Arbeiten, arbeiten, arbeiten
WM zeigt Defizite des deutschen Eiskunstlaufs auf – Nathan Chen mit Rekordpunktzahl
SAITAMA (dpa/SID) - Ein Jahr nach dem Olympiatriumph von Aljona Savchenko/Bruno Massot steckt der deutsche Eiskunstlauf in einer tiefen Krise. „Wir sind an einem Wendepunkt angekommen, an dem wir uns fragen müssen, ob es ein ,weiter so‘ geben kann“, sagte Udo Dönsdorf, Sportdirektor der Deutschen EislaufUnion (DEU), nach der höchst enttäuschenden Bilanz bei den Weltmeisterschaften in Saitama. Die Erkenntnis aus der WM in Japan ist nicht allein, dass die DEU-Topathleten nur Mittelmaß sind – sondern dass die Weltelite zugleich mit großen Sprüngen immer weiter enteilt.
Allein im Paarlauf zeigten die Savchenko/Massot-Nachfolger, dass sie in der internationalen Hierarchie bis zu den Olympischen Spielen 2022 in Peking nach oben klettern können. Die Berliner Duos Minerva-Fabienne Hase/Nolan Seegert und Annika Hocke/Ruben Blommaert erreichten mit den Plätzen 13 und 14 die besten Resultate. „Sie sind ordentlich auf dem Weg“, befand Dönsdorf. Beide Paare könnten künftig unter die besten Zehn bei EM und WM kommen.
Abgesehen von den noch vagen Hoffnungen bei den Paaren, sieht der DEU-Sportchef den Verband in einer „kritischen Phase“– und besonders die Trainer im Fokus notwendiger Reformen. „Es muss eine ganz andere Art von Training entwickelt werden“, fordert Dönsdorf. „Die Trainer müssen erkennen, dass nicht mehr zum Erfolg führt, wie sie trainieren.“Er hoffe, dass alle die Zeichen der Zeit deuten, „die Ärmel aufkrempeln und arbeiten, arbeiten und arbeiten“. Eine Krise habe aber auch etwas Gutes: „Wenn die richtigen Entscheidungen getroffen werden, kann der Weg nach vorne geöffnet werden.“
Leichter gesagt als getan, wenn man besonders das exorbitante Niveau im Einzel bei den Titelkämpfen in Saitama in Japan gesehen hat. So war die Herren-Kür am Samstag ein unglaubliches Sprungfestival, in dem Titelverteidiger Nathan Chen mit Perfektion vier vierfache Sprünge auf das Eis brachte und sagte: „Ich habe meinen Job gemacht.“Der US-Amerikaner hat vor allem einen phänomenalen Rekord aufgestellt: Er gewann mit noch nie erreichten 323,42 Punkten, verwies auch Doppel-Olympiasieger und Lokalmatador Yuzuru Hanyu aus Japan (300,97) klar auf Rang zwei. Dem half es nichts mehr, die schwierige Kombination aus vierfachem Toeloop und dreifachem Axel zu meistern. Immerhin: Hanyu holte für den Gastgeber die einzige Medaille. Der Berliner Paul Fentz musste all das staunend von der Tribüne anschauen. Der Deutsche Meister, gehandicapt von einem Trainingsrückstand nach einer Schleimbeutelentzündung im Fuß, landete nur auf Platz 28 und verpasste das Kür-Finale. Auch, weil er nicht einmal den einfachsten der Vierfachen stabil sauber landen konnte: den Toeloop.
Dönsdorf mit Stilkritik
Während Olympiasiegerin Alina Sagitowa (Russland) künstlerisch mit ihrer goldenen „Carmen“-Kür die Eislaufwelt bezauberte, zeigte die Kasachin Elisabet Tursinbajewa mit der WM-Premiere des vierfachen Salchow spektakulär, wohin der Trend bei den Damen gehen könnte. „Das werden Einzelfälle bleiben“, prophezeite Dönsdorf zur Beruhigung der Deutschen Meisterin Nicole Schott aus Essen (16. Rang) und fügte skeptisch an: „Immer mehr drehen und immer mehr springen, ist nicht die Symbiose, die man sich im Eiskunstlauf vorstellt.“Bei den Herren werde der Anstieg im technischen Bereich – einhergehend mit einer hohen Fitness – für die DEU-Asse eine Herausforderung werden: „Da haben wir Nachholbedarf.“
Auch die Eistänzer Shari Koch und Christian Nüchtern (Düsseldorf/Siegen) waren unter ihren Möglichkeiten geblieben. Nach einer nicht optimalen Kür fielen die Deutschen Meister vom 17. auf den 18. Platz zurück. Alte und neue Weltmeister sind Gabriella Papadakis und Guillaume Cizeron. Die Olympiazweiten aus Frankreich sicherten sich mit der Weltrekordpunktzahl von 222,65 ihren vierten WM-Titel. Den Europameistern am nächsten kamen die Russen Victoria Sinitsina und Nikita Katsalapow (211,76) sowie Madison Hubbell und Zachary Donohue aus den USA (210,40).