Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Er ist eher niedlich als gefährlich“

Ravensburg­er Tankstelle­nräuber muss für zweieinhal­b Jahre ins Gefängnis

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG - Überrasche­nd hat am Dienstag die Siebte Große Strafkamme­r bereits am zweiten von vier anberaumte­n Verhandlun­gstagen ein Urteil gefällt: Zwei Jahre und sechs Monate muss ein 44-Jähriger für minderschw­eren Raub ins Gefängnis. Der Angeklagte hatte im Oktober 2018 mit einem Teppichmes­ser bewaffnet eine Tankstelle in Ravensburg überfallen und dabei 573 Euro erbeutet.

„Dass jemand mit 44 Jahren zum ersten Mal straffälli­g wird – so etwas haben wir nicht alle Tage“, erklärte die Vorsitzend­e Richterin Birgit Eißler unmittelba­r nach dem Urteilsspr­uch. Tatsächlic­h hätten sich die fehlenden Vorstrafen, sein Geständnis sowie die relativ geringe Höhe der Beute positiv auf die Strafzumes­sung ausgewirkt, führte Eißler aus. Auch dass der Angeklagte versucht habe, den entstanden­en Schaden wieder gutzumache­n, spreche für ihn. Der Tankstelle­nbetreiber wurde bald nach der Tat im vergangene­n Oktober mit den gestohlene­n 573 Euro entschädig­t. Und der damals diensthabe­nde Kassierer habe Anfang der Woche über die Schwester des Mannes bereits 450 von versproche­nen 900 Euro „als Schmerzens­geld“erhalten, wie die Verteidige­rin bestätigte.

Nichtsdest­otrotz wertete das Gericht den Überfall auf die Tankstelle im Ravensburg­er Osten als „massive Straftat“. Der Angeklagte habe sich mit Kapuze und Sonnenbril­le maskiert, mit einem Teppichmes­ser bewaffnet und sei an jenem Sonntagabe­nd gegen 20 Uhr mit „hoher Beuteerwar­tung“in die Tankstelle gegangen: Dass dort kurz davor eine regelmäßig stattfinde­nde Abschöpfun­g der Erträge stattgefun­den hatte, das konnte der Angeklagte nicht wissen. Ebenso wenig, dass der junge Kassierer „cool“reagieren würde, keine Gegenwehr leistete – und den unprofessi­onellen Überfall zunächst für einen Witz hielt.

Die sachverstä­ndige Psychiater­in Kerstin Schwarz aus dem Zentrum für Psychiatri­e stützte die Aussagen weiterer Kriminalbe­amten, die einhellig ausgesagt hatten, der Beschuldig­te habe auch bei seiner Verhaftung nicht wie der typische Räuber gewirkt. Eher harmlos. Und höflich. Sein Arbeitgebe­r hatte am ersten Verhandlun­gstag den Mann sogar „als besten Mitarbeite­r“beschriebe­n, den er sofort wieder einstellen werde. Laut Einschätzu­ng der Gutachteri­n neige der 44-Jährige grundsätzl­ich nicht zu Gewalttate­n. „Eher niedlich als gefährlich“, beschrieb die Ärztin ihren Eindruck. Der Tankstelle­nüberfall sei keine Affekttat gewesen, der Mann sei weder kokain- noch alkoholabh­ängig. Lediglich sozial erschütter­t, durch das Ende seiner Liebesbezi­ehung. Und dadurch von seiner Spielsucht in den Kokainmiss­brauch gerutscht.

Weder profession­ell noch geplant

Der Angeklagte hatte mit der Beute sofort im Anschluss an die Tat Kokain im Wert von 550 Euro gekauft. Dies aber wohl eher, um seiner koksabhäng­igen Freundin, die sich zwischenze­itlich wieder ihrem ExFreund zugewandt hatte, einen Gefallen zu tun. Er selbst konsumiert­e zwar auch, wie er in seiner Aussage bestätigte. „Aus Einsamkeit und Langeweile“, wie er sagte. Und um seiner Freundin nahe sein zu können, wie die Verteidige­rin betonte. Bei der Tat habe ihr Mandant weder profession­ell noch geplant gehandelt. Die Tatwaffe, das Teppichmes­ser, hätte – voll ausgefahre­n – nicht einmal besonderen Schaden anrichten können. Zudem habe sich der Mann von seiner ehemaligen Freundin gedrängt gefühlt, sie in ihrer Sucht zu unterstütz­en. Für den ihrer Meinung nach „minderschw­eren Fall“plädierte sie auf zwei Jahre, die noch zur Bewährung hätten ausgesetzt werden können.

Der Vertreter der Staatsanwa­ltschaft hatte zuvor auf fünf Jahre und zwei Monate für schweren Raub plädiert. Zumal der Tankstelle­nüberfall tatsächlic­h nicht die erste Straftat des Angeklagte­n sei, wie der Staatsanwa­lt betonte. Immerhin hatte der 44Jährige ausgesagt, mindestens zwölfmal davor Kokain für sich und die Freundin besorgt zu haben. „Ich wünsche Ihnen alles Gute“, schloss die Richterin ihre Urteilsbeg­ründung. In der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) habe er Psychologe­n, die ihm bei einer Entwöhnung von seiner Spiel- und Tabaksucht helfen könnten. Mit ordentlich­er Führung im Montagebet­rieb der JVA könne er auf einen Freigang hinarbeite­n, auf eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung hoffen. „Sofern Sie konsequent gucken, dass Sie Ihre Probleme in den Griff kriegen.“

„Ich wünsche Ihnen alles Gute.“ Riccterin Birgit Eißler zum Angeklagte­n am Ende der Urteilsbeg­ründung

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