Gutes besser tun
Effektive Altruisten wollen mit ihren Spenden möglichst viel Leid lindern – Dafür verzichten sie auf einen Teil ihres Gehalts
MÜNCHEN - Alma Barner hat ein teures Versprechen abgegeben. Sich selbst gegenüber. Die 36-jährige Münchnerin will zehn Prozent ihres Einkommens für die Bekämpfung von Armut spenden. Ein Leben lang. Bei der Auswahl der Hilfsprojekte folgt die Philosophin nicht nur ihrem Herzen – sondern vor allem Fakten. „Ich möchte, dass mein Geld möglichst viel Leid lindert“, sagt sie. Jeder Euro soll den größtmöglichen „Impact“haben.
Barner ist Effektive Altruistin und Teil einer global rasant wachsenden sozialen Bewegung. MicrosoftGründer Bill Gates und FacebookCoFounder Dustin Moskovitz gehören zu den prominentesten Vertretern. Die breite Basis aber bilden junge, akademisch gebildete Menschen. Allein in Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 30 Lokalgruppen. Auch in Bayern und Baden-Württemberg finden regelmäßige Treffen statt. Das ehrgeizige Ziel der Mitglieder? Die Erde zu einem besseren Ort zu machen. Indem sie möglichst viel Geld an Hilfsorganisationen spenden, die effektiv gegen das Leid auf der Welt kämpfen. Indem sie einen Job wählen, der die Menschheit voranbringt.
Empathie allein reicht nicht
Was die Aktivisten eint, ist ihre Selbstlosigkeit. Aber auch das Wissen, dass Empathie allein nicht reicht, um den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen. „Wenn man etwas tut, sollte es auch effektiv sein“, sagt Philosoph Peter Singer, der mit Kollege William MacAskill einer der Gründerväter des Effektiven Altruismus (EA) ist. Konkret heißt das: „Wer spenden möchte, sollte darüber nachdenken, ob er mit dem gleichen Geld woanders nicht noch mehr bewegen kann“, sagt Denis Fast aus Bayreuth. Es sei zwar gut, einem Obdachlosen zu helfen, „aber wenn ich mit derselben Summe in Indien zehn Obdachlose unterstützen könnte, würde ich Letzteres wählen“, argumentiert der Student. Was bei den Effektiven Altruisten zählt, ist eine klare Kosten-NutzenRechnung. Und die Frage: Wie kann jeder seine limitierten Ressourcen so einsetzen, dass er die meisten Leben rettet?
Über einen Mitbewohner stieß der 20-Jährige vor einem halben Jahr zu der Lokalgruppe an der Universität Bayreuth. Inzwischen leitet der „Philosophy and Economics“-Student sie gemeinsam mit einer Kommilitonin. Alma kam vor zwei Jahren während eines Aufenthalts an der New York University in Kontakt mit dem Effektiven Altruismus. Seither prägt die Philosophie ihren Alltag.
Mit Blick auf das Tierwohl und die Umwelt ernährt sich die PostDoktorandin – ebenso wie Denis – vegan. In der Szene der Effektiven Altruisten ist die Wissenschaftlerin, die beruflich zwischen der Isar-Metropole
„Wenn man etwas tut, sollte es auch effektiv sein.“Philosoph Peter Singer, Gründervater des Effektiven Altruismus
und Antwerpen pendelt, gut vernetzt. Die Treffen der Gruppe auf der Münchner Praterinsel sind fester Bestandteil ihres Lebens – auch ihren Partner, Produktmanager bei Google, hat sie dort kennengelernt. Viele der rund 30 Mitglieder, meist Studenten und Berufseinsteiger mit naturwissenschaftlichem Hintergrund, sind ihre Freunde geworden – einfach weil die Geisteshaltung passt.
