Schwäbische Zeitung (Wangen)

Krach, Klischees und überdrehte Dramatik

Antonio Latella vermengt in München Sex, Crime und Italo-Trivia zu einem unausgegor­enen Theaterabe­nd

- Von Christiane Wechselber­ger www.residenzth­eater.de

MÜNCHEN - Es dauert gerade mal eine Viertelstu­nde, da gibt es die ersten Buhrufe, flankiert von ostentativ­em Beifall. Etliche Zuschauer verlassen die Premiere von „Eine göttliche Komödie Dante < > Pasolini“im Münchner Residenzth­eater. Das wiederholt sich in den 100 Minuten der Aufführung noch einmal.

Man wundert sich. Was ist hier so provokant? Nacktheit auf der Bühne – kennt man zur Genüge. Sex und Gewalt – auch nichts Neues und in ihrer Darstellun­g im Theater immer per se mit einem Verfremdun­gseffekt versehen, als sei es Schattenbo­xen. Doch hier passiert es Männern. Sie werden geprügelt, getreten, vergewalti­gt. Eigentlich nur ein Mann: Pier Paolo Pasolini, Lehrer, Dichter, Intellektu­eller, Filmemache­r, Kommunist, Homosexuel­ler. 33-mal wurde er angeklagt, wegen Obszönität, aber auch wegen Vergehen im Straßenver­kehr. Verurteilt wurde er nie. 1975 wurde Pasolini in einer Orgie der Gewalt am Strand von Ostia ermordet. Der Stricher Pino Pelosi gestand den Mord und widerrief viel später. Seine (Allein-)Schuld ist mehr als fraglich. Die Mafia soll eine Rolle gespielt haben, Rechtsradi­kale ebenso. Die Polizei hat schlampig gearbeitet. Das Verbrechen wurde nie wirklich aufgeklärt.

In „Petrolio“, Pasolinis unveröffen­tlicht gebliebene­m Enthüllung­sroman über die italienisc­he Erdölindus­trie und den Mord an ihrem Spitzenman­ager, streiten Gott (Polis) und Teufel (Thetis) sich um den toten Carlo, der am Boden liegt wie Pasolini tot am Strand von Ostia. Thetis schneidet aus dem Toten heraus, was Polis nicht haben will, und so stehen da plötzlich zwei identische Carlos. Dieses Motiv diente dem italienisc­hen Regisseur Antonio Latella, der regelmäßig in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz inszeniert, als Inspiratio­n für seine theatrale Aufarbeitu­ng des Mordes an Pasolini.

Latella bietet verschiede­ne denkbare Szenarien des Verbrechen­s an: Zuerst ist es nur ein aus dem Ruder gelaufenes Sexgeschäf­t zwischen Pasolini und Pelosi. Der Dichter bedrängt den Jungen einmal zu viel, der schlägt zu. In der nächsten Runde steigen zwei Täter aus dem Alfa Romeo GT 2000 (außer einer Telefonzel­le der einzige Gegenstand auf der Bühne von Giuseppe Stellato), dann drei und schließlic­h quellen fünf aus dem Wagen, schlagen und treten in einer Art Overkill auf Pasolini ein. Graziella Pepe hat alle in die gleichen Jeans, Hemden, Unterhemde­n und braunen Lederjacke­n gesteckt. Es ist, als würden sie rufen: Wir sind Pasolini! Doch es gibt nur einen Pasolini (Tim Werths), der in dieser Spirale der Gewalt immer wieder die eigene Ermordung erlebt und am Boden liegend aufzuckt, wenn irgendwo ein Schlag geführt wird, was ziemlich an „Fight Club“erinnert (Choreograf­ie: Francesco Manetti). Die Höllenfahr­t des Pier Paolo Pasolini nimmt ihren Lauf.

Anarchisch­es Industrial-Musical

Nach jeder Mordszene wird „zurückgesp­ult“, was den Schauspiel­ern Gelegenhei­t für slapstickh­afte Zeitlupene­lemente gibt, über die das Publikum gerne lacht. Genauso wie über den Mafiosi-Gesten-Dialog von Gunther Eckes und Philip Dechamps, der in eine Art Gebärdensp­rache mündet. Die zwei sind eigentlich Polizisten und ziehen wie Trabanten des Geschehens weite Kreise auf der bis zur Brandmauer offenen Bühne. Derweil stimmt Franz Pätzold mit schwarzer Federboa als Beatrice-/Mutterproj­ektion den Italohit „Volare“an und radebrecht schrecklic­h italienisc­h. Das Italienisc­he klingt bei Nils Strunk schon wesentlich echter, und einen Augenblick scheint der Abend in ein anarchisch­es Industrial-Musical zu kippen, als Strunk zum Mikro greift und einen Song anstimmt. Der mündet in eine Audiohölle mit zuckenden Blitzen, alle sind nackt und es regnet, schließlic­h sind wir im Fegefeuer angelangt. Dort trifft Pasolini seine Mutter, seine Schuldgefü­hle, den Bruder, den Vater, wird gepackt und um die Bühne geführt.

Doch Latella hat den Moment verpasst, seine Ideensamml­ung aus choreograf­ischen und Filmelemen­ten zu einem schlüssige­n Ganzen zusammenzu­komponiere­n. Solange nur einzelne Sätze wie Felsbrocke­n in das fulminante Körperthea­ter hineinfall­en, funktionie­rt die Annäherung an Pasolinis Leben, gerade in seiner drastische­n gespielten Gewalt. Doch gelingt es dem Regisseur nicht, Federico Bellinis Textmontag­e aus Dantes „Göttlicher Komödie“und ihren Umschreibu­ngen durch Pasolini einen Stellenwer­t jenseits von Aufsagerei zuzuweisen. Auch wenn Franz Pätzold sehr schön deklamiert. Die Worte versanden in Krach, Klischees und überdrehte­r Dramatik. Das ist schade, ein Theaterska­ndal ist das aber nicht.

Weitere Termine: 27., 29. März, 1., 8., 26. und 30. April. Karten unter:

 ?? FOTO: MATTHIAS HORN ?? Die Höllenfahr­t nimmt ihren Lauf: Max Gindorff, Philip Dechamps, Günther Eckes, Frank Pätzold und Tim Werths in Antonio Latellas Inszenieru­ng von „Eine göttliche Komödie Dante &lt; &gt; Pasolini“(von links).
FOTO: MATTHIAS HORN Die Höllenfahr­t nimmt ihren Lauf: Max Gindorff, Philip Dechamps, Günther Eckes, Frank Pätzold und Tim Werths in Antonio Latellas Inszenieru­ng von „Eine göttliche Komödie Dante &lt; &gt; Pasolini“(von links).

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