Streit um die Krankenhausfinanzierung
Kassen wollen Geld direkt vom Bund – Sozialminister Lucha lehnt Forderung kategorisch ab
BERLIN/STUTTGART - Die gesetzlichen Krankenkassen fordern angesichts des Investitionsstaus in Krankenhäusern eine Grundgesetzänderung. Ähnlich wie beim Digitalpakt müssten die Länder Kompetenzen abgeben und dafür vom Bund Geld bekommen, forderte Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandschef des Spitzenverbandes der Kassen, am Donnerstag in Berlin.
Nach Angaben der Kassen liegt der Investitionsbedarf der Krankenhäuser bundesweit bei über sechs Milliarden Euro pro Jahr. Davon deckten die Bundesländer nur die Hälfte ab, und das seit Jahren. Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel (CDU), begrüßte die Idee. Der Bund könne Geld beitragen, wenn die Länder Planungskompetenz abgäben.
Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) lehnte dies kategorisch ab: „Dieser Vorschlag aus dem Kopf eines waschechten Zentralisten ist ein Fundamentalangriff auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort. Wer will schon ernsthaft zentral aus Berlin gesteuerte Entscheidungen über Krankenhausstandorte und -schließungen im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb?“Solche Fragen könnten nur im Land kompetent beantwortet werden. Man brauche Luft für passgenaue Lösungen in BadenWürttemberg statt neuer Vorgaben aus Berlin. „Was wir definitiv nicht brauchen, sind reine macht- und interessengesteuerte Schlaumeiereien aus dem Berliner Ufo“, sagte er.
2019 zahlt Baden-Württemberg den Kliniken 510 Millionen Euro für Investitionen – eine Rekordsumme. Sie kommt auch zustande, weil das Land schon heute Geld vom Bund erhält. Die Krankenhäuser beklagen, es seien 100 Millionen Euro mehr notwendig. Zuschüsse aus Berlin begrüße man, aber der Bund dürfe nicht mehr Einfluss bekommen, sagte Matthias Einwag, Landeschef der Krankenhausgesellschaft BWKG: „Es wäre eine dramatische Überforderung mit unabsehbaren Folgen für die Versorgung, wenn man einem zentralen Planer in Berlin die Entscheidung über Anzahl, Struktur und Standort der Kliniken in Baden-Württemberg übertragen würde.“
STUTTGART - Schon lange fordert der Naturschutzbund (Nabu) in Baden-Württemberg Informationen zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Deshalb hat er am Donnerstag bei den vier Verwaltungsgerichten im Südwesten Klage eingereicht. Es ist nicht die erste Klage dieser Art gegen das Land. Derweil streitet die grün-schwarze Regierung über den richtigen Weg, wie weniger Pestizide auf die Äcker gelangen. Ein entsprechender Kabinettsentwurf liegt der „Schwäbischen Zeitung“vor. Erarbeitet hat ihn Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU). Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) lehnt diesen als zu wenig ambitioniert ab. Das Wichtigste im Detail:
Worum geht es bei der Klage?
Für den Nabu ist klar: Der Einsatz von Pestiziden führt zum Insektensterben und dadurch zum weiteren Artensterben. Der Verband hat vor einem Jahr einen ersten Pestizidbericht für Baden-Württemberg vorgelegt. Dabei stützte er sich auf Daten des Julius-Kühn-Instituts, einer Forschungsstelle des Bundes. Diese liefert allerdings nur Daten für ganz Deutschland. Auf dieser Basis hat der Nabu Daten fürs Land abgeleitet. Agrarminister Hauk kritisiert dieses Vorgehen als nicht wissenschaftlich, die Datenlage sei zu dünn. Dann solle das Land Daten herausgeben, fordert Nabu-Landeschef Johannes Enssle seit einem Jahr. Er verweist darauf, dass die Landwirte aufzeichnen müshalb sen, welche und wie viele Stoffe sie einsetzen. Eine EU-Verordnung zu Pflanzenschutzmitteln berechtige den Verband dazu, diese Daten einzusehen, erklärte der vom Nabu beauftragte Anwalt Dirk Teßmer, der bereits den BUND im Streit um den Hambacher Forst vertreten hat, am Donnerstag in Stuttgart. Die vier Regierungspräsidien hatten das abgelehnt. Eine Sprecherin von Minister Hauk erklärt hierzu, dass die Rechtsgrundlage fehle, um dem Wunsch des Nabu zu entsprechen.
