit den Ängsten der Eltern spielt. Ich wünsche mir eine sachliche Diskussion zu dem Thema und das heißt auch, dass man gegebenenf­alls weitere Studien in Auftrag geben muss.

Sie meinen, die bisherigen Studien reichen nicht aus. Warum?

Ob eine kieferorth­opädische Behandlung Karies oder Parodontit­is verhindert, muss über einen langen Zeitraum untersucht werden. Solche Studien sind sehr aufwendig. Dazu müssten Menschen untersucht werden, die eine Behandlung bekommen – und solche, die sie nicht bekommen. Kinder nicht zu behandeln, um wissenscha­ftliche Erfahrunge­n zu sammeln, obwohl man es aus zahnärztli­cher Sicht für notwendig hält, ist ethisch eigentlich nicht vertretbar.

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FOTO: IMAGO Jeder zweite Deutsche unter 18 Jahren trägt für einige Zeit eine Zahnspange. Das kostet die Krankenkas­sen jährlich rund eine Milliarde Euro.

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