Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Müll und die Mafia

Warum in Mexiko-Stadt gut gemeinte Ansätze zur Müllverarb­eitung scheitern

- Von Klaus Ehringfeld

MEXIKO-STADT - Fernando Ramos’ Arbeitstag beginnt jeden Abend um 21 Uhr. Dann geht der 61-Jährige mit seinen großen Jutebeutel­n im Stadtteil Roma von Mexiko-Stadt auf Streifzug nach Wertvollem. Für ihn sind das alte Hosen, weggeworfe­ne Schuhe, Kleidung jeder Art. Gegenständ­e, die für andere keinen Wert mehr haben, sucht Ramos gezielt im Abfall der größten Stadt Lateinamer­ikas. „Metall, Glas und Papier interessie­ren mich nicht. Das sammeln schon genug andere.“

An einem Abend im März zieht Ramos, das Haar zum grauen Zopf geflochten, eine sauber gefaltete Jeans aus einem Müllbeutel, lacht aus einem zahnlosen Gesicht und sagt: „Die kann ich für 20 Pesos noch an Secondhand-Klamottenl­äden verkaufen“. 20 Pesos sind knapp ein Euro. Für Ramos ist das ein guter Fang.

In Mexiko gibt es keine Mülltonnen, wie man sie aus Deutschlan­d kennt. Daher bietet sich in den Vierteln der 22-Millionnen-Metropole jeden Abend das gleiche Bild. In der Roma, der Condesa, in Coyoacán und in Iztapalapa türmt sich der Müll meterhoch. Plastiktüt­en, Tetrapacks, Flaschen auf einen Haufen geworfen. An den Wochenende­n sammelt sich der Abfall mitunter so hoch, dass es auf dem Bürgerstei­g kein Durchkomme­n mehr gibt. Abgeholt wird der Unrat erst in der Nacht oder am nächsten Morgen. Feste Zeiten, an denen die Müllwagen kommen, gibt es nicht. Daher bevorzugen es die Mexikaner, den Müll einfach abends auf der Straße zu verklappen.

Der Müll ist Lebensgrun­dlage

Was Umweltschü­tzer und Anwohner wahnsinnig macht, freut Fernando Ramos. Menschen wie er, „Pepenadore­s“, „Aufleser“genannt, leben vom Müll. Tausende Familien in Mexiko-Stadt bauen ihre Lebensgrun­dlage auf dem auf, was andere wegwerfen.

Ramos hat vor zehn Jahren seinen Job als Ingenieur verloren und nie wieder etwas gefunden. Also blieb nur der Müll. „Oder die Kriminalit­ät“, sagt er. Aber von Banditen gebe es schon genug in der Stadt. „Da ich aber meine Enkel ernähren muss, ziehe ich jede Nacht durch die Straßen.“Bis 2 Uhr morgens streift Ramos durch die Roma und kehrt meistens mit vollen Beuteln zurück Die Roma ist ein Viertel, das ein bisschen an Berlin-Mitte erinnert. Hier leben Menschen mit mehr Geld als durchschni­ttlich in Mexiko. „Und die werfen viele Dinge weg, die wir noch gut gebrauchen können.“Manchmal hat Ramos richtig Glück. Dann findet er eine Goldkette oder einen Ring, die aus Versehen im Müll gelandet sind.

MexikoStad­t – das sind 13 000 Tonnen Abfall täglich. Durchschni­ttlich produziert jeder Einwohner der Megacity 1,7 Kilo Müll. Das liegt deutlich über dem nationalen Schnitt (1,3 Kilo) und dem Mittel ganz Lateinamer­ikas (1 Kilo pro Person pro Tag). Zum Vergleich: Jeder Europäer generiert durchschni­ttlich 1,35 Kilo Müll pro Tag. Nur wenige Städte auf der Welt produziere­n so viel Abfall wie Mexiko-Stadt. Da steckt viel Wert drin.

Daher war der Müllsektor in Mexiko-Stadt über Jahre dominiert von mafiösen Strukturen. Die Pepenadore­s lieferten den Abfall auf den Müllkippen ab, wurden mit wenig Geld abgespeist – und den Recycling-Reibach machten korrupte Lokalpolit­iker mit Unternehme­n. Die haben Papier, Karton und Plastik wieder verwertet, alles, was sich leicht und schnell zu Geld zu machen ließ. Aber es wurden ausbeuteri­sche Löhne gezahlt, keine Arbeitssta­ndards gesichert und nur das recycelt, was wirklich rentabel war. Der Rest landete auf dem „Borde Poniente“, der gigantisch­sten Müllhalde Lateinamer­ikas. 17 Fußballfel­der umfasste dieser stinkende Berg Unrats am Rande der Megacity, bis der damalige Bürgermeis­ter Marcelo Ebrard die Müllhalde Ende 2011 schloss. „Das war die „wichtigste umweltpoli­tische Maßnahme Mexikos", sagte Ebrard damals und begann anschließe­nd, die Hauptstadt­bewohner auf Mülltrennu­ng zu trimmen.

Das ist ein hartes Geschäft. Viele Anläufe hat die Stadtregie­rung seit 2012 genommen, die Bevölkerun­g zu erziehen. Alle sind bisher mehr oder minder gescheiter­t. Vor sieben Jahren stellte die Stadt an 200 Stellen große bunte Container auf, in welche die Bewohner den bereits getrennten Müll einwerfen sollten. Der Versuch wurde nach einem halben Jahr abgebroche­n. Die Anwohner schmissen den Müll entweder ungetrennt in die Container oder stellten die stinkenden Tüten einfach davor ab. An vielen Orten aber wurden die Behälter mutwillig zerstört.

Trennung muss sein – eigentlich

Miguel Bautista seufzt. Er kennt das gut. „Es fehlt noch viel an Aufklärung und Disziplin bei den Menschen“, sagt der 41 Jahre alte Müllwerker. Er fährt jeden frühen Abend mit seinem Wagen durch die Condesa und sammelt den Unrat ein. „Aber die wenigsten Menschen trennen, sie werfen Obstreste mit Plastikfla­schen und Glas mit Restmüll in die Abfallsäck­e. „Und ich habe das Problem, denn ich muss den Müll getrennt in den Recyclinga­nlagen abgeben“, sagt er. Daher baumeln an seinem Müllwagen

viele Beutel und Säcke für Glas, Papier, Karton und Pet.

Denn seit knapp zwei Jahren ist die Trennung des Mülls in den Haushalten verpflicht­end. Wer nicht trennt, riskiert sogar ein Bußgeld. „Aber weder ist die Aufklärung gut gelaufen, noch die Kette der Trennung von Haushalt über Müllwagen bis in die Recyclinga­nlagen gut durchdacht“, kritisiert Salvador Meneses von der Nichtregie­rungsorgan­isation „Basura Cero“, (Null Müll). „Wir brauchen mehr Aufklärung­skampagnen für die Bevölkerun­g, mehr Umwelterzi­ehung. Nur wenn die Bevölkerun­g und die Behörden an einem Strang ziehen, können wir den Abfall langfristi­g reduzieren.“Sonst ersticke die Metropole irgendwann an ihrem Müll, fürchtet Meneses.

Alle Teile unserer Müllserie können Sie online nachlesen – unter schwäbisch­e.de/müll

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FOTO: KLAUS EHRINGFELD Mülltrennu­ng in Mexiko-Stadt: Müllwerker Miguel Bautista muss den Abfall der Haushalte im Stadtteil Roma selbst trennen.
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