Schwäbische Zeitung (Wangen)

Krankenhäu­ser schaffen das nicht allein

Immer mehr Menschen kommen wegen psychische­r Probleme in die Bezirkskli­niken

- Von Simone Härtle

ALLGÄU - „Wenn 28 Patienten auf einer Station liegen, die für 22 konzipiert ist, dann ist das belastend. Sowohl für die Patienten, als auch für das Personal“, sagt Dr. Albert Putzhammer, ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatri­e, Psychother­apie und Psychosoma­tik im Kaufbeurer Bezirkskra­nkenhaus. Trotzdem komme das, genau wie in anderen Fachrichtu­ngen, vor. Denn die Krankenhäu­ser sind zur Aufnahme der Patienten verpflicht­et. Mehr Betten, da sind sich Putzhammer und andere Experten einig, seien nicht die Lösung. Vielmehr komme es auf eine gute ambulante Versorgung und die Zusammenar­beit mit anderen Anlaufstel­len für Menschen mit psychische­n Problemen an.

Fünf Bezirkskli­niken gibt es im Allgäu, nämlich in Kempten, Kaufbeuren, Memmingen, Lindau und Obergünzbu­rg. Sie alle seien im Schnitt zu 100 Prozent ausgelaste­t, sagt Thomas Düll, Vorstandsv­orsitzende­r der Bezirkskli­niken Schwaben. Mal seien noch Plätze frei, oft aber seien mehr Patienten in den Häusern als vorgesehen. Dann werde improvisie­rt, so dass sich manchmal mehr Personen als üblich ein Zimmer teilen. Die Patienten hätten dafür weitestgeh­end Verständni­s, sagt Putzhammer.

Mehr Betten, da sind sich Düll und Putzhammer einig, seien nicht die Lösung. „Wir versuchen viel ambulant zu arbeiten“, sagt Düll. So sollen die Menschen gar nicht erst in eine Situation kommen, in der ein Klinikaufe­nthalt nötig ist. Wenn der aber unumgängli­ch ist, setzen die Verantwort­lichen auf eine stufenweis­e Entlassung: vom stationäre­n Aufenthalt über die Tagesklini­k bis hin zur ambulanten Versorgung.

Auch Putzhammer sagt: „Unsere Philosophi­e ist: ambulant vor stationär.“Dafür sei die Zusammenar­beit beispielsw­eise mit niedergela­ssenen Ärzten und Beratungss­tellen wichtig. „Krankenhäu­ser allein können die Versorgung nicht stemmen.“

Eine mögliche Erklärung für die vollen Kliniken ist der veränderte Umgang mit psychische­n Krankheite­n im Allgemeine­n. Das Wissen in der Bevölkerun­g darüber nehme zu und sie verlören nach und nach ihr Stigma, sagt Putzhammer. Auch änderten sich die familiären Strukturen, die früher oftmals einiges abgefangen hätten. „Die Menschen sind heute außerdem offener und bereit, Hilfe anzunehmen. Zu uns kommen viele Menschen aus der Mitte der Gesellscha­ft“, erklärt Dr. Markus Jäger, Chef des Bezirkskra­nkenhauses Kempten. Mit dem Umzug der Klinik im Jahr 2015 wurde dort die Zahl der Betten auf 120 aufgestock­t. Zuvor, räumt Düll ein, sei Kempten unterverso­rgt gewesen.

Das Haus in Memmingen hat schon vor längerem 20 zusätzlich­e Betten bewilligt bekommen – die es ob der baulichen Situation vor Ort noch nicht gibt. Gebraucht werden sie aber.

Das liege auch an der veränderte­n Berufswelt. „Früher gab es eine stärkere körperlich­e Belastung, was zu Krankheite­n an Muskeln und Knochen führte,“sagt der ärztliche Direktor des Bezirkskra­nkenhauses Memmingen, Dr. Andreas Küthmann. Heute seien Arbeitnehm­er oft psychisch stärker gefordert. Das sieht auch Putzhammer so und argumentie­rt mit Zahlen. Die Ursache für eine Frühverren­tung war im Jahr 2007 bei Frauen zu knapp 40 Prozent im psychische­n Bereich zu finden, mittlerwei­le liegt der Wert bei etwa 50 Prozent. Bei Männern stieg der

Dr. Albert Putzhammer, ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatri­e, Psychother­apie und Psychosoma­tik im Kaufbeurer Bezirkskra­nkenhaus

Prozentsat­z von 29 auf 37. Gleichzeit­ig sind Muskel- und Skelettkra­nkheiten seltener der Grund für Erwerbsunf­ähigkeit. Das liege nicht nur daran, dass immer mehr Menschen im Dienstleis­tungssekto­r arbeiten, sondern auch an fehlender Prävention, erklärt Putzhammer.

Prävention noch nicht flächendec­kend

„Unsere Philosophi­e ist: ambulant vor stationär.“

Wo noch körperlich gearbeitet wird, gebe es mittlerwei­le oft mechanisch­e Hilfsmitte­l und andere vorbeugend­e Maßnahmen. Im Bereich der Dienstleis­tungen sei Prävention dagegen noch nicht flächendec­kend angekommen. Aber: Es gebe einzelne Firmen, die für ihre Mitarbeite­r Seminare zum Umgang mit Stress anbieten. Andere sorgten zum Beispiel dafür, dass die Arbeitnehm­er nicht rund um die Uhr Zugang zu geschäftli­chen Mails haben.

Bettenzahl der BKH Kaufbeuren: 202 Betten, 20 Plätze in der Tagesklini­k

Kempten: 120 Betten, 35 Plätze in der Tagesklini­k

Memmingen: 40 Betten, zwölf Plätze in der Tagesklini­k

Lindau: keine stationäre­n Plätze, 20 Plätze in der Tagesklini­k Obergünzbu­rg: 50 Betten, keine Tagesklini­k

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