Komponist
Viele Jahre lang war der Pianist und Komponist Fazil Say die Galionsfigur der westlich geprägten Oberschicht der Türkei: Im Ausland feierte er Erfolge, und in der Türkei machte er sich über den Islam und die frommen Anatolier lustig. Doch jetzt hat der Künstler – der im Sommer 2014 Artist in Residence beim Bodensee- Festival war – seinen Frieden mit dem religiös- konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gemacht. Auf Einladung von Say besuchte Erdogan die Ankara- Premiere der „ Troja- Sonate“des Musikers und lud Say in den Präsidentenpalast ein. Says bisherige Weggefährten sind entsetzt und beklagen einen Kotau des Komponisten.
Says angeblicher Sündenfall kommt nach Ansicht der Kemalisten – der Anhänger des säkularistischen Staatsgründern Mustafa Kemal Atatürk – besonders in einem Foto zum Ausdruck: Das Bild zeigt den 49- jährigen Starpianisten nach dem Konzert in Ankara, wie er mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen den lobenden Worten Erdogans zuhört.
Der Wendepunkt kam nach dem Tod von Says Mutter im vergangenen August. Damals rief Erdogan an, um zu kondolieren, und Say lud den islamisch- konservativen Politiker ein, zu einem seiner Konzerte zu kommen. Noch vor wenigen Wochen beschwerte sich Erdogan, die Kemalisten wollten ihn zwingen, Mozart zu hören. Doch zu Says „ Troja- Sonate“erschien er nun doch und applaudierte stehend.
Manche Beobachter sehen in Erdogans Geste einen cleveren Schachzug, um einen wichtigen Künstler zu vereinnahmen und sich vor den Kommunalwahlen im März als toleranter Landesvater zu präsentieren.
Say selbst hat sich bisher nicht zu der Kritik geäußert, doch möglicherweise spricht sein Vater Ahmet für ihn. Dieser sagte der Zeitung „ Hürriyet“, Erdogan sei nun einmal der Präsident der Türken. Eine „ Atmosphäre des Friedens“sei gut für das Land. Susanne Güsten