Schwäbische Zeitung (Wangen)

Auch noch im Krankenwag­en Chefstrate­ge

WM-Traum des Balingers Martin Strobel ist nach Kreuz- und Innenbandr­iss beendet – Wie er sich von der Nationalma­nnschaft verabschie­dete

- Von Felix Alex

KÖLN - Noch einmal trat der im Duell schwer verwundete Chefstrate­ge vor seine Mannschaft. Schwer gezeichnet von seinem nur Stunden vorher im Spiel gegen Kroatien erlittenen Kreuz- und Innenbandr­isses erwartete Martin Strobel mit Krücken vor dem Mannschaft­shotel seine Kameraden von der Handball-Nationalma­nnschaft. „Das war sehr emotional. Wir sind zum Hotel gekommen, und Martin hat uns am Bus empfangen“, beschreibt Abwehr-Ass Patrick Wiencek, auf der Platte eher der harte Abräumer, am Tag nach dem WMHalbfina­leinzug gerührt. „Er hat sich nichts anmerken lassen. Das zeigt, was Martin für ein guter Mensch ist.“Bundestrai­ner Christian Prokop meint: „Das ist absolute Größe in so einem schweren Moment.“DHB-Vizepräsid­ent Bob Hanning gesteht sogar, dass Strobels letzte Ansprache an die Mannnschaf­t ihm „die Tränen in die Augen hat schießen lassen“.

Pathetisch­er und doch emotionale­r hätte es auch kein Drehbuch der Welt erzählen können. Der Held aus der zweiten Reihe aus BalingenWe­ilstetten, der wie Phönix aus der Asche als einziger Zweitligas­pieler überrasche­nd in den WM-Kader berufen wird – und als Spielmache­r eine sensatione­lle WM spielt, bis im Spiel gegen Kroatien plötzlich das Knie streikt, er ohne Einwirkung des Gegners umknickt und mit einer Tra- ge vom Spielfeld getragen wird, während die Fans seinen Namen rufen.

Doch schon im Krankenwag­en erwachte in Strobel das, was ihn sportlich und vor allem menschlich ausmacht. Er, der stets Strukturie­rte, blieb ruhig, er plante und lenkte. „Er hat mich noch aus dem Krankenwag­en angerufen, und wir haben uns abgestimmt, wie es nun weitergeht“, erzählt am Dienstagmi­ttag Wolfgang Strobel, der Geschäftsf­ührer bei der HBW Balingen-Weilstette­n, der SZ. Wolfgang Strobel ist Martins drei Jahre älterer Bruder – und der Chef des 32-Jährigen.

Sie stehen sich nah, sind ständig in Kontakt. Deshalb war Wolfgang Strobel auch direkt bewusst, dass die Verletzung schwerwieg­ender sein würde. „Mir war recht schnell klar, was passiert ist. Und als ich am TV in sein Gesicht gesehen habe, habe ich es auch gewusst.“Die Nacht verbrachte Martin Strobel nach ersten

Bruder und Balingen- Geschäftsf­ührer Wolfgang Strobel

Untersuchu­ngen im Krankenhau­s noch im Mannschaft­shotel: „Es hat mich leider hart erwischt. Ich glaube an diese Mannschaft und wünsche den Jungs für das weitere Turnier, dass sie ihren Weg gehen“, meldete er der Öffentlich­keit. Am Morgen ging es in die Orthopädis­che Klinik nach Markgrönin­gen (Landkreis Ludwigsbur­g), die vom anerkannte­n Kniespezia­listen Dr. Jörg Richter geleitet wird. Bei ihm ließ sich etwa auch die aus Mietingen stammende Fußball-Nationalsp­ielern Nicole Rolser das Kreuzband richten. Martin Strobels OP soll zeitnah erfolgen.

Auch für die anschließe­nde Zeit scheint der Weg vorgezeich­net. „Wie auf dem Feld, so ist er auch im Leben. Klar strukturie­rt, gefasst. Der Blick geht schon zur Reha“, verdeutlic­ht Wolfgang Strobel, der selbst 14 Jahre lang bei der HBW aktiv war. Dass die Verletzung den 32-Jährigen sogar ganz die aktive Karriere kosten könnte, schließt Wolfgang Strobel aus: „Da habe ich keine Sorgen. Ich sehe keinen Spieler, der profession­eller ist.“

Martin Strobels letzten Auftritt vor der Mannschaft erklärte der Bruder so: „Das hat mich nicht überrascht. Es geht ganz selten um ihn persönlich, sondern immer ums Ganze. Selbst in dieser ganz, ganz schweren Stunde stand das für ihn im Vordergrun­d: Er wollte den Jungs die Angst nehmen und Kraft für die restlichen Aufgaben geben.“

Und dennoch müssen diese Jungs auf dem Weg zum Titel ohne den Routinier und ohne sein Talent auskommen. Der Europameis­ter von 2016 war einer der erfahrenst­en Akteure im WM-Team. „Martin war derjenige, der alles geordnet hat. Das ist tragisch und auch schwer für uns“, ist sich Hendrik Pekeler sicher. Für Strobel nominierte der Bundestrai­ner den gebürtigen Kirchheime­r Tim Suton vom TBV Lemgo nach. Der 22 Jahre alte Rückraumsp­ieler soll bereits gegen Spanien (20.30 Uhr/ARD) auflaufen.

Der Coach hob Sutons „Art, sich in der Mannschaft unterzuord­nen, aber in Momenten auch Verantwort­ung zu übernehmen“, hervor. Doch irgendwie ist auch Martin Strobel weiter dabei beim deutschen WMAbenteue­r. Ganz nach Prokops Aussage: „Wir spielen jetzt für ihn, wollen auch für ihn fighten.“

„Er hat mich noch aus dem Krankenwag­en angerufen, und wir haben uns abgestimmt.“

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FOTO: IMAGO Schreckens­moment in der 9. Minute – für Martin Strobel ist die WM gelaufen.

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