Eingeladen zu den Treffen ist jeder, der sich für die Bewegung interessiert und den intellektuellen Austausch sucht. „Diskutiert wird meist auf Englisch – damit auch jeder folgen kann“, erklärt Alma. Mal sprechen sich die Teilnehmer darüber aus, was EA für jeden persönlich bedeutet, mal geht es um Massentierhaltung oder Big Data in der Forschung. „Mitglieder halten Kurzvorträge zu EA-relevanten Themen, wenn sie bereits darüber geforscht, sich Spezialwissen angeeignet haben oder bereit sind, dies noch zu tun. In der Zeit rund um Weihnachten geht es natürlich auch ums Spenden – und damit um das Ranking von „Give Well“, die Bibel der Weltverbesserer.
Bei der gemeinnützigen Organisation in Kalifornien prüfen Mathematiker, Ökonomen und Philosophen den langfristigen Erfolg von Hunderten von Hilfswerken. Die Wirksamkeit vieler Projekte geht Richtung null, etwa weil Konzepte nicht zum Land passen. Andere sind mit der gleichen Summe tausendmal effektiver – sie werden von „Give Well“oder „The Life You Can Save“empfohlen.
Seit Jahren ist die Against Malaria Foundation in den Top 10 vertreten. Sie verteilt mit Insektizid behandelte Bettnetze in Afrika, Asien und Lateinamerika. Mehr als 435 000 Menschen sterben der Weltgesundheitsorganisation zufolge jährlich an der durch Mückenstiche übertragenen Tropenkrankheit. Die meisten Opfer sind Kinder. Der Preis für ein Netz? Zwei Dollar. Keine andere Organisation kann laut „Give Well“so günstig Leben retten. Die Kinderpsychiaterin Monika Kopec aus Bad Friedrichshall in Baden-Württemberg hat diese empirische Vorgehensweise gleich gepackt. „Es gibt so viel Leid. Ich wusste oft nicht, wo ich ansetzen soll.“Früher spendete die 36-Jährige mal ans örtliche Tierheim, mal an Greenpeace. „Das war aus dem Bauch heraus und wahrscheinlich total ineffektiv.“
Langfristiges Engagement
Im Sommer 2015 gründete sie die Lokalgruppen in Tübingen und Stuttgart mit. Auch in Karlsruhe, Mannheim und Freiburg gibt es regelmäßige Treffen. Schnell war der Ärztin klar, dass sie nicht mehr nur Einzelbeträge spenden möchte. Und sie ein gerettetes Leben glücklicher macht als ein Paar neue Schuhe. „Ich wollte ein langfristiges Commitment abgeben.“Seither läuft der Dauerauftrag über zehn Prozent ihres Einkommens. Spartanisch leben müssen sie und ihre Familie deshalb nicht. „Ich verzichte einfach auf Dinge, die mir keinen Glücksbonus geben.“Selbst mit einem mittleren Einkommen würden die Deutschen noch zu den reichsten Menschen der Welt gehören. „Wer so privilegiert lebt wie wir in der westlichen Welt, muss sich auch überlegen, wie viel mit ein bisschen Geld woanders erreicht werden kann“, findet Kopec.
Ähnlich sieht das Alma Barner. „Es gibt so viele Hilfsprojekte. Man wird regelrecht überflutet. Ich war oft überfordert, was ich tun soll.“Eine klare Richtschnur zu haben und nicht mehr nur aus dem Bauch heraus zu entscheiden, helfe ihr sehr. Inzwischen habe sie nicht nur das Gefühl, sondern die Sicherheit, etwas Gutes getan zu haben. Monatlich spendet sie 210 Euro.
