Das kurze Leben von Württembergs Herzenskönigin
Vor 200 Jahren starb die Monarchin Katharina – Sie gilt wegen ihres Sozialwerks als wohl bedeutendste Frau der Landesgeschichte
ROTENBERG - Es ist ein einsamer Wintertag auf dem Württemberg, einer geschichtsträchtigen Hügelkuppe bei Stuttgart. Kalter Westwind treibt graue Wolken über das Neckartal, Nieselregen durchnässt langsam den Parka. Das düstere Wetter passt: Es geht auf den 200sten Todestag der württembergischen Königin Katharina zu, der wohl bedeutendsten Frau der württembergischen Landesgeschichte. Ihr Sozialwerk wirkt bis heute im Alltag nach. Katharina starb am 9. Januar 1819 im Alter von nur 30 Jahren. Ihre sterblichen Überreste ruhen hier oben in einer weit übers Neckarland sichtbaren, runden Grabkapelle.
Das klassizistische Bauwerk gehört zum Mythos Katharinas. Dem nähert man sich am besten, indem man den Blick auf die Schrift über dem Eingang richtet: „Die Liebe höret nimmer auf“prangt dort in vergoldeten Lettern. Von diesem poetischen Spruch geht offenbar auch nach zwei Jahrhunderten noch ein großer Zauber aus. „Für viele unserer heutigen Besucher ist die Grabkapelle ein Monument der ewigen Liebe“, meint Christiane Grau, Verwalterin des Bauwerks.
König Wilhelm I. hat die Grabkapelle von 1820 bis 1824 für seine Frau bauen lassen, ließ dafür extra die alte Stammburg seines Geschlechts abbrechen. Etwas Vergleichbares kennt dessen früheres Herrschaftsgebiet nicht, weshalb der schwäbische Honoratiorenmund das Bauwerk flugs zum württembergischen Tadsch Mahal erhoben hat – in Anlehnung an jenes weltberühmte indische Mausoleum, das ein Großmogul vor rund 400 Jahren für seine große Liebe errichten ließ.
Schwäbisches Tadsch-Mahal-lein
Zugegeben: Die schwäbische Variante ist wesentlich bescheidener ausgefallen – praktisch nur ein TadschMahal-lein. Aber Parallelen werden eben gerne gezogen. Moderner ist im Zusammenhang mit Katharina der Bezug zur britischen Prinzessin Diana. Wie sie wird die württembergische Monarchin inzwischen als „Königin der Herzen“bezeichnet. Zumindest um Stuttgart herum, den alten Landeskern, scheint die Erinnerung an die so jung Verstorbene durchaus noch lebendig zu sein. An schönen Wochenenden bricht unterhalb der Grabkapelle im engen Dorf Rotenberg der
Verkehr wegen anreisender Besucher zusammen. Mausoleumsverwalterin Grau erzählt, dass jährlich rund 40 000 Gäste in die heiligen Hallen kommen. „An ihrem Geburtstag liegen am Sarkophag regelmäßig Blumensträuße“, berichtet sie.
Woher kommt die Verehrung? Der betörend schöne Spruch von der Liebe, die nie aufhört, hat sicher damit zu tun. Er führt jedoch etwas in die historische Irre. Nach außen hin galt die 1816 geschlossene Ehe, die zwei Töchter hervorbrachte, zwar als harmonisch, zeittypisch für damalige Monarchen hielt sich Wilhelm I. aber Mätressen. Der Königin blieb das nicht verborgen, ihren außerhalb des Hofstaats lebenden Zeitgenossen zumindest teilweise ebenso. Deshalb verbreitete sich nach Katharinas Ableben rasch die Legende
„An ihrem Geburtstag liegen am Sarkophag regelmäßig Blumensträuße.“
von einer wahren Tragödie, wonach ein Seitensprung des Königs ihren Tod verschuldet haben soll.
Die Mär behauptet, dass sich Wilhelm I. im königlichen Privatgestüt Scharnhausen mit seiner langjährigen Geliebten Blanche de la Flèche vergnügt habe. Der Ort liegt unweit von Stuttgart auf den Fildern. Erzählt wird, Katharina sei ihrem Mann bei winterlicher Kälte hinterherkutschiert, bekleidet nur mit einem dünnen Kleid. Angeblich habe sie ihn zur Rede stellen wollen. Dadurch habe sich die betrogene Frau eine Grippe zugezogen – mit tödlichen Folgen. Aus solchen Inhalten zimmern bunte Blätter heute noch gerne tränenschwere Adelsgeschichten.
Die moderne Geschichtswissenschaft sieht das Ganze wesentlich nüchterner. Dies hat generell mit Katharinas Person zu tun. Geboren wurde sie am 21. Mai 1788 als russische Großfürstin Katharina Pawlowna im Zarenschloss von Zarskoje Selo. Sie wuchs im Umfeld des vielfach verknüpften europäischen Hochadels auf, Wilhelm I. war einer ihrer Cousins. Die Gebräuche der allgemeinen Liebeleien waren Katharina bekannt, auch sie selbst war kein Kind von Traurigkeit. Vor der Ehe mit Wilhelm I. war sie eine Verbindung mit Georg Herzog von Oldenburg eingegangen. Ihr erster Mann starb jedoch 1812 an Typhus.
