Westen warnt trotz des Sieges vor dem IS
Letzte Bastion der Terrormiliz in Syrien befreit – Verlagerung „in den Untergrund“möglich
DAMASKUS (dpa/AFP) - Nach dem Fall der letzten syrischen IS-Bastion und dem Ende des selbst ernannten Kalifats mehren sich die Warnungen vor einem Wiederaufstieg der Extremisten. Syriens Kurden, aber auch Deutschland und andere Länder sehen in der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) weiterhin eine Gefahr. Die syrischen Kurden forderten den Westen zudem dazu auf, festgenommene ausländische IS-Kämpfer zurückzunehmen. US-Präsident Donald Trump erklärte, die USA würden „wachsam“bleiben und den Kampf fortsetzen, bis die Terrormiliz endgültig besiegt sei. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) würdigte den Einsatz der Anti-IS-Koalition, doch gehe weiter eine „erhebliche Gefahr“vom IS aus, der seine Terroraktivitäten in Syrien und Irak „in den Untergrund“verlagere. Das Engagement der Anti-IS-Koalition gehe daher weiter. Ähnlich äußerte sich auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Die von Kurden angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) hatten am Samstag nach wochenlangen Kämpfen die letzte IS-Bastion Baghus im Osten des Landes für befreit erklärt. Das „sogenannte Kalifat“sei vollständig zerstört worden, teilte SDF-Sprecher Mustafa Bali mit. Ihren Sieg feierten die Kurden mit einer Militärzeremonie. Der IS hatte weite Teile Syriens und des Irak 2014 unter seine Kontrolle gebracht und ein Kalifat ausgerufen. In ihrer inoffiziellen Hauptstadt Rakka in Nordsyrien und anderen Gebieten errichteten die Dschihadisten eine Schreckensherrschaft mit Enthauptungen, Steinigungen und der sexuellen Versklavung von Frauen. Mit dem Fall von Baghus ist der militärische Konflikt nun vorbei.
Streit gibt es um die Rücknahme ausländischer IS-Kämpfer. Dies forderten die syrischen Kurden am Samstag vom Westen. In Syrien wurden seit Dezember nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte 8300 Dschihadisten gefangen genommen, darunter 1400 Europäer. Während US-Präsident Donald Trump darauf besteht, dass Europa sie zurücknimmt, verhalten sich die EU-Staaten meist zögerlich. Unlängst hatte Außenminister Maas erklärt, eine Rückholung sei „außerordentlich schwierig zu realisieren“.
AMMAN - Weil die Regie des Weißen Hauses es so wollte, musste die Siegesfeier schon vor der Einnahme des mutmaßlich allerletzten Herrschaftsgebiets des sogenannten Islamischen Staates (IS) am Ufer des Euphrat stattfinden. Wie schon häufig hatte US-Präsident Donald Trump vorschnell gehandelt – und den Triumph über die Terrormiliz am Freitagabend verkündet. Die schweren Kämpfe in der IS-Bastion Baghus waren zu diesem Zeitpunkt aber noch im Gange.
Die letzten Kämpfer des IS wollten sich lange Zeit noch immer nicht ergeben. Am Samstag und Sonntag kamen dann immer mehr IS-Kämpfer aus Tunneln unter dem Ort hervor und ergaben sich. Der Sprecher der kurdischen Miliz YPG sagte aber am Sonntag, in den unterirdischen Gängen könnten sich noch Kämpfer verstecken.
Der Widerstand der fanatisierten Dschihadisten ändert aber nichts an der Tatsache, dass das Kalifat, im Juli 2014 in der großen Moschee von Mosul proklamiert, zerschlagen worden ist. Der von der „New York Times“einst als „teuflisch effizient“beschriebene Terrorstaat war damals so groß wie Großbritannien, reichte von den Toren Bagdads bis in die Vororte von Aleppo und hatte mehr als acht Millionen Einwohner.
Die „hundertprozentige territoriale Niederlage“, so die überwiegend kurdischen „Syrisch-Demokratischen Kräfte“(SDF) in ihrem Sieges-Tweet, bedeutet aber nicht, dass der IS in der Versenkung verschwindet. Immer wieder wies der Außenbeauftragte der SDF Adel Karim Omar am Wochenende darauf hin, dass „wir den Terror noch längst nicht besiegt haben“. Die Terrormiliz, warnte er, könnte in neuer Form wiederauferstehen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Donald Trump bekräftigten daher ihre Bereitschaft, den Kampf gegen die Terrorgruppen fortzusetzen.
Dennoch würden die IS-Terroristen „für immer Verlierer bleiben“, hofft Trump. Die Dschihadisten bestreiten das. Verloren, hatte IS-Sprecher Abu Hassan al-Muhajir bereits am vergangenen Mittwoch verkündet, habe man „nur nach westlichen Maßstäben“. Diese besäßen für „wirklich gläubige Muslime“aber keine Gültigkeit. Die wirre IS-Logik lautet: Was immer die „Koalition der Ungläubigen“auch tun werde – am Ende siege der „Islamische Staat“.
Der harte Kern ist ungebrochen
Wer sich davon überzeugen möchte, dass der harte Kern des IS ideologisch ungebrochen ist, sollte das von den SDF errichtete Internierungslager Al-Hol besuchen. In dem im kurdischen Nordosten Syriens errichteten Camp wurden 66 000 Zivilisten untergebracht, die aus der IS-Hochburg Baghus evakuiert wurden. Die Hälfte hat sich mit hasserfüllten Sprechchören als IS-Sympathisanten zu erkennen gegeben. Hinzu kommen mindestens 5000 gefangene ISKämpfer. Es gebe Tausende gefangen genommener Kämpfer aus 54 Ländern mit deren Kindern und Frauen, sagte Abdel Karim Omar nach der Schlacht von Baghus. Die seien eine „ernste Last und Gefahr“für Syriens Kurden, weshalb sie von ihren Heimatländern zurückgeholt werden müssten. Der SDF-Außenbeauftragte verlangte „eine Koordinierung zwischen uns und der internationalen Staatengemeinschaft, um sich der Gefahr zu stellen“.
Schließlich seien einige Tausend Kinder von IS-Kämpfern mit der ISIdeologie erzogen worden. „Wenn diese Kinder nicht umerzogen werden und in ihre Ursprungsgesellschaft integriert werden, sind sie die Terroristen von Morgen“, sagte Omar. Die Einschätzung des SDF-Offiziellen teilen fast alle westlichen Geheimdienste. Die Bereitschaft, ISAktivisten zurückzunehmen, ist bei vielen Staaten aber gering.