Vom Buhmann zum Kapitän
Ilkay Gündogan ist stolz auf die „kuriose Wende“– Polizei ermittelt aber nach rassistischen Beleidigungen aus dem Publikum gegen ihn und Leroy Sané
WOLFSBURG (SID/dpa) - Ilkay Gündogan war überrascht – und ergriffen. In der Halbzeitpause kam Manuel Neuer auf ihn zu, der Torhüter streifte seine Kapitänsbinde ab und gab ausgerechnet ihm das symbolisch so bedeutende Stück Stoff. Nicht dem ältesten Feldspieler Marco Reus (29), nicht dem Bösinger Joshua Kimmich, dem mit 39 Länderspielen erfahrensten DFB-Akteur auf dem Platz. Sondern dem Mann, der vor neun Monaten von den deutschen Fans nach seinem Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayip Erdogan noch gnadenlos ausgepfiffen worden war.
„Das ist schon eine kuriose Wende“, sagte Gündogan mit nachdenklicher Miene. „Manu kam zu mir und meinte, er geht raus und möchte, dass ich die Binde übernehme“, berichtete der Mittelfeldspieler von Manchester City nach dem 1:1 (0:1) im ersten Länderspiel des Jahres gegen Serbien in Wolfsburg: „Ich habe sie mit Stolz und großem Respekt entgegengenommen und versucht, mit Leistung voranzugehen.“Für Reus war Gündogans Wahl zum Spielführer „ein super Zeichen. Ich freue mich für den Jungen, weil die Zeit für ihn nicht einfach war.“
Die schwarz-rot-goldene Binde am Arm verlieh Gündogan, der bereits vor der WM die Auswirkungen der Bilder mit dem türkischen Präsidenten bedauert, sich zu den Werten des DFB bekannt hatte und im Gegensatz zu Mesut Özil weiter gerne das Trikot mit dem Adler auf der Brust trägt, sichtlich Flügel. Hatte er in der ersten Halbzeit noch etwas im Schatten von Kimmich gestanden, ließ der Spielmacher des englischen Meisters Manchester City im zweiten Durchgang seine fußballerische Klasse viel öfter aufblitzen.
„Es gab keine Reaktion aus dem Publikum“, stellte Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff erleichtert fest: „Das freut mich und zeigt, dass diese Geschichte (die Fotos mit Erdogan, die Red.) für unsere Fans keine Thematik mehr ist.“
Da konnte Bierhoff freilich noch nicht wissen, dass unter den Zuschauern offensichtlich auch einige unbelehrbare Vollidioten waren. Am Donnerstag teilte die Polizei in Wolfsburg mit, nach rassistischen Äußerungen von Zuschauern während des Spiels gegen Gündogan und Leroy Sané Ermittlungen eingeleitet zu haben.
DFB verurteilt Vorfall
Zuvor hatte der Journalist André Voigt, Chefredakteur des renommierten Basketball-Magazins „FIVE“in den sozialen Netzwerken ein Video veröffentlicht, in dem er emotional von schweren rassistischen Ausfällen einiger Zuschauer während der Partie am Mittwochabend berichtete. „Immer wenn Sané am Ball war, war vom Neger die Rede. Gündogan war auf einmal der Türke. Da wurde dann Pseudo-Türkisch geredet, wenn er am Ball war. Und dann immer wieder Neger, Neger, Neger“, so Voigt, der privat mit seiner Frau und Tochter im Stadion war.
Als er die Männer auf ihre Aussagen angesprochen habe, seien diese schlimmer geworden, „bis hin zu Äußerungen wie ,Heil Hitler’“. Außer ihm habe aber niemand im Block etwas unternommen. Der DFB habe sich bei ihm gemeldet und wollte die Sitzplatznummern haben. „Ich bin gespannt, wie es ausgeht. Ich weiß, dass es auch unangenehm für mich werden kann durch die ganzen Reaktionen von Rechten – aber wenn ich aufstehe, muss ich auch den Kopf dafür hinhalten“, sagte Voigt.
Der DFB verurteilte den Vorfall „aufs Schärfste“und „spricht sich klar gegen jegliche Form von Rassismus, Diskriminierung und Gewalt aus“, hieß es in einer Mitteilung.