„Ich glaube nicht, dass ich ein Visionär war“
Ein Gespräch mit dem Kabarettisten Gerhard Polt, der auch nach 40 Jahren immer noch genug Stoff findet
MÜNCHEN - Gerhard Polt ist einer der bedeutendsten Kabarettisten deutscher, oder besser: bayerischer Zunge. Seit 40 Jahren steht er auf der Bühne, meist allein, aber oft auch mit anderen. Legendär sind seine Bühnenprogramme mit Dieter Hildebrandt und der Biermösl Blosn. Mit Florian Kinast hat er über den Rechtsruck in Europa und die Veränderungen in der bayerischen Politik gesprochen. Und darüber, dass „der Mensch nicht so schnell durch eine andere Menschheit ersetzt wird“.
Herr Polt, war’s das?
Ich glaub nicht. Warum?
Weil Ihre jüngste CD „Schee war’s“heißt. Schwingt da ein Hauch von Abschied mit?
Gar nicht. Ich hab noch immer neue Sachen gemacht, warum sollte ich nicht nach vorn schauen. Noch leb ich, noch hab ich die Zuversicht, dass ich morgen frühstücken kann und mir wieder was Neues einfällt.
So viel hat sich in dieser Welt gewandelt in diesen 40 Jahren, viele Ihrer Stücke und Sketche von damals sind bis heute aktuell. Waren Sie Ihrer Zeit voraus?
Ich glaube nicht, dass ich der große Visionär war. Wenn man den Menschen zuhört und sich auf sie einlässt, dann spürt man, dass der Mensch nicht so schnell durch eine andere Menschheit ersetzt wird. Wurscht, ob Sie sich ein Shakespeare-Stück anschauen oder einen alten Römer lesen wie den Seneca: In der Beschreibung dieser Menschen finden wir uns auch selbst wieder. Damals wie heute mit all den Schwächen und Stärken, die den Menschen ausmachen. Mit all dem Positiven wie dem Miserabligen. Unabhängig von all den Veränderungen ringsherum.
Gibt es Veränderungen, die Ihnen Angst machen – der Rechtsruck in Europa, der Triumphzug des Populismus?
Letzten Samstag waren wir in den Kammerspielen bei unserem Benefizabend für das „Forum Humor“. Da hat die Gisela Schneeberger einen Text vorgelesen von Martin Morlock, einem der großen Kabarettautoren der Nachkriegszeit, der 1950 geschrieben hat: „Man trägt wieder Nationalismus.“Man erschrickt, wenn man feststellt, wie das auch auf die Gegenwart übertragbar ist. Die nationalistische Krankheit ist seit dem 19. Jahrhundert in Europa immer präsent und leider gibt es bis heute Leute, die die Nation an sich immer so hochhalten. Für mich hat das was entsetzlich Dumpfes. Schauen Sie nur nach Italien. Gerade hab ich gehört, dass der Salvini bei den Regionalwahlen in den Abruzzen wieder triumphiert hat. Ich weiß nicht, was die Leute bewegt, dass sie ANZEIGE dem nachlaufen. Mir ist das ein Rätsel. Wie beim Rattenfänger von Hameln. Ich hätte immer gern gewusst, was für eine Musik der gespielt hat, dass ihm die ganzen Ratzen hinterherrennen.
Es gab immer wieder Gegenströmungen. Sehen Sie den Rechtspopulismus als Wellenbewegung, der auch mal wieder abebbt?
Ich glaube, es ist wie in der Geschichte des Klimas. Mal hat’s heiße Zeiten gegeben, mal kalte. Und wenn’s eine Eiszeit gab, dann ist sie irgendwann wieder aufgetaut. Nur kommt es für uns selbst ja auf die Gegenwart an, auf die Zeit, in der wir leben. So wie eine Eintagsfliege auch keine 1000 Jahre Zeit zum Warten hat, so treibt auch uns die Ungeduld um, Strömungen, die uns missfallen, ganz schnell verschwinden zu sehen.
Eine Konstante Ihres Schaffens ist die Regierungsmacht der CSU im Freistaat. Und doch, wie sehr hat sich Bayern verändert?
Ziemlich. Dieter Hildebrandt hat damals mal den schönen Satz gesagt: „Wenn eine Partei in einem Land einen Putsch macht, dann beschlagnahmen sie sofort die Fernsehstation und den Radiosender. Die CSU braucht das nicht mehr machen.“Wenn ich an die Zeiten der alten Herrscher im BR denke wie Reinhold Vöth (Intendant von 1972 bis 1990, d. Red.), da ist schon vieles anders geworden, sehr viel liberaler.
