Der neue Christian Prokop
Handball-Bundestrainer zeigt sich kommunikativ wie nie – Euphorie nach Halbfinaleinzug
KÖLN - Wiederholt wischte Bob Hanning mit der Hand über sein Gesicht, vergrub seine Augen und wiederholte beinahe mantraartig: „Bitte nicht, bitte nicht.“Nein, nicht eine drohende nächste Hiobsbotschaft ließ den Vizepräsidenten des deutschen Handballbundes (DHB) erschaudern; die Verletzung des Balinger Spielmachers Martin Strobel beim 22:21 gegen Kroatien, das Deutschland vorzeitig das WM-Halbfinale bescherte, blieb der einzige Makel im ansonsten bislang so perfekten Wintermärchen. Hanning zitterte vor den drohenden Ausführungen von Paul Drux. Der DHBRückraumspieler genoss an diesem Mittwochmorgen in Köln vor den Journalisten den Moment, beugte sich zum Mikro, grinste noch einmal kurz und sagte dann: „Meine Favoritin ist immer noch Leila“. Leila, das ist nicht etwa der Code für eine jener vielfältigen Taktikvariationen, die Bundestrainer Christian Prokop seinen Spielern gerne mal während der Auszeiten zuruft. Leila ist schlicht Drux’ Liebling in der RTL-Trash-Doku „Dschungelcamp“– das ein Teil der Handballer sich gerne anschaut. Und auch wenn Drux schnell nachschob: „Wir haben auch einige Brettspiele hier und gucken nicht nur ,Dschungelcamp‘“: Wenn es auf einer Nach-Spiel-Pressekonferenz so launig zugeht, müssen die Umstände außergewöhnlich sein.
Christian Prokop saß derweil ebenfalls lächelnd neben seinem Spieler. Allen dreien da oben war die kurze Nacht anzusehen. Die Augen etwas glasig, wurden Witze eingestreut und auch Abseitiges zum Sport besprochen. Das Auftreten stand symbolisch für die neue Art des Bundestrainers. Beziehungsweise die wiederentdeckte Seite, wie Hanning betonte. Der neue Prokop ist lockerer und gelöster. Jemand, der seinen Spielern während der Partie klare Lösungen an die Hand gibt, sie aber bei seinen Entscheidungsprozessen mit einbindet und seinen Kader so hinter sich weiß.
Ein Zustand, der noch vor einem Jahr undenkbar schien. Da war der heute 40-Jährige bei seiner ersten großen Hürde als Bundestrainer krachend gescheitert. Nur Rang neun bei der EM. Und noch viel gravierender: Der aus Leipzig gekommene Nachfolger von Dagur Sigurðsson erreichte die Mannschaft nicht. Seine Spieltaktik überfordere die Spieler, gar von einem Aufstand gegen den autoritär re- gierenden Trainer war die Rede gewesen. Ob’s stimmt oder nicht: Die Stimmung war schlecht. Erst nach einer außerordentlichen Präsidiumssitzung stand fest: Prokop darf weitermachen. Doch all das scheint nun ganz weit in der Vergangenheit zu liegen. Seine Spielideen gehen nun auf, das Team scheint ihn zu verstehen. „Ich blicke jetzt nicht mehr häufig zurück, wir haben das neun Monate lang intensiv aufgearbeitet“, sagt Prokop, der während seiner Auszeiten bei der WM nun beinahe schon überkollegial wirkt, wenn er seine Stimme erhebt und in den Kreis fragt: „Männer, was meint ihr?“
Als der Trainer nun zum Spiel gegen Kroatien sagte, dass es die „schwerste Prüfung“und „größte Herausforderung“gewesen sei, hätten es auch Worte sein können, die seine Lage beschreiben. Die Heim-WM war seine Reifeprüfung. Ein Scheitern hätte das Aus bedeutet. Doch das Halbfinale ist schon vor dem letzten Hauptrundenspiel gegen Spanien (20.30/ ARD) erreicht, der Trainer fester im Sattel denn je. Dafür hat er einiges getan.
Sein öffentliches Auftreten wirkt souveräner, Prokop ist nicht mehr nur der distanzierte Handballprofessor.
„Ich finde, dass wir alle hier allgemein ein gutes Bild abgeben und eine sympathische WM präsentieren.“
„Ich finde, dass wir alle hier allgemein ein gutes Bild abgeben und eine sympathische WM präsentieren“, so Prokop am Dienstag.
Er spricht nun von „Fabi“, wenn er Fabian Wiede meint, von „Peke“, wenn er von Hendrik Pekeler spricht. Finn Lemke hieß – auch zu Finn Lemkes Überraschung – in der Kabine plötzlich „Finni“. Auf dessen Frage, wie
Christian Prokop
denn der Coach auf diesen Namen gekommen sei, schließlich sage doch sonst keiner „Finni“zu ihm, soll Prokop gesagt haben: „Ich mag dich jetzt, also heißt du Finni.“Erzählt hat die Geschichte Torwart Silvio Heinevetter vor dem Kroatien-Spiel im ZDF. Allein, dass das möglich ist, zeigt die neue Lockerheit in der Nationalmannschaft.
Es scheint so, als wäre der Bundestrainer nun einer von den Spielern, die Distanz aufgebrochen. Auch die Spie- ler selbst betonen, dass Prokop nun „mehr Spaß in die Truppe“bringe (Pekeler) – im Training und im Hotel. Yannik Kohlbacher meinte: „Wir haben besser zusammengefunden“. Die Kommunikation sei nun einfach besser, obwohl man nur wenig verändert hätte. „Es hilft, dass wir uns länger kennen“, sagte Steffen Weinhold: Man verstehe nun „manchmal vielleicht seine Denkweise, und er versteht mal eine Denkweise eines Spielers – da kann man sich ein bisschen treffen“.
Doch ob das große Zusammenraufen nun wirklich allein an der Wandlung des Christian Prokop liegt? „Wichtig ist nicht, dass Christian sich verändert hat oder wieder zum Alten geworden ist – das war nicht entscheidend. Es ging darum, dass wir überzeugt davon waren, dass die Mannschaft den Intellekt besitzt, und wir ihnen zutrauen, dass sie dafür bereit sind, sich darauf einzulassen und sich verändern“, erklärt Hanning.
Das Zusammenspiel zwischen Trainer und Mannschaft funktioniert. Am Dienstag gab es einen Tag mehr zur Erholung. Trainingsfrei. „Wir wollen vom Handball wegkommen und an andere Dinge denken“, sagte Prokop. Doch eines stand nicht auf seinem Plan. „Ich gucke nicht ,Dschungelcamp‘.“