Mit Vergnügen unpünktlich
Wie Tennis-Ass Alexander Zverev auch bei Major-Turnieren überzeugen will
MELBOURNE (SID/dpa) - Mit manchen Dingen nimmt es Alexander Zverev nicht ganz so genau. Pünktlichkeit, zum Beispiel, gehört nicht gerade zu den großen Stärken des besten deutschen Tennisspielers. Beim Hopman Cup in Perth habe sie „immer“auf ihn warten müssen, klagte seine Doppelpartnerin Angelique Kerber in Melbourne halbernst. Die Lässigkeit, mit der Zverev mitunter über die Tennistour schlurft, stößt nicht überall auf Begeisterung. Für den gebürtigen Hamburger ist sie Teil des Plans.
„Ich möchte es einfach genießen“, sagte Zverev vor seinem Auftakt bei den Australian Open am Dienstag gegen den Slowenen Aljaz Bedene. Den Sommer, die Stadien, die großen Matches. „Sobald mir das gelingt und ich wirklich Freude an dem habe, was ich tue, kommt alles weitere von ganz allein.“Auch der Durchbruch bei den Grand-Slam-Turnieren, auf den Zverev trotz seiner unbestrittenen Qualität noch immer wartet.
Lendl achtet auf Disziplin
Sein denkwürdiger Triumph beim ATP-Saisonfinale Ende November im Endspiel gegen den bis dato überragenden Novak Djokovic soll ihm eine hilfreiche Lehre sein. Vor London habe er wirklich nicht gut gespielt, sagte Zverev: „Dann habe ich mir gesagt: ,Das ist das letzte Turnier des Jahres. Genieße es, so gut du kannst’. Am Ende hatte ich gewonnen.“Mit dieser Einstellung müsse er auch die Majors angehen, „ich hoffe, ich kann das umsetzen“, sagte der 21-Jährige.
Die leichte Fußverletzung, die er beim Training in der Margaret Court Arena erlitten hatte, soll ihn daran nicht hindern. „Der Fuß tut ein bisschen weh, es ist wie ein blauer Fleck auf dem Knochen, aber nichts Großes“, sagte Zverev: „Ich mache mir keine Sorgen.“So wie die Australier bei jeder Gelegenheit sagen: „No worries!“
Allerdings: Mit betonter Lockerheit hatte es Zverev auch schon im vergangenen Jahr versucht, nach seiner Niederlage in der dritten Runde gegen den Südkoreaner Chung Hyeon zeigte sich jedoch, wie tief die Anspannung wirklich saß: In den Katakomben der Rod Laver Arena konnte nur sein Idol Roger Federer ihn wieder aufbauen. Die eigenen Erwartungen hatten Zverev gelähmt.
Das soll ihm 2019 nicht mehr passieren. Auch wenn die Lobeshymnen nach London nicht leiser geworden sind, die Favoritenbürde und den damit verbundenen Druck schiebt Zverev an die Konkurrenten weiter. „Durch den Sieg ändert sich nichts. Ich sehe mich nicht als großen Favoriten, das sind immer noch Rafa, Roger und Novak.“Die Großen drei also, Rafael Nadal (32), Roger Federer (37) und Djokovic (31).
Deren erster Verfolger heißt jedoch Zverev, 21 Jahre alt, für die meisten Experten das größte Versprechen für die Zukunft und schon in der Gegenwart ein Herausforderer auf Augenhöhe, wenn er sein Potenzial wie in London abruft. Wohldosierte Lässigkeit kann ihm dabei tatsächlich helfen, für den Ernst des Tennislebens hat er ohnehin Ivan Lendl im Team. Der würde am liebsten täglich vier Stunden trainieren lassen.
Bei den vorigen US Open war der gerade verpflichtete Lendl erstmals dabei und musste zusehen, wie Zverev in der dritten Runde eine taktische Lektion vom fast anderthalb Jahrzehnte älteren Philipp Kohlschreiber erhielt. Das soll sich in Melbourne ändern. Und Lendl, als Profi zweimaliger Australian-OpenSieger und oft verbissen wirkend, wird schon darauf achten, dass Zverev zumindest zu seinen Matches pünktlich erscheint.