Britisches Unterhaus will Chaos-Brexit verhindern
Wie soll es nun weitergehen? Knapp drei Monate vor dem geplanten EU-Austrittstermin trieb diese Frage am Montag die britischen Parlamentarier um. Schon diese Woche könnten all jene Abgeordneten die Muskeln spielen lassen, die den Chaos-Brexit ohne Austrittsvereinbarung („No Deal“) verhindern wollen. Kommende Woche soll das Unterhaus dann endlich über das Verhandlungspaket abstimmen, das Premierministerin Theresa May Mitte November aus Brüssel mitgebracht hatte.
Die konservative Regierungschefin lobt Austrittsvertrag und politische Erklärung unverdrossen als „guten Deal“. Wie im Advent, als die Abstimmung kurzerhand abgesagt wurde, steuert die Regierung aber auch diesmal auf eine Niederlage zu: Den Brexit-Ultras der eigenen Fraktion ist Großbritanniens künftige Verbindung zur Brüsseler Gemeinschaft viel zu nah, den Brexit-Verächtern der Opposition nicht nah genug.
Großübung mit Lkw-Konvoi
Die Tory-Premierministerin stellt den Zweiflern vage „weitere Zugeständnisse“der EU-Partner in Aussicht – gewiss ein Thema der Gespräche, die der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag mit der irischen Regierung führen will. Der Dubliner Premier Leo Varadkar gilt als hilfsbereit gegenüber May, pocht aber auf die rechtliche Verankerung der sogenannten Auffanglösung („backstop“) für Nordirland. Dadurch soll die innerirische Grenze durchlässig bleiben. Hingegen würde sie im Fall des Chaos-Brexits zur EU-Außengrenze mit allen damit verbundenen Kontrollen.
Was dies für Konsequenzen hätte, sollte am Montag eine Großübung in der englischen Grafschaft Kent demonstrieren. Vom stillgelegten Flughafen Manston aus bewegte sich ein Konvoi von knapp 100 Schwerlastern zum Hafen von Dover, dem Nadelöhr des Handels zwischen der Insel und dem Kontinent. Manston soll als Auffanglager dienen, falls die Staus bei der Abfertigung zu groß werden. Das Experiment gelang, doch die Stimmung der Trucker blieb düster: „Es fühlt sich an wie die Generalprobe zu meiner Hinrichtung“, grummelte Simon Wilkinson, der zusätzliche Kosten im Fall eines No Deal fürchtet.
Parlamentarier erhöhen Druck
Die Gesetzeslage in Großbritannien ist eindeutig: Sollte das Parlament den Austrittsvertrag nicht verabschieden, kommt es in der Nacht zum 30. März zum No Deal. Eine Parteiübergreifende Gruppe von mehr als 200 Abgeordneten, darunter auch 22 Torys, hat an May appelliert, dieses Szenario auszuschließen. Aber dazu macht die Regierungschefin keine Anstalten, weshalb eine andere Gruppe zu rabiaten Mitteln greifen will. Die erfahrenen Parlamentarier, darunter die Vorsitzenden der Ausschüsse für Finanzen und Inneres, Nicky Morgan und Yvette Cooper, wollen der Regierung den Geldhahn zudrehen, um ein No-Deal-Szenario zu verhindern. Eine Abstimmung könnte bereits an diesem Dienstag anstehen, wenn das neue Haushaltsgesetz beraten wird. Tags darauf beginnt dann die eigentliche Brexit-Debatte über den EU-Austrittsvertrag, deren Abschluss samt Abstimmung ist für kommenden Dienstag vorgesehen.
Und dann? Abhängig von der Höhe ihrer Niederlage müsste die Premierministerin entscheiden, ob sie nach neuerlichen Gesprächen mit Brüssel das Paket noch einmal zur Abstimmung vorlegt – oder ob sie ganz auf den No Deal setzt.