Segensfeiern für Homosexuelle
Beamte vor Ort sollen künftig wieder mehr schwere Verkehrsunfälle aufnehmen dürfen
STUTTGART (sz) - Nach langem Ringen öffnet sich die Evangelische Landeskirche Württemberg für Segensgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare. Die nötige Zweidrittelmehrheit der Synode, also des Kirchenparlaments, hat am Samstag in Stuttgart einem Kompromiss zugestimmt. Demnach darf es öffentliche Segensfeiern für Homosexuelle in einem Viertel der 1300 Kirchengemeinden geben. Bayern ist einen Schritt weiter: Die dortige Landeskirche hat solche Feiern vor einem Jahr erlaubt.
STUTTGART - Warten auf die Polizei, gesperrte Straßen, Staus: Seit 2014 dürfen in Baden-Württemberg nur speziell ausgebildete Polizisten schwere Verkehrsunfälle aufnehmen. Die Beamten haben oft weite Anfahrten. Eine Expertenkommission empfiehlt, Unfälle wieder von den Revieren vor Ort dokumentieren zu lassen. So macht es Bayern seit Jahrzehnten. Was dafür spricht, was dagegen und was das Land plant.
Was gilt seit 2014?
Bis 2014 konnten die 150 Polizeireviere im Land alle Unfälle aufnehmen – sie sind in der Regel rund um die Uhr besetzt. 2014 richtete der damalige Innenminister Reinhold Gall (SPD) zentrale Verkehrsunfallaufnahmen (VUA) ein. Davon gibt es aber nicht einmal eine pro Landkreis. Dort arbeiten Polizisten, die sich auf diese Tätigkeit spezialisieren. Sie sind für Unfälle mit Schwerverletzten und Toten zuständig. Die Vorgaben setzte jedes der zwölf Präsidien anders um. Ralf Kusterer, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG): „Da gibt es etwa das Polizeipräsidium Konstanz, das die Kollegen der VUA mit anderen auf Streife schickt – dadurch sind sie in der Fläche unterwegs und oft rasch vor Ort. Auch die Kooperation mit der Autobahnpolizei in Kißlegg funktioniert sehr gut. Im Bereich des Präsidiums Tuttlingen dagegen kommen die Kollegen immer aus Zimmern, fahren 60 Kilometer und mehr.“
Wo liegen die Probleme?
Diese illustriert ein Fall aus Rommelshausen (Rems-Murr-Kreis). Dort verunglückte vor Weihnachten ein junger Mann tödlich. Feuerwehr und örtliche Polizei warteten zwei Stunden auf die Unfallexperten. Diese rückten aus dem 85 Kilometer entfernten Kirchberg (Jagst) an. Erst nach mehr als vier Stunden konnte die Wehr den Leichnam bergen. Es kommt immer wieder zu ähnlichen, wenn auch nicht ganz so gravierenden Fällen – zum Beispiel in Teile des Bodenseekreises, im Westen des Landkreises Ravensburg oder auf der Schwäbischen Alb. 2016 trafen die Beamten der VUA im Schnitt in weniger als 30 Minuten ein, nur im Bereich des Polizeipräsidiums Tuttlingen waren es 33. Landesweit dauerte es bei 14 Prozent der schweren Unfälle länger als eine Stunde, bis die Experten den Unfallort erreichten.
Wo liegen Vorteile?
„Spuren am Unfallort müssen sachkundig gesichert werden und dienen vor Gericht als Beweise“, sagt eine Sprecherin des Deutschen Verkehrssicherheitsrates. „Im Zweifel heißt das: Die Schuldfrage kann nicht geklärt werden, oder Opfer bekommen zu Unrecht so gar eine Teilschuld.“So argumentiert auch Carsten Beck, stellvertretender Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Es brauche Fachleute, die Beweise gerichtsfest sichern. Neue technische Entwicklungen machten Spezialisten erst recht erforderlich. Daten aus digitalen Assistenzsystemen in Autos oder Bordcomputern müssten gesichert und ausgewertet werden.
Das aktuelle Modell wurde im Auftrag des Landes überprüft. Was kam dabei heraus?
Für die Untersuchung befragte das Innenministerium Polizisten, Fachleute sammelten zudem Stellungnahmen und Daten. Das Fazit: Die Zentralisierung der Unfallaufnahme habe ihre Ziele nicht erreicht. So stieg die Zahl der Unfälle, bei denen die Polizei externe Gutachter heranzog. Diese wurden vor 2014 zu 44 Prozent der Unfälle gerufen, 2016 zu 47. Dabei wollte man den Einsatz der Gutachter eindämmen. Die Experten der VUA hatten relativ wenig zu tun: Jeder Beamte wurde im Monat im Schnitt zu einem Unfall gerufen. Dagegen waren die normalen Beamten länger als zuvor gebunden, weil sie Unfallstellen länger absichern mussten – bis zum Eintreffen der VUAKollegen. „Aufwand und Nutzen der VUA im ländlichen Raum stehen nicht in einer positiven Relation“, so das Urteil der Experten. Nur in Großstädte habe sich das System bewährt.
Was plant die Landesregierung?
Sie will die VUA-Standorte trotzdem erhalten und weitere schaffen. Und: Die örtlichen Reviere dürfen wieder mehr Unfälle aufnehmen als bisher, auch wenn es Schwerverletzte oder Tote gibt. Die Experten sollen bei sehr komplexen Unfällen mit mehrere Beteiligten oder unklarer Spurenlage anrücken. Außerdem sollen die Experten vermehrt rund um die Uhr im Einsatz sein. Es wird nicht mehr so streng getrennt zwischen jenen Polizisten, die zum Beispiel Tempokontrollen durchführen und ihren Kollegen, die Unfälle protokollieren. Tuttlingen verliert zwar wegen der Neuerungen ab 2020 sein Polizeipräsidium. Doch bei der Aufnahme von Unfällen ist eine Verbesserung in Sicht. Die Polizeidienstelle in Villingen-Schwenningen wird um Experten für die Unfallaufnahme verstärkt. Ravensburg bekommt zum neuen Präsidium auch eine rund um die Uhr besetzte Unfallaufnahme. Bisher arbeitet diese nur von 6 bis 22 Uhr – so dass in der Nacht oft Polizisten aus Kißlegg oder Sigmaringen anfahren mussten. Das kommt auch dem Bodenseekreis zu Gute.
Wie fallen die Reaktionen auf diese Pläne aus?
Oliver Surbeck, Kreisbrandmeister in Ravensburg und Sprecher seiner Landeskollegen, hält das neue Modell für tragfähig. „Natürlich ist es nicht gut, wenn freiwillige Feuerwehrleute nachts stundenlang Unfallstellen bewachen müssen, die gehen ja am nächsten Tag wieder arbeiten“, so Surbeck. Doch wenn nun die Reviere wieder mehr Kompetenzen hätten, gebe es damit weniger Probleme. Der GdP-Landeschef Beck hielte es für falsch, die Unfallaufnahme wieder ganz an die Streifenkollegen zu übergeben: „Es kann nicht sein, dass Ermittlungen bei tödlichen Unfällen eine solch qualitative Schwankungsbreite aufweist wie vor der Polizeireform.“Lange Wartezeiten entstünden auch, weil die Polizei zu wenig Personal habe. So sieht das auch Manfred Kusterer von der DPolG. Aber: Das alte System sei zuverlässig und gut gewesen, es habe keine Qualitätsprobleme gegeben.