Ein Mann auf den Gleisen – Eine Frau greift ein
Ravensburg: Mehrere Passanten gehen einfach vorbei – Bahn und ein Facharzt für Psychiatrie geben Tipps, was zu tun ist
RAVENSBURG - Simone Jautz hat einen schweren Unfall auf der Bahnstrecke zwischen Ravensburg und Aulendorf verhindert. Sie hat einen Mann auf den Gleisen entdeckt und die Polizei gerufen. Andere Passanten haben einfach weggeschaut, wie sie erzählt. Sie war schockiert und fordert mehr Zivilcourage. Ein Facharzt für Psychiatrie erklärt, wie man in so einem Fall richtig vorgeht.
Simone Jautz (32) war am Freitag vor dem Jahreswechsel mit zwei Freunden und ihrem Hund außerhalb von Weingarten spazieren. Sie gingen auf einem Weg zwischen den Feldern hindurch und schließlich über einen Bahnübergang. „Ein Mann stand auf den Gleisen und hat Richtung Aulendorf geschaut“, sagt sie. Neben der Strecke lagen eine Tasche, Tabak, ein Feuerzeug. „Ich hab ihn gefragt, ob alles okay ist“, sagt Jautz. Doch der Mann habe nicht reagiert. „Erst beim sechsten Mal, als ich schon richtig geschrieen habe, hat er sich umgedreht und hat genickt.“
Mehrere Kinder waren im nahenden Zug
Doch die 32-jährige Ravensburgerin beschlich ein schlechtes Gefühl. Sie wählte am Handy die Notrufnummer. Bei dem Telefonat schien es zunächst ein Problem zu sein, dass sie außerhalb der Ortschaft keinen Straßennamen parat hatte. Und wenig später näherte sich tatsächlich ein Zug. „Gott sei Dank so langsam, dass er noch anhalten konnte“, sagt Jautz. „Ich war so erleichtert.“
Dank des Anrufs von Simone Jautz hatte die Polizei bereits die Bahn informiert. Polizisten konnten den Mann wenig später in Gewahrsam nehmen. Der Zugverkehr konnte weiterfahren. Alles wieder in Ordnung?
Nicht für Simone Jautz. Denn während sie in dieser Situation eingegriffen hat, sind ihren Angaben zufolge mindestens ein Jogger und ein Fußgänger vorbeigelaufen, ohne sich um den Mann auf den Gleisen zu kümmern. Das habe sie schockiert. Sie wolle andere Bürger dazu aufrufen, in solchen Situationen nicht wegzuschauen. Sie wolle sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn sie nichts unternommen hätte. Sie denkt dabei an den Lokführer und die vielen Kinder, die im herannahenden Zug saßen und beim Nothalt an die Scheiben kamen.
Außerdem würden aus ihrer Sicht bei der Lokalisierung eines Streckenabschnittes Schilder entlang der Bahnlinie helfen – „damit man sagen kann, wo man ist“.
Bahn rät zum Notruf unter 110
Simone Jautz hat offenbar richtig gehandelt. Eine Sprecherin der Deutschen Bahn sagt: „Grundsätzlich ist immer die 110 zu wählen. Die Polizei hat einen direkten Draht zu den Leitstellen der Eisenbahn. So kann sofort der Bahnverkehr eingestellt werden, bis der Vorfall überprüft ist.“Zur Ortsangabe sagt sie: „Grundsätzlich ist die Angabe des Streckenabschnittes im ersten Moment hilfreich. Bestenfalls eine Einordnung zwischen welchen Ortschaften die Strecke liegt.“Keinesfalls sollte man sich selbst in den Gleis- und damit in den Gefahrenbereich begeben, sagt ein Sprecher der Bundespolizei.
Wenn jemand auf die Gleise geht, kann das nach Angaben des ärztlichen Leiters der Klinik für forensische Psychiatrie in Ravensburg, Udo Frank, unterschiedliche Ursachen haben. Er habe schon einen Mann behandelt, der gerne Extremsportler sein wollte und nachts auf den Bahngleisen gelaufen sei, in der Annahme, er könne durch Springen von Schwelle zu Schwelle seine Waden trainieren. Andere Menschen gerieten unter Drogeneinfluss auf die Gleise und bemerkten die damit verbundene Gefahr gar nicht.
Wie man sich verhalten soll, wenn man jemanden auf den Gleisen entdeckt, dafür gebe es keine Antwort, die für alle Situationen passend ist, sagt Frank. Dennoch kann er ein paar Empfehlungen geben. Eine erste: „Menschen in psychischen Ausnahmesituationen können unberechenbar reagieren. Daher sollte man auf Eigensicherung achten.“In der Regel bedeute das, ein bisschen Abstand zur Person zu halten und sie nicht ohne Not anzufassen. Zweitens: Man sollte nur laut werden, wenn es laute Umgebungsgeräusche oder einen Hinweis für Schwerhörigkeit gibt. Vielmehr sollte man die Person freundlich ansprechen und kurze Sätze mit klaren Botschaften formulieren.
„Wenn man um Aufmerksamkeit bitten will, kann man sagen: Bitte schauen Sie mich an! Das kann man auch wiederholen.“Eine anschließende klare Botschaft könnte demnach sein: Kommen Sie jetzt bitte vom Gleis. „Die Leute tun oft, worum man sie bittet“, sagt Frank.
Dass man die Polizei ruft oder gerufen hat, sollte man der Person laut Frank nicht unbedingt sagen. „Die Polizei wird nicht von allen Menschen in psychischen Ausnahmesituationen als Helfer assoziiert. Die Information könnte sie auch zu unbedachten Handlungen motivieren.“Dennoch sei es elementar wichtig, dass man die Polizei tatsächlich ruft.
Das unerlaubte Betreten der Gleise ist nach Angaben der Bahn verboten und kann eine Geldbuße von bis zu 5000 Euro nach sich ziehen. Immer wieder werde gefordert, die Anlagen der Deutschen Bahn insgesamt einzuzäunen. Im Herbst 2013 hatte es diese Diskussion auch in Ravensburg gegeben. Damals war ein 17 Jahre altes Mädchen ums Leben gekommen. Jugendliche hatten regelmäßig in der Schwanenstraße Bahngleise überquert, um schneller zum Kaufland in die Südstadt zu kommen. Erst auf Initiative des damaligen Ravensburger Polizeichefs Uwe Stürmer war es gelungen, in Kooperation mit dem Berufsbildungswerk Adolf Aich, der Stadt und der Bahn diese wilden Übergänge zu versperren.
Alle Bahnstrecken einzuzäunen sei aufgrund der Größe des Streckennetzes – wie bei Wasserstraßen und Autobahnen – nicht möglich, teilt die Bahn mit.