Krankenhäuser schaffen das nicht allein
Immer mehr Menschen kommen wegen psychischer Probleme in die Bezirkskliniken
ALLGÄU - „Wenn 28 Patienten auf einer Station liegen, die für 22 konzipiert ist, dann ist das belastend. Sowohl für die Patienten, als auch für das Personal“, sagt Dr. Albert Putzhammer, ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kaufbeurer Bezirkskrankenhaus. Trotzdem komme das, genau wie in anderen Fachrichtungen, vor. Denn die Krankenhäuser sind zur Aufnahme der Patienten verpflichtet. Mehr Betten, da sind sich Putzhammer und andere Experten einig, seien nicht die Lösung. Vielmehr komme es auf eine gute ambulante Versorgung und die Zusammenarbeit mit anderen Anlaufstellen für Menschen mit psychischen Problemen an.
Fünf Bezirkskliniken gibt es im Allgäu, nämlich in Kempten, Kaufbeuren, Memmingen, Lindau und Obergünzburg. Sie alle seien im Schnitt zu 100 Prozent ausgelastet, sagt Thomas Düll, Vorstandsvorsitzender der Bezirkskliniken Schwaben. Mal seien noch Plätze frei, oft aber seien mehr Patienten in den Häusern als vorgesehen. Dann werde improvisiert, so dass sich manchmal mehr Personen als üblich ein Zimmer teilen. Die Patienten hätten dafür weitestgehend Verständnis, sagt Putzhammer.
Mehr Betten, da sind sich Düll und Putzhammer einig, seien nicht die Lösung. „Wir versuchen viel ambulant zu arbeiten“, sagt Düll. So sollen die Menschen gar nicht erst in eine Situation kommen, in der ein Klinikaufenthalt nötig ist. Wenn der aber unumgänglich ist, setzen die Verantwortlichen auf eine stufenweise Entlassung: vom stationären Aufenthalt über die Tagesklinik bis hin zur ambulanten Versorgung.
Auch Putzhammer sagt: „Unsere Philosophie ist: ambulant vor stationär.“Dafür sei die Zusammenarbeit beispielsweise mit niedergelassenen Ärzten und Beratungsstellen wichtig. „Krankenhäuser allein können die Versorgung nicht stemmen.“
Eine mögliche Erklärung für die vollen Kliniken ist der veränderte Umgang mit psychischen Krankheiten im Allgemeinen. Das Wissen in der Bevölkerung darüber nehme zu und sie verlören nach und nach ihr Stigma, sagt Putzhammer. Auch änderten sich die familiären Strukturen, die früher oftmals einiges abgefangen hätten. „Die Menschen sind heute außerdem offener und bereit, Hilfe anzunehmen. Zu uns kommen viele Menschen aus der Mitte der Gesellschaft“, erklärt Dr. Markus Jäger, Chef des Bezirkskrankenhauses Kempten. Mit dem Umzug der Klinik im Jahr 2015 wurde dort die Zahl der Betten auf 120 aufgestockt. Zuvor, räumt Düll ein, sei Kempten unterversorgt gewesen.
Das Haus in Memmingen hat schon vor längerem 20 zusätzliche Betten bewilligt bekommen – die es ob der baulichen Situation vor Ort noch nicht gibt. Gebraucht werden sie aber.
Das liege auch an der veränderten Berufswelt. „Früher gab es eine stärkere körperliche Belastung, was zu Krankheiten an Muskeln und Knochen führte,“sagt der ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses Memmingen, Dr. Andreas Küthmann. Heute seien Arbeitnehmer oft psychisch stärker gefordert. Das sieht auch Putzhammer so und argumentiert mit Zahlen. Die Ursache für eine Frühverrentung war im Jahr 2007 bei Frauen zu knapp 40 Prozent im psychischen Bereich zu finden, mittlerweile liegt der Wert bei etwa 50 Prozent. Bei Männern stieg der
Dr. Albert Putzhammer, ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kaufbeurer Bezirkskrankenhaus
Prozentsatz von 29 auf 37. Gleichzeitig sind Muskel- und Skelettkrankheiten seltener der Grund für Erwerbsunfähigkeit. Das liege nicht nur daran, dass immer mehr Menschen im Dienstleistungssektor arbeiten, sondern auch an fehlender Prävention, erklärt Putzhammer.
Prävention noch nicht flächendeckend
„Unsere Philosophie ist: ambulant vor stationär.“
Wo noch körperlich gearbeitet wird, gebe es mittlerweile oft mechanische Hilfsmittel und andere vorbeugende Maßnahmen. Im Bereich der Dienstleistungen sei Prävention dagegen noch nicht flächendeckend angekommen. Aber: Es gebe einzelne Firmen, die für ihre Mitarbeiter Seminare zum Umgang mit Stress anbieten. Andere sorgten zum Beispiel dafür, dass die Arbeitnehmer nicht rund um die Uhr Zugang zu geschäftlichen Mails haben.
Bettenzahl der BKH Kaufbeuren: 202 Betten, 20 Plätze in der Tagesklinik
Kempten: 120 Betten, 35 Plätze in der Tagesklinik
Memmingen: 40 Betten, zwölf Plätze in der Tagesklinik
Lindau: keine stationären Plätze, 20 Plätze in der Tagesklinik Obergünzburg: 50 Betten, keine Tagesklinik