Worauf klagt der Nabu nun?
Mit den Klagen bei den vier Verwaltungsgerichten fordert der Nabu Daten dazu, wie viele Pflanzenschutzmittel die Bauern in den Naturschutzgebieten ausbringen. „Auf Ackerflächen in Naturschutzgebieten darf gespritzt werden“, betont Enssle. Laut Nabu werden 14 Prozent der Flächen in den Gebieten ackerbaulich genutzt. Es gebe 1000 Naturschutzgebiete im Land, sie machten 2,4 Prozent der Landesfläche aus.
Gibt es ähnliche Klagen?
Ja, die Landeswasserversorgung will vom Land wissen, welche Pestizide die Bauern verwenden, die im Bereich ihrer Wasserschutzgebiete Äcker haben – und wie viel davon. Nur so könnten sie das Trinkwasser für die drei Millionen Kunden in den 100 angeschlossenen Kommunen schützen, lautet das Argument des kommunalen Zweckverbands. Alle Versuche, solche Daten zu bekommen, seien ins Leere gelaufen. Des- hat er im September bei den Verwaltungsgerichten Sigmaringen und Stuttgart Klage eingereicht. Ein Termin zur mündlichen Verhandlung sei noch nicht anberaumt, sagt der Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Otto-Paul Bitzer.
Was tut das Land, um den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren?
Bauern bekommen unter anderem Fördergelder für die Umstellung von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft. Diese muss ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel auskommen. Auch aus dem 36 Millionen Euro schweren Landesprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt, das GrünSchwarz Ende 2017 aufgelegt hat, sind Mittel dafür vorgesehen. Viel Hoffnung liegt auf der seit mehr als einem Jahr angekündigten Pestizidreduktionsstrategie. Baden-Württemberg wäre das erste Bundesland, das solch einen Weg beschreitet.
Wie steht es um diese Strategie zur Pestizidreduktion?
Die grün-schwarzen Regierungsfraktionen haben gerungen – herausgekommen ist ein Eckpunktepapier. Laut einer Sprecherin der GrünenFraktion gab es bis zum Schluss keine Einigkeit zu zwei Details: Die Grünen wollen konkrete, messbare Ziele. Außerdem fehlt ihnen die Datenbasis. Das Papier ging mit diesem Konflikt an Agrarminister Hauk, der daraus eine Vorlage für das Kabinett erarbeitet hat. Diese müsste noch von Umweltminister Untersteller abgesegnet werden – tut er aber nicht. Ihm fehlen wohl die Punkte, die auch den Landtagsgrünen wichtig sind. „Eine Strategie zur Reduzierung von Pestiziden ist nur dann sinnvoll, wenn sie in der Umsetzung auch tatsächlich zu einer Reduzierung von Pestiziden führt“, sagt Untersteller der „Schwäbischen Zeitung“. „Das sehen wir mit der Vorlage (...) nicht gegeben.“Er fordert „die Festlegung auf messbare Reduktionsziele“.
Was steht in dem Konzept?
Zunächst soll ein Netz an landwirtschaftlichen Betrieben aufgebaut werden. Die Betriebe sollen erklären, wie viele Pestizide sie einsetzen – für ihren Aufwand sollen sie mit jährlich 34 000 Euro entschädigt werden. Hierfür und für vier Stellen, die das koordinieren sollen, fordert Hauk jährlich 283 700 Euro. Er fordert weitere acht Stellen, die die Bauern beim Pflanzenschutz beraten. Das kostet laut Konzept fast 500 000 Euro pro Jahr. Erst wenn Daten zum Pestizideinsatz vorliegen, sollen Ziele benannt werden. Bis 2030 sollen 30 Prozent der Ackerflächen biologisch bewirtschaftet werden – aktuell sind es etwa zwölf Prozent. Auf Äckern, die dem Land gehören, sollen Biobauern zum Zuge kommen, wenn die Pacht neu vergeben wird. In Naturschutzgebieten soll künftig der flächenhafte Einsatz von Pestiziden verboten werden, heißt es im Papier. Für Wasserschutzgebiete und andere sensible Bereiche soll geprüft werden, ob mehr Pestizide verboten werden – unter anderem Glyphosat.