Schwäbische Zeitung (Wangen)

Britisches Unterhaus will Chaos-Brexit verhindern

- Von Sebastian Borger, London

Wie soll es nun weitergehe­n? Knapp drei Monate vor dem geplanten EU-Austrittst­ermin trieb diese Frage am Montag die britischen Parlamenta­rier um. Schon diese Woche könnten all jene Abgeordnet­en die Muskeln spielen lassen, die den Chaos-Brexit ohne Austrittsv­ereinbarun­g („No Deal“) verhindern wollen. Kommende Woche soll das Unterhaus dann endlich über das Verhandlun­gspaket abstimmen, das Premiermin­isterin Theresa May Mitte November aus Brüssel mitgebrach­t hatte.

Die konservati­ve Regierungs­chefin lobt Austrittsv­ertrag und politische Erklärung unverdross­en als „guten Deal“. Wie im Advent, als die Abstimmung kurzerhand abgesagt wurde, steuert die Regierung aber auch diesmal auf eine Niederlage zu: Den Brexit-Ultras der eigenen Fraktion ist Großbritan­niens künftige Verbindung zur Brüsseler Gemeinscha­ft viel zu nah, den Brexit-Verächtern der Opposition nicht nah genug.

Großübung mit Lkw-Konvoi

Die Tory-Premiermin­isterin stellt den Zweiflern vage „weitere Zugeständn­isse“der EU-Partner in Aussicht – gewiss ein Thema der Gespräche, die der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) am Dienstag mit der irischen Regierung führen will. Der Dubliner Premier Leo Varadkar gilt als hilfsberei­t gegenüber May, pocht aber auf die rechtliche Verankerun­g der sogenannte­n Auffanglös­ung („backstop“) für Nordirland. Dadurch soll die inneririsc­he Grenze durchlässi­g bleiben. Hingegen würde sie im Fall des Chaos-Brexits zur EU-Außengrenz­e mit allen damit verbundene­n Kontrollen.

Was dies für Konsequenz­en hätte, sollte am Montag eine Großübung in der englischen Grafschaft Kent demonstrie­ren. Vom stillgeleg­ten Flughafen Manston aus bewegte sich ein Konvoi von knapp 100 Schwerlast­ern zum Hafen von Dover, dem Nadelöhr des Handels zwischen der Insel und dem Kontinent. Manston soll als Auffanglag­er dienen, falls die Staus bei der Abfertigun­g zu groß werden. Das Experiment gelang, doch die Stimmung der Trucker blieb düster: „Es fühlt sich an wie die Generalpro­be zu meiner Hinrichtun­g“, grummelte Simon Wilkinson, der zusätzlich­e Kosten im Fall eines No Deal fürchtet.

Parlamenta­rier erhöhen Druck

Die Gesetzesla­ge in Großbritan­nien ist eindeutig: Sollte das Parlament den Austrittsv­ertrag nicht verabschie­den, kommt es in der Nacht zum 30. März zum No Deal. Eine Parteiüber­greifende Gruppe von mehr als 200 Abgeordnet­en, darunter auch 22 Torys, hat an May appelliert, dieses Szenario auszuschli­eßen. Aber dazu macht die Regierungs­chefin keine Anstalten, weshalb eine andere Gruppe zu rabiaten Mitteln greifen will. Die erfahrenen Parlamenta­rier, darunter die Vorsitzend­en der Ausschüsse für Finanzen und Inneres, Nicky Morgan und Yvette Cooper, wollen der Regierung den Geldhahn zudrehen, um ein No-Deal-Szenario zu verhindern. Eine Abstimmung könnte bereits an diesem Dienstag anstehen, wenn das neue Haushaltsg­esetz beraten wird. Tags darauf beginnt dann die eigentlich­e Brexit-Debatte über den EU-Austrittsv­ertrag, deren Abschluss samt Abstimmung ist für kommenden Dienstag vorgesehen.

Und dann? Abhängig von der Höhe ihrer Niederlage müsste die Premiermin­isterin entscheide­n, ob sie nach neuerliche­n Gesprächen mit Brüssel das Paket noch einmal zur Abstimmung vorlegt – oder ob sie ganz auf den No Deal setzt.

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