Von Flucht und Frust
Ein Asylbewerber lernt Deutsch und engagiert sich im Verein – Nun sitzt er im Gefängnis
WORINGEN - Kwasi M. (Name von der Redaktion geändert) ist nicht mehr da – was bleibt, ist Frust. Zwei Jahre lang lebte der 20-jährige Asylbewerber von der Elfenbeinküste in Woringen. Er kickte für den dortigen Fußballverein, packte bei der Altpapiersammlung mit an und hatte eine Zusage für einen Platz an einer Altenpflegeschule. Im Februar wurde er abgeschoben – und damit fingen seine Probleme erst an.
M. ist 2017 nach Deutschland gekommen. Er zog in eine Unterkunft in Woringen. Dort bringen Günther und Christiane Schädle, beide pensionierte Lehrer, den Bewohnern Deutsch bei. Er wolle diesen Menschen eine Perspektive geben, erklärt Günther Schädle. Das klappe nicht bei allen, aber M. habe Potenzial gehabt. Der Ivorer zählte zu seinen besten Schülern. M. lernte in etwa 400 Deutschstunden eifrig die Sprache seiner neuen Heimat.
2019 hätte er seinen Abschluss in der Berufsintegrationsklasse gemacht. M. wollte Altenpfleger werden. Eine Zusage für einen Platz an der Berufsschule hatte er bereits. „Er brauchte nur noch eine Einrichtung für den Praxisteil. Aber die hätte er sicher bekommen“, sagt Christiane Schädle und ihr Mann Günther ergänzt: „Er war auch vom Charakter her einer, der für diesen Beruf gepasst hätte.“
Anfang Februar erhielt Kwasi M. Post von der zentralen Ausländerbehörde Schwaben: In zwei Wochen werde er abgeschoben. Einige Asylbewerber verlassen ihre Unterkunft und tauchen unter, wenn die Abschiebung naht. Auch Kwasi M. hätte das tun können. Aber er habe gewusst, dass es nichts bringe, illegal hierzubleiben – ohne Geld und Ausweis, sagt Günther Schädle. Und so fragte M. eine Freundin aus dem Helferkreis, ob sie mit ihm auf die Polizisten warten könne. „In der Unterkunft hat er es nicht ertragen, deshalb hat er mit ihr im Auto gesessen“, erzählt Christiane Schädle. Als die Beamten kamen, sei M. zwar unglücklich gewesen, ihnen aber gefasst und höflich entgegengetreten. „Die Polizisten waren davon ganz überrascht“, sagt Christiane Schädle.
Laut dem Dublin-Abkommen entscheidet das EU-Land über den Asylantrag eines Geflüchteten, in dem er den Antrag zuerst stellt. Im Fall von M. war das Spanien. Dorthin brachte man ihn zurück. Doch in Madrid tat sich Kwasi M. schwer. Seinen Freunden vom Helferkreis erzählte er später, er sei dort auf der Straße gelandet. Eine Woche hielt M. es in Spanien aus, dann reiste er zurück ins Allgäu. Ob er etwas mehr Geduld hätte haben müssen, oder die spanischen Behörden schlicht überfordert waren und ihn auf die Straße gesetzt haben, wissen die Woringer nicht. „Er hat sich wohl gedacht: In Deutschland habe ich eine Chance, in Spanien nicht“, glaubt Christiane Schädle.
Am 27. Februar kam M. in Mindelheim an und meldete sich beim Landratsamt. „Das war sein Glaube an die Aufrichtigkeit. Er dachte, es sei der richtige Weg, sich in Deutschland wieder anzumelden“, ist Christiane Schädle überzeugt. Das Landratsamt verwies ihn an die Caritas, doch die hatte geschlossen – also ging M. zur Polizei. Die Beamten der Polizeiinspektion Mindelheim stellten bei dem 20-Jährigen Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz fest, teilt ein Polizeisprecher auf Anfrage mit. Ein Richter am Amtsgericht Memmingen erlies Haftbefehl. M. wurde in die Justizvollzugsanstalt Kempten gebracht.
Seitdem bekommen die Woringer kaum Informationen über ihn. „Wir wissen nicht, was ihm vorgeworfen wird und was er zu erwarten hat“, sagt Günther Schädle frustriert. Eine Helferin durfte ihn im Gefängnis besuchen, „um ihn menschlich zu unterstützen“, erzählt Schädle. Die Mitglieder des Helferkreises versuchen, Kontakt zu M.’s Pflichtverteidiger aufzunehmen.
In eine Äußerung des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) setzen sie keine Hoffnung. Der hatte vor wenigen Wochen gesagt, dass gut integrierte Flüchtlinge künftig leichter an Ausbildungs- und Arbeitsplätze kommen sollen. Das gelte etwa für Migranten, die in der Schule gute Leistungen abliefern und sich gesellschaftlich engagieren. „Das wird für M. vermutlich zu spät kommen“, sagt Christiane Schädle. Allgemein stehen die Chancen schlecht, dass M. Asyl erhält. „Die von der Elfenbeinküste werden eigentlich immer abgeschoben“, sagt Günther Schädle.
Im Unterallgäu machen derzeit etwa 130 Asylbewerber eine Ausbildung. Das teilte Landrat Hans-Joachim Weirather (FW) bei einem Treffen mit den Wirtschaftsjunioren Memmingen-Unterallgäu mit. Durch die „3+2-Regelung“dürfen Asylbewerber, die eine Ausbildung machen, währenddessen und zwei Jahre danach nicht abgeschoben werden. „Aber hin und wieder finden trotzdem Nacht- und Nebelaktionen statt. Das finde ich unmöglich“, sagte Weirather. Die derzeitige Abschiebepraxis funktioniere einfach überhaupt nicht. Das sieht auch Günther Schädle so. „Die, die man abschieben müsste, erwischt man eh nicht. Stattdessen schiebt man motivierte Altenpfleger ab.“