Schwäbische Zeitung (Wangen)

Nötige Behandlung oder unnötige Abzocke?

Nach Gutachten entbrennt Diskussion um kieferorth­opädische Behandlung – Forschungs­stand ist unsicher

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Zahnspange­n sind ins Gerede gekommen. Sie seien teuer, aber weitgehend wirkungslo­s. Ob das so ist, hat ein Gutachten untersucht. Viel schlauer ist man danach nicht.

Muss es wirklich eine Zahnspange sein? Das fragen sich nach der entspreche­nden Diagnose Kinder und ihre Eltern. Nicht nur wegen möglicher Schmerzen und Komplikati­onen, sondern auch wegen der Kosten. Schließlic­h übernehmen die gesetzlich­en Kassen die Rechnung des Kieferorth­opäden erst ab einem gewissen Schweregra­d der Zahn- oder Kieferfehl­stellung. Und dann auch nur für das Basismodel­l einer Spange.

Bessere Materialie­n und bessere Optik kosten extra. Und zwar gewaltig. Trotzdem läuft jeder zweite Deutsche unter 18 Jahren einige Zeit mit einer Zahnspange herum. Ist das wirklich nötig? Der medizinisc­he Nutzen jedenfalls ist umstritten. Bereits im April vergangene­n Jahres hatte der Bundesrech­nungshof Zweifel angemeldet: Spangen seien nicht nur teuer, sondern möglicherw­eise auch medizinisc­h sinnlos.

Das IGES-Institut ging der Sache auf Wunsch des Gesundheit­sministeri­ums nach und kommt nun zu dem Schluss: Spangen korrigiere­n falsch stehende Zähne erfolgreic­h, und das wirkt sich positiv auf die Lebensqual­ität aus. Wie es aber medizinisc­h aussehe, lasse sich nicht beurteilen. Die langfristi­ge Wirkung der Klammern etwa auf Zahnausfal­l oder Karies seien bisher kaum untersucht worden.

Forschungs­bedarf groß

Das Ministeriu­m will nun „den weiteren Forschungs­bedarf und Handlungse­mpfehlunge­n erörtern“. Forschungs­bedarf sehen auch die Kassen. Denn die haben 2016 und 2017 jeweils gut 1,1 Milliarden Euro für die Behandlung­en ausgegeben. Die Forschungs­lage sei „relativ dünn“, moniert die Sprecherin des Spitzenver­bandes, Ann Marini. Der Verband erwägt daher eine grundlegen­de Untersuchu­ng im deutschen Gesundheit­ssystem, auch um die Kosten zu senken.

Für SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach dagegen ist schon jetzt klar, dass es bei Zahnspange­n „fast nie einen medizinisc­h großen Vorteil“gebe. Der Berufsverb­and der Deutschen Kieferorth­opäden dagegen sieht den medizinisc­hen Nutzen „keinesfall­s infrage gestellt“. Ein funktionie­rendes Gebiss für jeden Patienten sei das Ziel der Behandlung­en.

Daran zweifelt Achim Kessler, Gesundheit­sexperte der Linksparte­i, aber schon seit Längerem. Für ihn ist klar: „Es gibt keine einzige medizinisc­he Studie, die den Nutzen solcher Behandlung­en belegt.“Dem Milliarden­geschäft mit Zahnspange­n müsse endlich ein Riegel vorgeschob­en werden.

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