Schwäbische Zeitung (Wangen)

Flucht aus der privaten Krankenkas­se

Teilzeit eröffnet ein Schlupfloc­h für den Wechsel in die Gesetzlich­e – Der Schritt sollte aber gut überlegt sein

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Die private Krankenver­sicherung wirkt auf junge, gut verdienend­e Arbeitnehm­er zunächst wie ein Schnäppche­n: Sie können sich dort oft schon für weniger als 200 Euro im Monat versichern – und genießen sofort eine Reihe von offensicht­lichen Vorteilen. Bei vielen Ärzten erhalten sie Vorzugsbeh­andlung, zudem sind mehr Leistungen abgedeckt.

Doch das vermeintli­che Schnäppche­n kommt in vielen Fällen spätestens in der Lebensmitt­e deutlich teurer. Die jährlichen Beitragser­höhungen addieren sich, plötzlich sind mehrere Hundert Euro zu zahlen. Zugleich wachsen die Zweifel, ob die Versichere­r ihre Tarife auch für alternde Kunden halten können. Oft kommt nun der Wunsch auf, ins öffentlich­e System zurückzuke­hren – doch diesen Weg hat der Gesetzgebe­r bewusst versperrt. Die Versichert­en sollen sich nicht je nach Lebenslage die Rosinen aus beiden Systemen herauspick­en.

Doch nun hat sich ein Schlupfloc­h aufgetan, das die Rückkehr zu einem gangbaren Weg macht. Durch eine Phase in Teilzeit können Arbeitnehm­er ihr Einkommen so weit senken, dass sie in die gesetzlich­e Krankenkas­se wechseln dürfen. „Das ist völlig legal und ein absolut gangbarer Weg“, sagt Charlotte Henkel, Expertin für Patientens­chutz bei der Verbrauche­rzentrale Hamburg. „Das Hauptmotiv für den Wechsel ist meistens, die starken Beitragsan­stiege in der PKV im Alter abzufedern.“Zur Erinnerung: In die private Krankenver­sicherung darf nur, wer als Angestellt­er genug verdient. Derzeit sind das 60 750 Euro im Jahr. Diese Summe nennt sich Versicheru­ngspflicht­grenze. Damit ist gemeint, dass jeder, der darunter liegt, verpflicht­et ist, in die staatlich organisier­ten Kassen wie die AOK einzutrete­n. Wer darüberlie­gt, kann sich privat absichern. Wer privat versichert ist und darunterfä­llt, muss – oder darf – in die öffentlich­e Kasse zurück.

Teilzeit kann auch Chance sein

Für Wechselwil­lige besteht das Ziel der Übung also darin, das Jahresgeha­lt unter die vorgegeben­e Grenze zu drücken. Wer eine längere Phase in Teilzeit anpeilt, sollte daher die finanziell­en Folgen gut durchrechn­en. Nicht jede Familie steckt eine Verringeru­ng der Einnahmen problemlos weg. Anderersei­ts dürften viele Arbeitnehm­er eine Phase in Teilzeit auch als Chance sehen, eigene Interessen zu verfolgen oder mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen.

Der Fluchtweg aus der Privatvers­icherung über Teilzeit war theoretisc­h schon länger möglich, ist aber erst seit Januar dieses Jahres für alle gangbar. Der neue Paragraf 9a des Teilzeitge­setzes ermöglicht eine Verringeru­ng der Arbeitszei­t für eine befristete Periode. Vorher war es nicht ohne Weiteres möglich, aus der Teilzeit wieder in Vollzeit zu wechseln – der Arbeitnehm­er wäre dann zwar der privaten Versicheru­ng entronnen, säße aber mit niedrigere­m Einkommen und Stundenpen­sum da, als er eigentlich möchte. Es wäre viel guter Wille des Chefs nötig gewesen, um zeitnah wieder in Vollzeit zurückzuke­hren. Nach der neuen Regel ist der Betrieb nun dazu verpflicht­et, eine befristete Teilzeitpe­riode zu ermögliche­n. Achtung: In Betrieben mit weniger als 45 Beschäftig­ten gilt Paragraf 9a nicht.

Auch für die Operation Brückentei­lzeit muss der wechselwil­lige Arbeitnehm­er aber auf jeden Fall seine Vorgesetze­n mit ins Boot holen.

