Böse Träume nach Brandnacht in Friedrichshafen
Der mutmaßliche Brandstifter vom 30. Dezember hat Menschenleben und wirtschaftliche Existenzen gefährdet
FRIEDRICHSHAFEN - Die Nacht der Großbrände vom 30. Dezember ist seit dreieinhalb Wochen vorbei. Ihre Folgen sind es nicht. Durch die Brandstiftung in der Karlstraße 6 verlor Petra Rudolf ihr Raumausstattungsgeschäft. Somyos Seelaphong und seine Familie überraschte der Brand im Schlaf.
„Wenn die Feuerwehr später gekommen wäre, gäbe es vielleicht die ganze Karlspassage nicht mehr“, sagt Somyos Seelaphong. Dann wäre auch das Lokal „Bangkok am See“Geschichte, in dem Seelaphong Geschäftsführer ist. Das Lokal befindet sich Wand an Wand mit dem Raumausstattungsgeschäft Friedrich, das in der Nacht der Großbrände angesteckt wurde –ebenso wie sechs Autos im nahen Parkhaus am See und eine Lagerhalle der Bahn. Vor allem denkt Seelaphong aber an seine Familie, denn mit ihr lebt er im zweiten Stock des Hauses, das brannte: seiner Frau, seinen beiden Töchtern – vier ist die große, die kleine noch kein Jahr –, sowie seiner Tante. „Wir hatten Glück, dass meine Frau wach war“, erinnert er sich. Gegen fünf Uhr in der Früh stand sie an diesem Sonntag auf und sah vom Fenster aus die Flammen, die aus dem Geschäft im Erdgeschoss schlugen. Dann ging alles ganz schnell. „Wir haben nichts mitgenommen. Meine Frau ging im Schlafanzug und ohne Schuhe“, erzählt Somyos Seelaphong. Seine Frau verließ das Haus mit der jüngeren Tochter zuerst, nach ihnen ihr Mann und die Tante. Die ältere Tochter hatte nicht im Haus übernachtet. sondern beim Großvater. Das Treppenhaus war schon verraucht, als die Familie sich rettete. „Fünf Minuten später wäre es wegen des Qualms eng geworden“, ist der Familienvater überzeugt. „Ich konnte kaum atmen.“
Die Familie Seelaphong kam mit dem Schrecken davon. Die Wohnung wurde auf Giftstoffe infolge der Rauchentwicklung untersucht. Die Ergebnisse waren unbedenklich. Auch eine erste statische Untersuchung ergab keine statischen Schäden am Gebäude. Eine zweite Untersuchung steht aber noch aus. Zwei Tage nach dem Brand konnte die Familie zurück in ihre Wohnung. Bis in zwei Wochen wird sich der leichte Rauchgeruch verzogen haben, schätzt Somyos Seelaphong, der froh ist, dass die Einrichtung keinen Schaden genommen hat. Nur die Wohnungstür wird ausgetauscht werden müssen, weil die Feuerwehr sie aufzubrechen versuchte. Der Mieter im ersten Stock hatte weniger Glück. Der Rauch habe in den Räumen seiner Wohnung und auf der Inneneinrichtung einen klebrigen giftigen Film hinterlassen, erklärt Seelaphong. „Der Arme ist in eine Ferienwohnung gezogen und sucht eine andere Wohnung.“Die Familie von Somyos Seelaphong versucht, den Brand zu verarbeiten. „In der ersten Woche haben wir schlecht geschlafen, sind bei jedem Geräusch aufgewacht“, sagt er. Seine Frau ist mit den Töchtern vorübergehend nach Thailand gereist, um den Kopf freizubekommen.
Raumausstatterin macht weiter
Im Erdgeschoss desselben Hauses steht Petra Rudolf indes vor einem Totalschaden. Erst vor drei Jahren übernahm sie das Raumausstattungsgeschäft Friedrich von ihrer Tante und betreibt es nun in vierter Generation. Der Laden und die Fertigung sind ausgebrannt. „Mein Geschäft wurde in Container geschippt. Es existiert nichts mehr, außer den Mauern.“Ans Aufgeben denkt sie trotzdem nicht. „Ich liebe meinen Beruf“, sagt sie mit Entschiedenheit. Und an den mutmaßlichen Brandstifter gerichtet: „Von so jemandem lasse ich mir meinen Traum von der Selbstständigkeit nicht kaputt machen.“Sie macht weiter – mit einem ehrgeizigen Zeitplan. In vier bis sechs Monaten hofft Petra Rudolf, ihr Geschäft an derselben Stelle neu eröffnen zu können. Bis es so weit ist, wird die Fertigung – Näherei und Polsterei – provisorisch in die Mühl-öschstraße 13 in Langenargen ausgelagert. Hier findet sich auch ein kleines Lager von Musterstoffen. Weiterzumachen ist für Petra Friedrich auch eine Frage der Verantwortung für ihr kleines Mitarbeiterteam, zu dem nicht zuletzt zwei Lehrlinge gehören.
Um das Geschäft neu aufzubauen, muss Petra Rudolf ganz von vorn anfangen. Die ersten Schritte dazu hat sie unternommen. „Ich hatte keine Schere, keine Nähmaschine, kein Bügeleisen. Und die Stoffe sind alle weg“, zählt sie den Verlust auf. Die Stoffe gaben dem gelegten Feuer die ideale Nahrung, brannten wie Zunder. „Das Stofflager kriege ich so schnell nicht wieder aus dem Ärmel geschüttelt“, sagt Petra Rudolf. „Diese Stoffe kamen in einer fast fünfzigjährigen Firmengeschichte zusammen. Vieles kriege ich heute gar nicht mehr.“Dieser Verlust von Geschichte schmerzt besonders. „Da ist das Werkzeug, mit dem bestimmt schon mein Vater gearbeitet hat. Und ob der alte Kachelofen wieder betrieben werden kann, ist noch unklar“, sagt Petra Rudolf und fasst ihre Gefühle zusammen: „Es ist ja nicht nur der materielle Schaden, sondern das ganze Herzblut. Ich kannte sozusagen jede Vase im Laden mit Vornamen.“Alles, was Petra Rudolf retten konnte, sind ein paar Akten und der Computer, der zur Datensicherung gebracht wurde. Dadurch stehen nun die Kunden- und Lieferantenadressen wieder zur Verfügung. Die Kunden haben ein Einsehen und gedulden sich mit den Fertigungsterminen. „Wir müssen jetzt eben an die Rücklagen gehen und diese schwierige Zeit überstehen“, sagt Petra Rudolf. Sie hofft, dass die Versicherung den Schaden an der Einrichtung übernimmt. Schritt für Schritt will sie ihrem Unternehmen eine neue Zukunft eröffnen. „Ich habe schon eine Nähmaschine gekauft, ich habe einen Bügeltisch und eine Zuschneideplatte.“Ihr Krisenmotto kann man auf der Homepage lesen: „Unser Geschäft ist zwar abgebrannt, aber unsere Kreativität blieb.“
Bis Raumausstattung Friedrich das Geschäft in der Karlstraße 6 wieder aufgebaut hat, werden Kundenanfragen von Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 13.30 Uhr entgegengenommen unter Telefon 07541 / 224 28 oder per E- Mail an
info@ friedrich- fn. de