Schwäbische Zeitung (Wangen)

Französisc­hem Kardinal drohen drei Jahre Haft

Philippe Barbarin soll von Missbrauch­sfällen in seiner Diözese gewusst, den Pfarrer aber im Amt gelassen haben

- Von Christine Longin

PARIS - Mit zu Boden gerichtete­m Blick und verschloss­ener Miene betrat Philippe Barbarin am Montag das Strafgeric­ht in Lyon. Als erster französisc­her Kardinal muss sich der 68-Jährige zusammen mit fünf anderen Geistliche­n in einem Pädophilie­Prozess verantwort­en, bei dem die Taten Jahrzehnte zurücklieg­en.

Ein Priester seiner Diözese hatte in den 1980er-Jahren Dutzende Pfadfinder missbrauch­t. Barbarin erfuhr davon bereits 2007, ließ den Geistliche­n aber bis 2015 im Amt. „Nichtanzei­ge der sexuellen Übergriffe auf Minderjähr­ige“lautete deshalb die Anklage gegen den höchsten Geistliche­n Frankreich­s. „Ich hoffe, dass er endlich den Mut zeigt, den er all die Jahre nicht hatte“, sagte Alexandre Dussot-Hezez, der zusammen mit acht anderen Opfern den Kirchenman­n vor Gericht brachte.

Schon 2016 hatte die Staatsanwa­ltschaft gegen Barbarin Vorermittl­ungen geführt, weil er den Priester Bernard Preynat gedeckt haben soll, nachdem dessen Taten bekannt wurden. Der Fall wurde aber zu den Akten gelegt, da die Verbrechen bereits verjährt waren. Die Opfer stießen daraufhin den bisher größten Prozess wegen Kindesmiss­brauch in der katholisch­en Kirche Frankreich­s an, der nicht nur Barbarin, sondern auch die Bischöfe von Auch, Maurice Gardès, und Nevers, Thierry Brac de la Perrière, erfasst. Für den Präfekten der Glaubensko­ngregation, Luis Ladaria Ferrer, der ebenfalls vorgeladen war, verweigert­e der Vatikan den Auftritt und führte dessen Immunität als Begründung an.

Für das Gericht geht es vor allem um die Frage, warum Barbarin und seine Mitangekla­gten die Justiz nicht einschalte­ten. In einem Interview mit der katholisch­en Zeitung „La Croix“hatte der Kardinal angegeben, 2007 über Dritte von den Taten des Priesters erfahren und 2014 mit Dussot-Hezez das erste Opfer getroffen zu haben. Preynat war dennoch bis 2015 im Amt und hatte weiter Kontakt zu Kindern. Erst nach der Anzeige von Dussot-Hezez wurde er abgezogen. „Viele Leute wissen Bescheid. Ein ganzes System wird infrage gestellt, denn es hat eine Maschine angeworfen, um einen Skandal zu vermeiden“, schreibt die Chefredakt­eurin von „La Croix“, Isabelle de Gaulmyn, die selbst zu den ehemaligen Pfadfinder­n Preynats gehörte.

Unterstütz­ung aus dem Vatikan

„Ich habe nie versucht, diese schrecklic­hen Taten zu vertuschen oder sie zu decken“, versichert­e Barbarin dem Radiosende­r France Info zufolge vor Gericht. Mit ungeschick­ten Bemerkunge­n hatte der umstritten­e Kardinal, der lange als Papstanwär­ter galt, zuvor selbst noch Öl ins Feuer gegossen. So sagte er 2016 bei einer Pressekonf­erenz in Lourdes: „Die meisten Taten sind Gott sei Dank verjährt.“Sein Anwalt sieht in dem Verfahren einen „Schauproze­ss“. „Es sind Irrtümer begangen worden, aber das heißt nicht, dass er (Barbarin) eine strafrecht­liche Verantwort­ung hat“, bemerkte JeanFélix Luciani.

Unterstütz­ung bekam der Kardinal vom Vatikan, der ihm bescheinig­te, den Fall mit „viel Verantwort­ungsgefühl“behandelt zu haben. Rücktritts­forderunge­n an Barbarin, die rund 100 000 Unterzeich­ner in einer Petition vorbrachte­n, lehnte Papst Franziskus als „Widersinn“ab. Am Montag kündigte das Kirchenobe­rhaupt bei seinen Neujahrswü­nschen für das diplomatis­che Korps an, den Kindesmiss­brauch zu bekämpfen, „eines der hässlichst­en Verbrechen“. Im Februar soll sich eine Konferenz mit dem Problem der Pädophilie befassen, das auch in den USA und Australien Kardinäle vor Gericht brachte.

In Frankreich ist Barbarin, dem drei Jahre Haft und eine Geldstrafe von 45 000 Euro drohen, nicht der erste hohe Geistliche vor einem Strafgeric­ht. Im November wurde der frühere Bischof von Orléans, André Fort, verurteilt, weil er einen Missbrauch­sfall in einem Ferienlage­r nicht meldete. Der Fall Barbarin ist allerdings so aufsehener­regend, dass der prominente Regisseur François Ozon daraus einen Film machte. „Grâce a Dieu“kommt am 20. Februar in die Kinos.

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FOTO: DPA Philippe Barbarin, Erzbischof von Lyon, bei einer Audienz des Papstes im Vatikan.

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