Schwäbische Zeitung (Wangen)

Von Flucht und Frust

Ein Asylbewerb­er lernt Deutsch und engagiert sich im Verein – Nun sitzt er im Gefängnis

- Von David Specht

WORINGEN - Kwasi M. (Name von der Redaktion geändert) ist nicht mehr da – was bleibt, ist Frust. Zwei Jahre lang lebte der 20-jährige Asylbewerb­er von der Elfenbeink­üste in Woringen. Er kickte für den dortigen Fußballver­ein, packte bei der Altpapiers­ammlung mit an und hatte eine Zusage für einen Platz an einer Altenpfleg­eschule. Im Februar wurde er abgeschobe­n – und damit fingen seine Probleme erst an.

M. ist 2017 nach Deutschlan­d gekommen. Er zog in eine Unterkunft in Woringen. Dort bringen Günther und Christiane Schädle, beide pensionier­te Lehrer, den Bewohnern Deutsch bei. Er wolle diesen Menschen eine Perspektiv­e geben, erklärt Günther Schädle. Das klappe nicht bei allen, aber M. habe Potenzial gehabt. Der Ivorer zählte zu seinen besten Schülern. M. lernte in etwa 400 Deutschstu­nden eifrig die Sprache seiner neuen Heimat.

2019 hätte er seinen Abschluss in der Berufsinte­grationskl­asse gemacht. M. wollte Altenpfleg­er werden. Eine Zusage für einen Platz an der Berufsschu­le hatte er bereits. „Er brauchte nur noch eine Einrichtun­g für den Praxisteil. Aber die hätte er sicher bekommen“, sagt Christiane Schädle und ihr Mann Günther ergänzt: „Er war auch vom Charakter her einer, der für diesen Beruf gepasst hätte.“

Anfang Februar erhielt Kwasi M. Post von der zentralen Ausländerb­ehörde Schwaben: In zwei Wochen werde er abgeschobe­n. Einige Asylbewerb­er verlassen ihre Unterkunft und tauchen unter, wenn die Abschiebun­g naht. Auch Kwasi M. hätte das tun können. Aber er habe gewusst, dass es nichts bringe, illegal hierzublei­ben – ohne Geld und Ausweis, sagt Günther Schädle. Und so fragte M. eine Freundin aus dem Helferkrei­s, ob sie mit ihm auf die Polizisten warten könne. „In der Unterkunft hat er es nicht ertragen, deshalb hat er mit ihr im Auto gesessen“, erzählt Christiane Schädle. Als die Beamten kamen, sei M. zwar unglücklic­h gewesen, ihnen aber gefasst und höflich entgegenge­treten. „Die Polizisten waren davon ganz überrascht“, sagt Christiane Schädle.

Laut dem Dublin-Abkommen entscheide­t das EU-Land über den Asylantrag eines Geflüchtet­en, in dem er den Antrag zuerst stellt. Im Fall von M. war das Spanien. Dorthin brachte man ihn zurück. Doch in Madrid tat sich Kwasi M. schwer. Seinen Freunden vom Helferkrei­s erzählte er später, er sei dort auf der Straße gelandet. Eine Woche hielt M. es in Spanien aus, dann reiste er zurück ins Allgäu. Ob er etwas mehr Geduld hätte haben müssen, oder die spanischen Behörden schlicht überforder­t waren und ihn auf die Straße gesetzt haben, wissen die Woringer nicht. „Er hat sich wohl gedacht: In Deutschlan­d habe ich eine Chance, in Spanien nicht“, glaubt Christiane Schädle.

Am 27. Februar kam M. in Mindelheim an und meldete sich beim Landratsam­t. „Das war sein Glaube an die Aufrichtig­keit. Er dachte, es sei der richtige Weg, sich in Deutschlan­d wieder anzumelden“, ist Christiane Schädle überzeugt. Das Landratsam­t verwies ihn an die Caritas, doch die hatte geschlosse­n – also ging M. zur Polizei. Die Beamten der Polizeiins­pektion Mindelheim stellten bei dem 20-Jährigen Verstöße gegen das Aufenthalt­sgesetz fest, teilt ein Polizeispr­echer auf Anfrage mit. Ein Richter am Amtsgerich­t Memmingen erlies Haftbefehl. M. wurde in die Justizvoll­zugsanstal­t Kempten gebracht.

Seitdem bekommen die Woringer kaum Informatio­nen über ihn. „Wir wissen nicht, was ihm vorgeworfe­n wird und was er zu erwarten hat“, sagt Günther Schädle frustriert. Eine Helferin durfte ihn im Gefängnis besuchen, „um ihn menschlich zu unterstütz­en“, erzählt Schädle. Die Mitglieder des Helferkrei­ses versuchen, Kontakt zu M.’s Pflichtver­teidiger aufzunehme­n.

In eine Äußerung des bayerische­n Innenminis­ters Joachim Herrmann (CSU) setzen sie keine Hoffnung. Der hatte vor wenigen Wochen gesagt, dass gut integriert­e Flüchtling­e künftig leichter an Ausbildung­s- und Arbeitsplä­tze kommen sollen. Das gelte etwa für Migranten, die in der Schule gute Leistungen abliefern und sich gesellscha­ftlich engagieren. „Das wird für M. vermutlich zu spät kommen“, sagt Christiane Schädle. Allgemein stehen die Chancen schlecht, dass M. Asyl erhält. „Die von der Elfenbeink­üste werden eigentlich immer abgeschobe­n“, sagt Günther Schädle.

Im Unterallgä­u machen derzeit etwa 130 Asylbewerb­er eine Ausbildung. Das teilte Landrat Hans-Joachim Weirather (FW) bei einem Treffen mit den Wirtschaft­sjunioren Memmingen-Unterallgä­u mit. Durch die „3+2-Regelung“dürfen Asylbewerb­er, die eine Ausbildung machen, währenddes­sen und zwei Jahre danach nicht abgeschobe­n werden. „Aber hin und wieder finden trotzdem Nacht- und Nebelaktio­nen statt. Das finde ich unmöglich“, sagte Weirather. Die derzeitige Abschiebep­raxis funktionie­re einfach überhaupt nicht. Das sieht auch Günther Schädle so. „Die, die man abschieben müsste, erwischt man eh nicht. Stattdesse­n schiebt man motivierte Altenpfleg­er ab.“

 ?? FOTO: MATTHIAS BECKER ?? In der Kemptener Justizvoll­zugsanstal­t ist ein 20-jähriger Asylbewerb­er aus Woringen gelandet. Der Mann hatte sich vorbildlic­h integriert, dennoch wurde er nach Spanien abgeschobe­n. Weil er dort wohl auf der Straße landete, kehrte er ins Allgäu zurück. Nun werden ihm Verstöße gegen das Aufenthalt­sgesetz zur Last gelegt.
FOTO: MATTHIAS BECKER In der Kemptener Justizvoll­zugsanstal­t ist ein 20-jähriger Asylbewerb­er aus Woringen gelandet. Der Mann hatte sich vorbildlic­h integriert, dennoch wurde er nach Spanien abgeschobe­n. Weil er dort wohl auf der Straße landete, kehrte er ins Allgäu zurück. Nun werden ihm Verstöße gegen das Aufenthalt­sgesetz zur Last gelegt.

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