Bei der zweiten Ehe spielten dann Machtinteressen eine Rolle. Angebahnt wurde sie auf dem Wiener
Christiane Grau, Verwalterin der Grabkapelle Katharinas
Kongress 1815, dem zentralen europäischen Treffen zur Beendigung der Napoleonischen Kriege. Württemberg hatte fast bis zuletzt den französischen Kriegsherrn und Kaiser unterstützt. Auf der anderen Seite hatten unter anderem Russland, Preußen und Österreich gestanden. Katharinas Heirat sollte das württembergische Verhältnis zu diesen Ländern verbessern – auch dies eine zeittypische, völlig unpathetische Erscheinung.
Gefäßverschluss im Gehirn
Mit den letzten Tagen der Königin verhält es sich nicht anders. Katharina kränkelte bereits längere Zeit, sie hatte Gürtelrose. Hinzu kam sechs Tage vor ihrem Tod eine leichte Erkältung. Ausschlaggebend für ihr Dahinscheiden waren jedoch die Folgen eines Bläschens am Mundwinkel, einer Wundrose, das die Königin mit einer Nadel traktiert hatte. Die Folge: eine bakterielle Infektion. Der Arztbericht vermerkt: „Die Königin sprach morgens um 7 Uhr über mancherlei Gegenstände ungehindert. Danach fiel sie jedoch in Bewusstlosigkeit, der Puls wurde schwächer, und sie starb.“Eine Obduktion des Kopfes ergab einen Gefäßverschluss im Gehirn, verursacht durch die Wundrose. Katharina starb ganz banal an einem Schlaganfall.
Die Wissenschaft allerdings bewertet das Ereignis im Gegensatz zum ärztlichen Attest als komplex. Eine 2003 erschienene Biografie des Historikers Detlef Jena sieht im Tod der Königin ein Ergebnis des jahrelangen Raubbaus an ihrer Gesundheit. Ihr Pflichtgefühl und die eiserne Selbstdisziplin hätten die nötige Schonung verhindert. Katharina hatte nämlich eine Mission: ihr Sozialwerk, Teil ihres Mythos’, aber manchmal wegen des Blicks auf die romantisch anmutenden Umstände von Liebe, Grabmahl und Tragödie etwas im Schatten.
Wem beispielsweise mal im Stuttgarter Katharinenhospital das Leben gerettet wurde, der verdankt dies der Monarchin. Auch das Katharinenstift, ein höchst angesehenes Gymnasium der Landeshauptstadt, geht auf die als gebildet geltende Frau zurück. Ebenso das Wohlfahrtswerk des Landes oder die Württembergische Landessparkasse, ein Institut, das gegründet wurde, um dem einfachen Volk Geldgeschäfte zu ermöglichen. Es ist einer der Vorläufer der heutigen Landesbank BadenWürttemberg.
Historiker schreiben Katharina „einen zupackenden Willen“zu. Allerdings hat sich sich manch angeheiratete Monarchin gern sozial betätigt, während der Gatte die hohen Staatsgeschäfte führte. Um die wahre Bedeutung von Katharinas Werk zu verstehen, müssen deshalb die geschichtlichen Umstände betrachtet werden. Anders als heute war Württemberg seinerzeit bitterarm, ein vor allem kleinbäuerlich geprägtes Agrarland. Die Kriegslasten der Napoleonischen Ära drückten zusätzlich. Dann explodierte 1815 in Fernost der Vulkan Tambora. Unmengen von Staub und Asche wurden in die Atmosphäre geschleudert, die Sonne kam vielerorts nicht mehr durch. Das Ereignis gilt als Hauptursache für das darauffolgende „Jahr ohne Sommer“. Wegen riesiger Ernteausfälle herrschte großer Hunger. Gegenmaßnahmen taten not.
In diesem Jahr wurde Katharinas Mann König. Es traf sich gut, dass auch Wilhelm I. in sozialen und wirtschaftlichen Fragen reformorientiert war. Auf ihn geht der Cannstatter Wasen als landwirtschaftliches Hauptfest zurück. Er ist Gründer der landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim. Vermutlich ergänzte sich das Paar beim Streben nach modernen Ansätzen. Wie viel hingegen wirklich dran ist an der an der Grabkapelle beschworene MonarchenLiebe, bleibt offen. Angeblich hat Wilhelm I. das Bauwerk jedoch gezielt auf dem Württemberg bauen lassen, weil die zuvor dort befindliche Burg ein Lieblingsplatz Katharinas gewesen sei.
Wieder vereint im Grab
Die Monarchin erhielt damit auch einen Ruheplatz, der ihrer Religion gerecht wurde. Katharina war orthodoxen Glaubens. Unterhalb der Kapelle wurde ein Priesterhaus und ein Psalmistenhaus errichtet, die einst einem russisch-orthodoxen Geistlichen und Sängern als Wohnungen dienten. Regelmäßige Fürbitten und Lieder sollten für Katharinas Seelenheil im Jenseits sorgen.
Wilhelm I. hatte bereits im Jahr nach Katharinas Tod erneut geheiratet. Als der König 1864 starb, verfügte er jedoch in seinem Testament, neben Katharina zu ruhen. Dies tut er seitdem. Als Dritte im Bunde liegt die älteste Tochter im Untergeschoss der Grabkapelle.
Und die Liebe? Sie ist auf der Hügelkuppe inzwischen zum Hit geworden. Abgesehen von Ewigkeitsschwüren junger Paare am Kapelleneingang, gibt es neuerdings noch eine weitere Entwicklung. „Wir bieten freie Trauungen an“, sagt Mausoleumsverwalterin Christiane Grau.