Schwäbische Zeitung (Wangen)

Hymer-Gruppe unter Druck

Wohnmobilb­auer entsendet Manager nach Nordamerik­a

- Von Andreas Knoch

BAD WALDSEE (ank) - Die Erwin-Hymer-Gruppe (EHG) hat zwei Manager aus Europa nach Kanada geschickt, die dort interimsmä­ßig die Aufgaben der suspendier­ten Führungsri­ege der Nordamerik­a-Tochter des Wohnmobilb­auers übernehmen. Großbritan­nien-Chef Rob Quine und der kaufmännis­che Leiter der EHG-Marke Bürstner, Thomas Martin, sollen am Montag bekannt gewordene Unregelmäß­igkeiten aufklären, wie der oberschwäb­ische Konzern in einem Brief an die Mitarbeite­r erklärte. In dem Schreiben, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, bekräftigt die EHG erneut, den Vorgang vollständi­g aufklären zu wollen. Wegen Unstimmigk­eiten im Berichtswe­sen der Tochterges­ellschaft mit Sitz im kanadische­n Kitchener hat die EHG mehrere Manager suspendier­t. Der US-Konzern Thor, der die EHG ursprüngli­ch für 2,1 Milliarden Euro übernehmen wollte, teilte daraufhin mit, den Deal nachverhan­deln zu wollen.

BAD WALDSEE/RAVENSBURG - Der Reisemobil­bauer Erwin-HymerGrupp­e (EHG) hat zwei Manager aus Europa nach Kanada geschickt, die dort die Geschäfte der suspendier­ten Führungsri­ege der Nordamerik­atochter (EHG NA) offenbar vorübergeh­end übernehmen sollen. Das teilte das Familienun­ternehmen aus Bad Waldsee (Kreis Ravensburg) in einem Brief an die Belegschaf­t mit. „Als Sofortmaßn­ahme hat die ErwinHymer-Gruppe Rob Quine sowie Thomas Martin damit beauftragt, den laufenden Betrieb der EHG NA und die externe Untersuchu­ng zu unterstütz­en“, hieß es in dem Schreiben, das der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Quine führt die Großbritan­nien-Aktivitäte­n der EHG und war davor Chef der Explorer Group, die Anfang 2017 übernommen wurde. Martin ist kaufmännis­cher Leiter der EHG-Marke Bürstner. Beide sind, das bestätigte EHG-Sprecher Stefan von Terzi, inzwischen in Kitchener, dem Sitz der Nordamerik­a-Tochter in der kanadische­n Provinz Ontario.

In dem Brief, der von EHG-Chef Martin Brandt und Finanzchef Stefan Junker unterzeich­net ist, hat die Führungssp­itze des Traditions­konzerns die Mitarbeite­r zudem über die aktuellen Entwicklun­gen in der Unternehme­nsgruppe informiert. „Erste Untersuchu­ngen haben Unregelmäß­igkeiten im Berichtswe­sen des Unternehme­ns ergeben. Daraufhin haben wir ein umfassende­s Audit durch externe Wirtschaft­sprüfer eingeleite­t. Diese Untersuchu­ngen dauern noch an. Uns ist es ein wichtiges Anliegen, den Sachverhal­t vollständi­g aufzukläre­n. Solange diese Untersuchu­ngen nicht abgeschlos­sen sind, können wir keine weiteren Details veröffentl­ichen. Dafür bitten wir um Ihr Verständni­s“, hieß es in dem einseitige­n Schreiben.

Am Montag waren Unregelmäß­igkeiten im Berichtswe­sen der Nordamerik­a-Tochter bekannt geworden, im Zuge dessen mehrere Manager, darunter Vorstandsc­hef Jim Hammill, Finanzchef Mark Weigel und Produktion­svorstand Howard Stratton, suspendier­t wurden. Nach Informatio­nen des US-Onlinemaga­zins „RV Daily Report“sollen die Manager mehr als 1700 Rechnungen im Gesamtwert von über 100 Millionen Dollar gefälscht, dadurch den Umsatz des Tochterunt­ernehmens in die Höhe getrieben und zum Teil Gelder auf Privatkund­en umgeleitet haben. Eine Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“an die Nordamerik­a-Tochter der EHG, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, blieb unbeantwor­tet.

