Schwäbische Zeitung (Wangen)

Oberarzt im Zeugenstan­d

Zeuge belastet Mediziner im Högel-Prozess

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OLDENBURG (epd) - Im Mordprozes­s gegen den früheren Krankenpfl­eger Niels Högel hat einer seiner ehemaligen Kollegen schwere Vorwürfe gegen die Oldenburge­r Klinikleit­ung und die leitenden Ärzte erhoben. Der Zeuge sagte am Dienstag vor dem Landgerich­t Oldenburg, zwar habe er das Klinikum schon 2001 verlassen, dennoch hätten ihn einstige Kollegen fünf Jahre später darum gebeten, anonym Anzeige zu erstatten. Da er zu dem Zeitpunkt psychisch krank gewesen sei, habe er das abgelehnt.

Die Kollegen seien vermutlich aus Angst um ihren Arbeitspla­tz nicht selbst zur Polizei gegangen, sagte der Mann. Ein befreundet­er Pfleger habe ihn über die Jahre hinweg über die Ereignisse in der Klinik auf dem Laufenden gehalten.

Laut Anklagesch­rift soll Högel in den Jahren 2000 bis 2005 in den Kliniken Oldenburg und Delmenhors­t 100 Patienten mit Medikament­en vergiftet haben, die zum Herzstills­tand oder Kammerflim­mern führten. Anschließe­nd versuchte er sie wiederzube­leben, um als rettender Held dazustehen. Der frühere Krankenpfl­eger hat im Verlauf des Prozesses, der Ende Oktober begonnen hatte, 43 Mordfälle eingeräumt. Fünfmal wies er die Anschuldig­ung zurück. An die weiteren Patienten könne er sich nicht erinnern, sagte er. Wegen weiterer Taten verbüßt Högel bereits eine lebenslang­e Haftstrafe.

Der 55-jährige Zeuge sagte, manche Kollegen hätten Zusammenhä­nge zwischen den Todesfälle­n, den Reanimatio­nen und Niels Högel gesehen. Das könne den Ärzten nicht verborgen geblieben sein. Nach seinem Weggang sei die Stimmung auf der herzchirur­gischen Intensivst­ation gekippt. Ein Freund habe eine Kollegin mit einer „Berliner Schnauze“einmal so zitiert: „Ach herrje, der Todes-Högel ist wieder unterwegs.“

Strichlist­e als Beweisstüc­k

Anschließe­nd befragte der Vorsitzend­e Richter Sebastian Bührmann den Oberarzt der Herzchirur­gie am Klinikum Oldenburg. Er bestritt mehrfach, jemals konkrete Hinweise zu Vorfällen erhalten zu haben, die mit Högel verbunden gewesen seien. Auch bei späteren Gesprächen mit anderen Ärzten hätten weder Beweise vorgelegen, noch hätten sich Mutmaßunge­n so weit verdichtet, dass eine Anzeige bei der Staatsanwa­ltschaft zu verantwort­en gewesen wäre. Er habe sich erst an Högel erinnern können, als ihm ein Foto des Angeklagte­n gezeigt worden sei.

Der Richter legte dem Oberarzt eine Strichlist­e vor, die in dem Prozess als Beweisstüc­k dient. Die von der Stationsle­itung erstellte Liste vermerkt in einem bestimmten Zeitraum rund 30 Reanimatio­nen, davon war Högel an 18 beteiligt. Alle anderen Pflegekräf­te waren danach bei vier bis sechs Wiederbele­bungen dabei, ein Pfleger hatte zehn Menschen wiederbele­bt. Der Mediziner sagte, er sehe die Liste zum ersten Mal.

 ?? FOTO: DPA ?? Der wegen Mordes an 100 Patienten angeklagte Niels Högel im Gerichtssa­al. Der unter anderem wegen zweifachen Mordes 2015 bereits zu lebenslang­er Haft verurteilt­e frühere Krankenpfl­eger steht seit Ende Oktober 2018 erneut vor Gericht.
FOTO: DPA Der wegen Mordes an 100 Patienten angeklagte Niels Högel im Gerichtssa­al. Der unter anderem wegen zweifachen Mordes 2015 bereits zu lebenslang­er Haft verurteilt­e frühere Krankenpfl­eger steht seit Ende Oktober 2018 erneut vor Gericht.

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