„Ich habe nachts oft Alpträume gehabt“
Dieter Kosslick wird im Februar zum letzten Mal die Berlinale leiten und blickt zurück
BERLIN (dpa) - Abschied für den Mann mit dem Hut und dem ansteckenden Lachen. Dieter Kosslick steht bei der Berlinale im Februar (7.-17.2.) zum letzten Mal als Direktor auf dem roten Teppich. Im Interview mit Elke Vogel plaudert der 70-Jährige über schüchterne Hollywoodstars und erzählt, warum er nachts oft Alpträume hatte.
Mit welchen Gefühlen werden Sie bei Ihrer letzten Berlinale über den roten Teppich laufen?
Wenn ich am 7. Februar am roten Teppich vor dem Berlinale-Palast aus dem Auto steige – das ist der Moment, in dem das Lampenfieber auf der nach oben offenen Lampenfieber-Skala seinen Höhepunkt erreicht. Und dieser Moment wird vielleicht schon etwas wehmütig sein. Wir spüren schon, dass dieses Mal viele Menschen kommen wollen, um bei dieser Last Picture Show dabei zu sein.
Wie viele Filme für den BärenWettbewerb werden Sie bis zum Start der Berlinale gesehen und bewertet haben?
Das werden wieder 200 bis 250 Filme werden. Auch auf meinen Reisen sehe ich viele Filme: in Paris, Rom, Mexiko oder New York. Letztlich nehmen wir dann rund zehn Prozent der Filme, die wir gesichtet haben.
Welche waren im Rückblick ihre schönsten Berlinale-Momente?
Das Chaos bei meiner ersten Berlinale vor 18 Jahren war schon sensationell. Der georgisch-französische Regisseur Otar Iosseliani sagte bei der Entgegennahme seines Preises auf der Bühne zufrieden, er habe den Deutschen ja vieles zugetraut, „mais pas un petit bordel“! – nicht so ein Chaos, frei übersetzt. Im Nachhinein ist das einer meiner Lieblingsmomente. Denn er hat die Berlinale innerhalb kürzester Zeit in eine ganz andere Richtung gedreht. Der ganze Ernst der Ära meines Vorgängers Moritz de Hadeln war plötzlich weggewischt.
Bei welchem Film haben Sie geweint?
Ich gehöre zu den Oft-Weinern im Kino. Bei der Vorführung von Andrzej Wajdas Film „Das Massaker von Katyn“herrschte zehn Minuten Schweigen nach dem Abspann. Es gibt immer wieder Filme, bei denen man denkt: Um Gottes Willen, in was für einer Welt leben wir eigentlich? Ich habe nachts oft Alpträume gehabt. So viel Leid und Ungerechtigkeit zu sehen und nicht davon berührt zu werden, das geht nicht. Natürlich kann man sagen: Solche Filme muss man professionell distanziert anschauen. Das ist mir aber nicht gelungen.
Gab es Stars, die Sie überrascht haben, weil sie ganz anders waren als gedacht?
Ja, viele! Da war zum Beispiel Nicole Kidman. Bei ihrem Besuch war ich nicht nur als Festivaldirektor aufge- regt, sondern auch als Mann. Ich sagte zu ihr, dass ich sehr nervös wäre. Daraufhin meinte sie: Was denkst du denn, was ich bin. Oder Julianne Moore. Sie war ganz bescheiden. Sie traute sich nicht, deutsch zu sprechen, obwohl sie es super kann.
Von verbotenen chinesischen Filmen bis zum leeren Jury-Stuhl des iranischen Regime-Kritikers Jafar Panahi – welche Berlinale-Filme haben am meisten politisch und gesellschaftlich bewirkt?
Wir haben viele politische Filme gezeigt. Was die Filme wirklich bewirkt haben, wissen wir nur von ganz wenigen Werken. Zum Beispiel von „Esmas Geheimnis“der Bosnierin Jasmila Zbanic über das Leid der in serbischen Gefangenenlagern vergewaltigten Frauen. Nach dem Goldenen Bären wurden diese Frauen als Kriegsopfer anerkannt. Und ich denke, es war wichtig, dass wir Filme
wie „Standard Operating Procedure“über das Abu-Ghraib-Gefängnis in Bagdad, „The Unknown Known“über den früheren US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld oder den Goldenen-Bären-Gewinner „Seefeuer“über das Flüchtlingselend auf dem Mittelmeer gezeigt haben, der von der Jury um Meryl Streep ausgezeichnet wurde.
Was kommt für Sie nach der Berlinale?
Das schauen wir dann mal. Ich bin dann 71 Jahre alt und 35 Jahre beim Film. Langweilen werde ich mich bestimmt nicht. Um es mit Kanzlerin Merkel zu sagen: „Da wird mir schon was einfallen“.