Früher wurden Sie im Bayerischen Fernsehen zensiert, heute haben kritische Geister wie Sie, die WellBrüder oder andere Kabarettisten reichlich Sendeplatz.
Genau. Das ist besser als früher. Manches ist in der Gesellschaft hingegen schlechter geworden, vieles einfach anders. Ein großer Unterschied ist etwa: Früher als Kind, da bin ich immer gern in eine Geisterbahn gegangen, da bin ich richtig erschrocken. Heute ist es so, wenn ich aus der Geisterbahn komme und in ein Bierzelt reingehe, dann erschrecke ich noch viel mehr.
Sie sprachen einmal von der heutigen „Instant-Griabigkeit“. War es früher zünftiger?
Zumindest wenn ich mir Wirtshäuser anschaue, ja. Heute muss ja alles schnell gehen, die Leute gehen hin, konsumieren und gehen wieder. Früher sind die Leut’ da stundenlang dring’hockt und haben geratscht. Oder denken Sie an den „Wagen von der Linie 8“vom Weiß Ferdl. So eine Trambahnsituation kann es heute schon gar nicht mehr geben. Die Leute haben heute Stöpsel im Ohrwaschel, schauen auf das Handy in der Hand und zwischendrin beißt man noch in seinen Döner rein.
Heute schreibt man WhatsApps, früher hat man geredet.
Viel mehr geredet. Auch inhaltlich ist es anders geworden. Wenn man was erzählt, dann nicht mehr das, was man selbst erlebt hat, sondern was man in den Medien gesehen hat. Oder man teilt sich mit, indem man in New York sitzt und auf seinem Teller fotografiert, welche Beilagen man zum Schnitzel hat. Und im nächsten Moment weiß es die ganze Welt. Da staune ich nur noch. Außerdem war das ganze Umfeld eine ganz andere Szenerie. Die Wahrnehmungen, die Sinneseindrücke haben sich geändert. Die Gerüche früher in München, da eine Polsterei, ein Schreiner, ein Installateur, ein Spangler, all die Gerüche gibt es doch nimmer. München ist ziemlich ausgrammt. Ausgeräumt und aufgeräumt.
Ist Ihnen München zu glatt und keimfrei geworden?
Ich habe einfach meine persönlichen Erinnerungen und sage, damals war es so und heute ist es anders. Ich kann nicht sagen: Toll, dass ich noch die Kriegsveteranen erlebt habe, die mit einem Hax und einem Schulterschuss durch die Gegend gehatscht sind. Die haben damals zum Stadtbild dazugehört. Ich kann schlecht verlangen, dass man diese Leute heute wiedersieht. Ich sage nur: Es hat damals mehr gemenschelt und das tut es heute nicht mehr.
Sie haben mal gesagt, das Leben ist nur mit Humor zu ertragen.
So ist es. Sie wissen ja von dem Projekt vom „Haus des Humors“, für das ich mich engagiere und das wir mit dem Förderverein „Forum Humor“auf dem Münchner Schlachthofgelände in der alten Viehhof-Bank eröffnen wollen. Humor ist ein wahnsinnig interessantes Thema, das in vielerlei Hinsicht Fragen aufwirft: Wer hat Humor? Wo hört er auf? Warum hört er auf? Wer ist gegen welchen Humor? Humor ist wann? Wo war er? Da gibt es viele Fragen.
Zum Beispiel auch, als die Narrhallas Andreas Gabalier den Karl-Valentin-Orden verlieh?
Wobei, man kann die Sache ja auch umdrehen, in dem man sagt: Genau das war ja das Valentineske. Wenn man es so sieht und sagt: Ist diese Preisverleihung nicht völlig grotesk? Dann sind wir doch wieder beim Karl Valentin.
Hält der Humor auch jung?
Ich fürchte schon.
Also keine Abschiedspläne von der Bühne?
Nein. Ich hab das Glück, dass ich körperlich auch noch gut beieinander bin. Das ist doch das Schöne an Berufen wie solchen. Wurscht, ob Kunstmaler, Musiker, Schauspieler, Journalist, Schriftsteller, wenn man gesund ist, geht das bis ins hohe Alter. Wenn ein Dachdecker aufhört, weil ihm das Kreuz weh tut und das Kreuz dann hin ist, dann verstehe ich sehr wohl, dass der aufhört. Aber in künstlerischen Berufen? Solang ich interessiert bin und gesund und ich eine Gaudi hab, warum sollte ich aufhören. Das würde ich nicht einsehen.