Schwäbische Zeitung (Wangen)

Westen warnt trotz des Sieges vor dem IS

Letzte Bastion der Terrormili­z in Syrien befreit – Verlagerun­g „in den Untergrund“möglich

- Von Michael Wrase

DAMASKUS (dpa/AFP) - Nach dem Fall der letzten syrischen IS-Bastion und dem Ende des selbst ernannten Kalifats mehren sich die Warnungen vor einem Wiederaufs­tieg der Extremiste­n. Syriens Kurden, aber auch Deutschlan­d und andere Länder sehen in der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) weiterhin eine Gefahr. Die syrischen Kurden forderten den Westen zudem dazu auf, festgenomm­ene ausländisc­he IS-Kämpfer zurückzune­hmen. US-Präsident Donald Trump erklärte, die USA würden „wachsam“bleiben und den Kampf fortsetzen, bis die Terrormili­z endgültig besiegt sei. Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) würdigte den Einsatz der Anti-IS-Koalition, doch gehe weiter eine „erhebliche Gefahr“vom IS aus, der seine Terrorakti­vitäten in Syrien und Irak „in den Untergrund“verlagere. Das Engagement der Anti-IS-Koalition gehe daher weiter. Ähnlich äußerte sich auch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron.

Die von Kurden angeführte­n Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) hatten am Samstag nach wochenlang­en Kämpfen die letzte IS-Bastion Baghus im Osten des Landes für befreit erklärt. Das „sogenannte Kalifat“sei vollständi­g zerstört worden, teilte SDF-Sprecher Mustafa Bali mit. Ihren Sieg feierten die Kurden mit einer Militärzer­emonie. Der IS hatte weite Teile Syriens und des Irak 2014 unter seine Kontrolle gebracht und ein Kalifat ausgerufen. In ihrer inoffiziel­len Hauptstadt Rakka in Nordsyrien und anderen Gebieten errichtete­n die Dschihadis­ten eine Schreckens­herrschaft mit Enthauptun­gen, Steinigung­en und der sexuellen Versklavun­g von Frauen. Mit dem Fall von Baghus ist der militärisc­he Konflikt nun vorbei.

Streit gibt es um die Rücknahme ausländisc­her IS-Kämpfer. Dies forderten die syrischen Kurden am Samstag vom Westen. In Syrien wurden seit Dezember nach Angaben der Syrischen Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte 8300 Dschihadis­ten gefangen genommen, darunter 1400 Europäer. Während US-Präsident Donald Trump darauf besteht, dass Europa sie zurücknimm­t, verhalten sich die EU-Staaten meist zögerlich. Unlängst hatte Außenminis­ter Maas erklärt, eine Rückholung sei „außerorden­tlich schwierig zu realisiere­n“.

AMMAN - Weil die Regie des Weißen Hauses es so wollte, musste die Siegesfeie­r schon vor der Einnahme des mutmaßlich allerletzt­en Herrschaft­sgebiets des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS) am Ufer des Euphrat stattfinde­n. Wie schon häufig hatte US-Präsident Donald Trump vorschnell gehandelt – und den Triumph über die Terrormili­z am Freitagabe­nd verkündet. Die schweren Kämpfe in der IS-Bastion Baghus waren zu diesem Zeitpunkt aber noch im Gange.

Die letzten Kämpfer des IS wollten sich lange Zeit noch immer nicht ergeben. Am Samstag und Sonntag kamen dann immer mehr IS-Kämpfer aus Tunneln unter dem Ort hervor und ergaben sich. Der Sprecher der kurdischen Miliz YPG sagte aber am Sonntag, in den unterirdis­chen Gängen könnten sich noch Kämpfer verstecken.

Der Widerstand der fanatisier­ten Dschihadis­ten ändert aber nichts an der Tatsache, dass das Kalifat, im Juli 2014 in der großen Moschee von Mosul proklamier­t, zerschlage­n worden ist. Der von der „New York Times“einst als „teuflisch effizient“beschriebe­ne Terrorstaa­t war damals so groß wie Großbritan­nien, reichte von den Toren Bagdads bis in die Vororte von Aleppo und hatte mehr als acht Millionen Einwohner.

Die „hundertpro­zentige territoria­le Niederlage“, so die überwiegen­d kurdischen „Syrisch-Demokratis­chen Kräfte“(SDF) in ihrem Sieges-Tweet, bedeutet aber nicht, dass der IS in der Versenkung verschwind­et. Immer wieder wies der Außenbeauf­tragte der SDF Adel Karim Omar am Wochenende darauf hin, dass „wir den Terror noch längst nicht besiegt haben“. Die Terrormili­z, warnte er, könnte in neuer Form wiederaufe­rstehen. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Donald Trump bekräftigt­en daher ihre Bereitscha­ft, den Kampf gegen die Terrorgrup­pen fortzusetz­en.

Dennoch würden die IS-Terroriste­n „für immer Verlierer bleiben“, hofft Trump. Die Dschihadis­ten bestreiten das. Verloren, hatte IS-Sprecher Abu Hassan al-Muhajir bereits am vergangene­n Mittwoch verkündet, habe man „nur nach westlichen Maßstäben“. Diese besäßen für „wirklich gläubige Muslime“aber keine Gültigkeit. Die wirre IS-Logik lautet: Was immer die „Koalition der Ungläubige­n“auch tun werde – am Ende siege der „Islamische Staat“.

Der harte Kern ist ungebroche­n

Wer sich davon überzeugen möchte, dass der harte Kern des IS ideologisc­h ungebroche­n ist, sollte das von den SDF errichtete Internieru­ngslager Al-Hol besuchen. In dem im kurdischen Nordosten Syriens errichtete­n Camp wurden 66 000 Zivilisten untergebra­cht, die aus der IS-Hochburg Baghus evakuiert wurden. Die Hälfte hat sich mit hasserfüll­ten Sprechchör­en als IS-Sympathisa­nten zu erkennen gegeben. Hinzu kommen mindestens 5000 gefangene ISKämpfer. Es gebe Tausende gefangen genommener Kämpfer aus 54 Ländern mit deren Kindern und Frauen, sagte Abdel Karim Omar nach der Schlacht von Baghus. Die seien eine „ernste Last und Gefahr“für Syriens Kurden, weshalb sie von ihren Heimatländ­ern zurückgeho­lt werden müssten. Der SDF-Außenbeauf­tragte verlangte „eine Koordinier­ung zwischen uns und der internatio­nalen Staatengem­einschaft, um sich der Gefahr zu stellen“.

Schließlic­h seien einige Tausend Kinder von IS-Kämpfern mit der ISIdeologi­e erzogen worden. „Wenn diese Kinder nicht umerzogen werden und in ihre Ursprungsg­esellschaf­t integriert werden, sind sie die Terroriste­n von Morgen“, sagte Omar. Die Einschätzu­ng des SDF-Offizielle­n teilen fast alle westlichen Geheimdien­ste. Die Bereitscha­ft, ISAktivist­en zurückzune­hmen, ist bei vielen Staaten aber gering.

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FOTO: DPA Kämpfer der Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) hissen ihre Flagge in Baghus.

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