Immer mehr Menschen denken so. „Die Bereitschaft junger Leute, sich zu engagieren, ist groß“, sagt Markus Vogt, Professor für Christliche Sozialethik an der Münchner LudwigMaximilians-Universität. Es sei im Bewusstsein vieler angekommen, dass es nicht ausreiche, auf rein hedonistische Modelle zu setzen. „Der Gedanke, Ökonomie und soziales Engagement zusammenzubringen, ist neu und attraktiv – zumal wir oftmals das Gefühl haben, die globale Entwicklungshilfe bewirkt wenig.“
Die Zentren der EA-Bewegung liegen in den USA und Großbritannien – aber auch in Europa tut sich einiges. In der Schweiz etwa gründete Jonas Vollmer 2013 die Stiftung für Effektiven Altruismus mit, schmiss dafür sein Medizinstudium. „Als
„Es gibt so viel Leid. Ich wusste oft nicht, wo ich ansetzen soll.“Monika Kopec, Kinderpsychiaterin aus Bad Friedrichshall
Arzt könnte ich in meiner Laufbahn rund 20 Patienten das Leben retten. Das Gleiche erreiche ich auch mit 50 000 Euro“, sagt der 27-Jährige. Ihm war schnell klar: „Wenn ich möglichst viele dafür gewinne, effektiv zu spenden, kann ich deutlich mehr bewirken.“
Sein durch Spenden finanzierter Thinktank hat mittlerweile seinen Sitz in Berlin. Die Mitarbeiter tragen die Idee des EA in die Welt, beraten bei der ethischen Jobwahl, organisieren Kongresse. Geforscht wird zu den Chancen und Risiken von Zukunftstechnologien. Ziel der Bewegung ist es, die strukturellen Ursachen von Armut zu bekämpfen. Rund 200 Personen spenden bereits mindestens zehn Prozent ihres Einkommens an die Hilfsprojekte. Vollmer selbst verzichtet auf die Hälfte seines Lohns. Mehr als 820 000 Euro an Spenden kamen 2017 im deutschsprachigen Raum zusammen.
Seit Kurzem denkt Philosophin Alma Barner darüber nach, noch einen Schritt weiterzugehen. „Als Juristin könnte ich deutlich mehr erreichen – indem ich mithilfe des Gesetzes Ungerechtigkeiten aufdecke oder etwas im Klimaschutz bewege.“Auch andere wechseln schon mal den Job oder das Studienfach, um noch mehr Gutes zu tun. „Ein Bekannter von mir ist in die Schweiz gezogen, weil er dort als Informatiker mehr verdient und somit auch mehr geben kann.“Im EA-Fachjargon nennt sich das „Earning to give“. In Oxford gibt es sogar „80 000 Hours“– eine Art Berufsberatung, die hilft, Jobs zu finden, die den persönlichen Talenten entsprechen – und der Menschheit nützen.
Es gibt auch Kritiker
Aber: Die Bewegung ist nicht unumstritten. Sozialethiker Markus Vogt hält es zwar für richtig, Hilfsorganisationen auf ihre Wirksamkeit hin zu bewerten – aber Effizienz als einziges Kriterium? „Es ist falsch, nur von der Menge der Konsequenzen her zu denken. Drastisches Beispiel: Man könnte einen Menschen töten und mit seinen Organen zehn andere retten.“Obdachlose leer ausgehen zu lassen, weil mit dem Geld in Afrika Tausende Kinder von lebensbedrohlichen Durchfallkrankheiten geheilt werden können, hält er für bedenklich. „Menschenleben können nicht gegeneinander verrechnet werden.“Es gebe eine berechtigte Priorität der Nächstenliebe gegenüber der Fernliebe. „Ethik ist immer vom konkreten Ort, von konkreten Beziehungen her zu denken, nicht vom abstrakten Helfen in der Welt.“Wer global altruistisch, aber lokal ein Schweinehund sei, dem glaube man nicht. „Es ist wichtig, beides in ein Gleichgewicht zu bringen“, sagt Vogt.
Jonas Vollmer von den Effektiven Altruisten betont: „Natürlich zählt jedes Leben gleich viel. Dass wir uns zwischen zwei Dingen überhaupt entscheiden müssen, ist traurig. Aber solange wir es müssen, ist die Lösung, bei der wir am meisten universelles Mitgefühl zeigen, die, bei der am meisten Leid gelindert wird.“