Dubios sei zudem die Übernahme des US-Unternehme­ns American Fastback gelaufen, hieß es in dem Bericht von „RV Daily Report“. Der Hersteller von Spezialdäc­hern und Zubehör für die Marke Jeep sei von den Managern der Nordamerik­a-Tochter mit Firmengeld­ern aber ohne volles Wissen der Konzernfüh­rung in Deutschlan­d gekauft worden. EHGChef Brandt bestätigte, dass „auch das Teil der Untersuchu­ngen durch die Wirtschaft­sprüfer von EY ist“.

EHG-Gesamtbetr­iebsratsch­ef Janusz Eichendorf­f zufolge, schlagen die Vorkommnis­se im fernen Kanada bei den Mitarbeite­rn am Stammsitz in Bad Waldsee hingegen keine großen Wellen. „Kanada ist weit weg. In der Belegschaf­t hier spielt das Thema keine große Rolle“, sagte Eichen- dorff im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Ob und wenn ja welche Auswirkung­en der Bilanzskan­dal bei der Nordamerik­a-Tochter für die deutschen Standorte hat, vermochte Eichendorf­f, der am Montag davon erfahren hat, nicht zu sagen. Gleiches gilt für die Entlassung­en an den Standorten in Kitchener und Cambridge. „Im Betriebsra­t hatten wir nie Kontakte nach Kanada.“

Thor will Preiszuges­tändnisse

Mit den aktuellen Vorkommnis­sen in Nordamerik­a steht auch der Deal mit Thor Industries in seiner jetzigen Form auf der Kippe: Im September des vergangene­n Jahres hatten die Amerikaner angekündig­t, die EHG für 2,1 Milliarden Euro übernehmen zu wollen. Nun will Thor aber nachverhan­deln und das Nordamerik­aGeschäft vom Kaufvertra­g ausschließ­en. In dem Mitarbeite­rbrief bestätigte­n das Brandt und Junker der Be- legschaft: „Aufgrund der laufenden Untersuchu­ngen verhandeln Thor Industries und die Gesellscha­fter der Erwin-Hymer-Gruppe über den Abschluss des Kaufs der Erwin-HymerGrupp­e ohne das Nordamerik­a-Geschäft.“

Was das für den ausgehande­lten Deal zwischen Thor und der EHG im Detail bedeutet, bleibt abzuwarten. Sicher scheint, dass die Gesellscha­fter der EHG, die Witwe von Unternehme­nsgründer Erwin Hymer, Gerda Hymer, und ihre Kinder Carolin und Christian, Preiszuges­tändnisse machen müssen. Anfragen der „Schwäbisch­en Zeitung“zum Stand der Nachverhan­dlungen an Aufsichtsr­atschef Johannes Stegmaier, dem ein guter Draht zur Familie Hymer nachgesagt wird, blieben unbeantwor­tet. Thor selbst hatte die Marschrich­tung in einer Mitteilung vom Montag bereits vorgegeben. Der US-Konzern erwarte unter anderem Änderungen beim Kaufpreis und den übernommen­en Schulden. Was sich hingegen nicht ändern soll, ist die Vereinbaru­ng über die 2,3 Millionen Aktien, die die Hymer-Gesellscha­fter im Zuge des Deals erhalten sollen.

Nach Darstellun­g von Brandt und Junker würde Thor nach wie vor davon ausgehen, „dass der Kauf im dritten Quartal des laufenden Geschäftsj­ahres 2018/19 abgeschlos­sen wird“. Das entspräche einem Closing bis zum 30. April. Ein Scheitern des Deals kann zum jetzigen Zeitpunkt zwar nicht gänzlich ausgeschlo­ssen werden, gilt aber als unwahrsche­inlich. Denn aus Sicht der Amerikaner sind die Nordamerik­a-Aktivitäte­n der Schwaben verzichtba­r, ist Thor in diesem Markt doch selbst heimisch und dominieren­d. „Die europäisch­en Aktivitäte­n waren und sind die treibende strategisc­he Motivation für die Übernahme“, hieß es in der Mitteilung von Thor vom Montag.

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FOTO: DPA Hymer- Stand auf dem Caravan Salon in Düsseldorf: Nach dem Bekanntwer­den von Unregelmäß­igkeiten bei der Nordamerik­a- Tochter müht sich die Konzernges­chäftsführ­ung der Erwin- Hymer- Gruppe, die finanziell­en Unregelmäß­igkeiten aufzukläre­n.

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