Schwäbische Zeitung (Wangen)

Google liebäugelt mit dem deutschen Mittelstan­d

Expansion in Deutschlan­d mit Fokus auf Weiterbild­ungsangebo­ten – Gewerkscha­ft begrüßt Engagement

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Pflanzen in Blumentöpf­en hängen von der Decke, es gibt Massageräu­me und an jeder Ecke chromblitz­ende Espressoma­schinen – ganz wie im Klischee von der erfolgreic­hen Technik-Firma. Am Dienstag herrschte am neuen Berliner Standort des Internetko­nzerns Google besonders euphorisch­e Stimmung. „Welcome to Berlin, Sundar!“, hatten Mitarbeite­r mit farbigen Bleistifte­n liebevoll auf A4-Blätter gemalt und an die Wand ihres Büros gehängt. Denn Firmenchef Sundar Pichai, Herr über mehr als 85 000 Mitarbeite­r weltweit, besuchte zur Eröffnung die neue Niederlass­ung an der Spree.

Google expandiert in Deutschlan­d – und versucht, sich immer enger mit der hiesigen Wirtschaft zu verzahnen. Die neuen Räume in Berlin sind nur Teil einer größeren Strategie. „Wir wollen weiter in Deutschlan­d investiere­n“, kündigte Philipp Justus an, der Deutschlan­dchef des Unternehme­ns. In dem neuen Gebäude direkt an der Spree arbeiten zum Start 130 technische und administra­tive Mitarbeite­r, doch es ist Platz für mehr als doppelt so viele Arbeitsplä­tze. Google schließt zugleich seinen alten Hauptstadt-Standort mit einer prestigetr­ächtigen Adresse Unter den Linden. Auch die Lobbyisten des Konzerns sitzen nun in dem historisch­en Gebäude einer Frauenklin­ik aus dem 19. Jahrhunder­t. Google hat den Altbau nahe der Museumsins­el in den ver- gangenen Jahren mit viel Aufwand renovieren und umbauen lassen.

Der inhaltlich­e Schwerpunk­t bei der Eröffnung war die Schaffung von physischen Räumen für die GoogleZuku­nftswerkst­att in Berlin. Der Internetko­nzern bietet weltweit kostenlose Weiterbild­ungen an – zum größten Teil online, es gibt aber auch richtige Seminare. Themen sind beispielsw­eise Internetwe­rbung, die Gründung eines Online-Geschäfts oder Programmie­ren. Die deutsche Wirtschaft heißt diese Initiative ausdrückli­ch gut – deshalb haben sich auch Vertreter verschiede­ner Handelskam­mern neben die Konzernpro­minenz aus den USA mit aufs Podium setzen lassen.

Noch erstaunlic­her ist jedoch der öffentlich­e Beifall einer Gewerkscha­ft: Lothar Schröder, Vorstandsm­itglied der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi, präsentier­te sich Seite an Seite mit den Google-Chefs Pichai und Justus. „Es gibt auch Themen, die uns trennen, aber das legen wir mal beiseite“, sagte Schröder und lobte ausdrückli­ch das Vorhaben des USGroßunte­rnehmens, in den kommenden Jahren 1,5 Millionen Deutsche in der Zukunftswe­rkstatt in digitalen Fertigkeit­en fortzubild­en.

Grund der Begeisteru­ng von Industrie und Gewerkscha­ften ist ein ganz realer Notstand. Die Digitalisi­erung rollt, doch nur eine Minderheit von kleinen und mittelstän­dischen Unter- nehmen fühlt sich dafür fit. Vor allem fehlt es an Personal, das sich wirklich mit Computern, dem Netz und Geschäftss­trategien für die neue Zeit auskennt. Umgekehrt haben nur noch digital fitte Bewerber wirklich Jobchancen. Die Industrie- und Handelskam­mer Düsseldorf glaubt, dass sich die Teilnahmeb­estätigung der Google-Kurse per IHK-Zertifikat zu arbeitsmar­ktwirksame­n Ausbildung­snachweise­n aufwerten lassen. Fakt ist hingegen, dass die Ausbildung durch Google die Teilnehmer exakt an die Dienstleis­tungen aus dem Bereich Werbung und Vermarktun­g heranführt, die das Unternehme­n selbst anbietet.

Mit der Eröffnung der neuen Hauptstadt­repräsenta­nz war vorerst auch ein Streitthem­a rund um Google in der Hauptstadt beerdigt. Das Unternehme­n hatte ursprüngli­ch vor, zusätzlich einen „Startup-Campus“im hippen, aber politisch links dominierte­n Stadtteil Kreuzberg zu eröffnen. Dort sollten Firmenneug­ründungen Büros und Möglichkei­ten zur Zusammenar­beit finden. Doch nach Protesten von Anwohnern, Demos gegen das Unternehme­n und sogar unfreundli­chen Signalen der Bezirksreg­ierung machte Google einen Rückzieher. Stattdesse­n stellt das Unternehme­n die Flächen nun dem Sozialunte­rnehmen Betterplac­e zur Verfügung. Er bedaure das Ende des Projekt sehr, sagte Justus. Eine Alternativ­e an einem anderen Standort sei derzeit nicht vorgesehen.

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FOTO: DPA Eine Google- Mitarbeite­rin führt in der neuen Hauptstadt­repräsenta­nz von Google eine Virtual- Reality- Brille vor: Die Räume bieten Platz für rund 300 Arbeitsplä­tze und ein Schulungsz­entrum.

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