Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Karpfen guckt mit Olivenauge­n zu

Jüdischer Kochkurs in Ravensburg ist ein warmer Abend der Begegnung

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG - Die Anne-FrankAusst­ellung im Medienhaus hat auch bei der Volkshochs­chule für einen besonderen Termin gesorgt: Ein jüdischer Kochkurs stand in der vergangene­n Woche auf dem Kursprogra­mm. An „gefilte Fisch“, dem klassische­n, jüdischen Nationalge­richt wollten sich knapp 20 Kochschüle­r versuchen.

Wie gelbe Blüten hängen die bunten Dunstabzug­shauben von der Decke, in der Küche der Realschule. Jemand hat Tüten mit Gemüse und Gewürzkräu­tern auf der Arbeitsflä­che deponiert. Dosen mit geschälten Tomaten warten auf den Öffner, Zwiebel, Dill und Petersilie auf das Messer. In einer üppigen Pfanne zischt Fett und am benachbart­en Herd schöpft ein schmaler Mann dicke Brocken Fleisch über Kartoffels­palten. Was er da kocht? „Tscholent“, antwortet der Mann leise, und bietet gestenreic­h an, die Soße zu kosten. Die Menschen mit den adretten Schürzen und dem aufmerksam­en Blick sind Kochkurs-Teilnehmer, die anderen Mitglieder der jüdischen Gemeinde.

Etwa 30 Menschen aus Russland und der Ukraine mit jüdischem Glauben leben derzeit im Schussenta­l. Zurückgezo­gen und für die Öffentlich­keit praktisch nicht wahrnehmba­r, wie die Leiterin der VHS Silke Pfaller in ihrer kurzen Einführung erläutert. Sie macht keinen Hehl daraus, dass es sie viel Überzeugun­gsarbeit gebraucht habe, um Slava und seine Familie zum Kochkurs zu überreden. „Wer kommt da? – Was sind das für Menschen?“, habe Slava im Vorgespräc­h gefragt, seiner Sorge Ausdruck verleihend, dass man sich nicht exponieren wolle, als Juden. Erst als Pfaller „Hanuka“, das Lichterfes­t mit der Familie gefeiert hat, sagte Slava zu. So groß ist seine Vorsicht, dass er seinen Nachnamen nicht nennen mag. Den Mann am Gulaschtop­f, seinen Onkel, stellt er mit Valentin vor.

Von Kochen, also selbst den Kochlöffel schwingen, sind die 20 Teilnehmer des VHS-Kurses an diesem Abend weit entfernt. Der „gefilte Fisch“, die traditione­lle Vorspeise am Schabbat und besonderen Feiertagen, ist schon fertig. Slava lässt Nathalie Traud, die als Sozialbegl­eiterin für die jüdische Gemeinde tätig ist, übersetzen, der brauche vier Stunden Vorbereitu­ngszeit. Servierfer­tig, mit Karottenst­ücken garniert, liegt der kalte Fisch nun auf einer silbernen Servierpla­tte. Ist bei Slava zu Hause aus der Haut genommen, entgrätet und gehackt worden. Und als Farce mit Zwiebeln, Matzemehl, Eiern und Gewürzen wieder zurück in die Fischhaut gepackt und dann in Fischbrühe langsam gekocht worden. Jetzt guckt der Fisch mit halben Oliven-Augen zu, wie Slava für die Kochschüle­r „Shakshuka“macht. Auf ein Bett aus Paprika, Zwiebeln und gestückelt­en Tomaten lässt Slava rohe Eier gleiten, die im Handumdreh­en stocken.

Geschichte­n werden ausgetausc­ht

Dass es schließlic­h doch eine vergnüglic­he, ja spannende Tischrunde wird, das liegt daran, dass anstelle von Kochrezept­en etliche Geschichte­n rund um jüdische Bräuche ausgetausc­ht werden. Längst haben die meisten der Kursteilne­hmer die Schürzen abgelegt, sitzen um die lange, uncharmant­e Tafel in der Schulküche, kosten vom gefüllten Fisch, vom würzigen Tscholent, dem süßen Kuchen und schwatzen. Übers Essen, koscheren Wein und typische Gewürze. Über große Feiertage im jüdischen Glauben. Slavas Frau wirft indes in knappen Stichworte­n das Rezept für den HonigNuss-Kuchen an die Küchentafe­l.

Übersetzer­in Nathalia erklärt, dass das ungesäuert­e „Mazza“einschließ­lich der Backzeit binnen 18 Minuten hergestell­t werden muss und auch „Brot des Leidens“genannt wird. Das karge Lebensmitt­el ist demnach Symbol für die Entbehrung und das Leid, das die israelitis­chen Sklaven unter der ägyptische­n Willkürher­rschaft ertragen müssen. „Mazza steht in der jüdischen Küche für Einfachhei­t und Bescheiden­heit“, sagt Nathalia Traud. Und irgendwie erklärt sie damit auch die vorsichtig­e Zurückhalt­ung von Slava.

Der trinkt zum Ende des kurzen Abends einen großen Schluck Lindenblüt­entee. Ohne Zucker. Und nimmt mit einem schlichten Händedruck und einem scheuen Blick die Danksagung­en für einen Abend entgegen, der bestimmt kein klassische­r Kochkurs aber ein warmer Abend der Begegnung gewesen ist.

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FOTO: BARBARA SOHLER Der „gefilte Fisch“als beleibte, kalte Vorspeise wird in der jüdischen Kultur an hohen Feiertagen gereicht. Die Vorbereitu­ng nimmt mehr als vier Stunden in Anspruch.

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