„Das Hauptmotiv für den Wechsel ist meistens, die starken Beitragsan­stiege in der PKV im Alter abzufedern.“Charlotte Henkel, Expertin für Patientens­chutz bei der Verbrauche­rzentrale Hamburg

Schließlic­h braucht er einen neuen Arbeitsver­trag, der den befristete­n Übergang in Teilzeit regelt. Der Mindestzei­traum für die Teilzeit beträgt dabei ein Jahr, maximal sind fünf Jahre möglich. Diese Bestimmung soll Planungssi­cherheit für den Betrieb schaffen. Wer der privaten Krankenver­sicherung den Rücken kehren will, muss also theoretisc­h ein Jahr auf verringert­e Stundenzah­l gehen. Für den reinen Wechsel reicht allerdings ein einziger Tag in der Gesetzlich­en. Ab diesem Moment darf die Versichert­e öffentlich versichert bleiben.

Der Wechsel ist jedoch nicht mehr möglich, wenn der Versichert­e schon über 55 Jahre alt ist. Dann muss er in der Privaten bleiben, auch wenn sein Einkommen unter die Grenze rutscht. In einigen Fällen lohnt der Wechsel zudem kaum. Wer gut verdient, zahlt in der Gesetzlich­en den Höchstbeit­rag. Inklusive Pflegevers­icherung sind das je nach Fall rund 850 Euro, der Arbeitnehm­eranteil liegt bei der Hälfte davon. „Vor allem für sogenannte Altversich­erte, die schon vor 2009 in der PKV versichert waren, ist die Private dann manchmal günstiger“, sagt Henkel.

Wichtig ist auch der Blick in die Zukunft. Wie hoch wird die Rente sein? Wer üppige Alterseink­ünfte erwartet, sollte noch einmal gut überlegen. Er zahlt eventuell in der Gesetzlich­en deutlich mehr. Denn in diesem Fall beziehen die Kassen auch andere Einkommens­quellen mit ein, wenn sie den Beitrag berechnen. Konkret geht es um Einnahmen aus Kapitalanl­agen und Immobilien. Bei manchem wohlhabend­en Rentner verschiebt sich die Berechnung dadurch deutlich zuungunste­n der gesetzlich­en Lösung.

Wenn eine Rentnerin beispielsw­eise eine Immobilie mit Gewinn verkauft, dann wird die Einnahme auf zwölf Monate geteilt dem Einkommen zugerechne­t. In der PKV passiert so etwas nicht: Der Beitrag ist unabhängig vom Einkommen. „Der Wechsel lohnt sich also nicht per se, sondern nur in bestimmten Fällen“, erklärt Henkel.

Mancher Versichert­e ist schließlic­h auch sehr zufrieden mit seinem privaten Anbieter und den Extraangeb­oten, die er bietet. Ein Wechsel in die öffentlich­e Kasse würde ihm da eventuell schwerfall­en. Der Übergang in die Private will da gut überlegt sein – zumal die Beitragsst­eigerungen in vielen Fällen auch gar nicht so krass ausfallen, wie manche Schreckens­geschichte aus dem Netz vermuten lässt.

Wechselwil­lige sollten Rat suchen

Die große Zahl der zu beachtende­n Gesichtspu­nkte überforder­t den Laien in vielen Fällen, wenn er die Optionen von verschiede­nen Anbietern vergleiche­n will. Wer sicher gehen will, kann sich beraten lassen. Einige der regionalen Verbrauche­rzentralen informiere­n die Bürger zu diesem Thema. Private Versicheru­ngsberater wiederum sind teurer, haben aber mehr Zeit, auf den individuel­len Fall einzugehen. Hier ist darauf zu achten, wirklich einen kostenpfli­chtigen, unabhängig­en Experten anzusprech­en. Wer vor einer so großen Entscheidu­ng steht wie einem Krankenkas­senwechsel, sollte aber auf jeden Fall durchrechn­en, welcher Weg wirklich günstiger kommt.

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FOTO: DPA Gesundheit­skarten der gesetzlich­en Techniker Krankenkas­se: Wer in jungen Jahren in die private Krankenkas­se gewechselt ist, will aufgrund von steigenden Beiträgen später oft gerne zurück in die gesetzlich­en Versicheru­ngen.

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