Das Spielglück ist zurück
Deutschland führt, bricht ein – und gewinnt am Ende doch 3:2 gegen die Niederlande
AMSTERDAM - Endlich! Die deutsche Nationalmannschaft kann doch noch gewinnen. Der Hoffenheimer Linksverteidiger Nico Schulz traf in der Nachspielzeit eines abwechslungsreichen EM-Qualifikationsspiels, das wie ein Krimi daherkam, zum 3:2 (2:0) gegen die hochgelobte Niederlande.
Es war der erste Sieg einer deutschen Nationalmannschaft in den Niederlanden seit 23 Jahren.
Doch bis es so weit war, musste die stark verjüngte neuformierte DFB-Elf leiden. Nach einer „fantastischen ersten Halbzeit“, wie Angreifer Serge Gnabry sagte, in der Deutschland durch Tore von Leroy Sané und eben Gnabry schon 2:0 vorne lag, folgte ein bedenklicher Einbruch im zweiten Durchgang – aus dem sich die Mannschaft aber freischwamm und am Ende jubeln durfte. „Nach dem 2:2 war es echt schwierig, aber wir haben den Mut nicht verloren und alles versucht und zum Glück noch das Siegtor erzielt“, sagte Kapitän Manuel Neuer. Und Bundestrainer Joachim Löw sagte: Die erste Halbzeit war klasse, wir haben das Spiel absolut unter Kontrolle gehabt. Der Treffer in der zweiten Halbzeit fiel zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt. Es ist ein Prozess, den so eine junge Mannschaft durchläuft. Wir haben den Glauben nicht verloren. Heute hatten wir das Spielglück, das uns in den vergangenen Spielen gefehlt hat.“
Löw hat sieben Leben
Dieser Erfolg im ersten Qualifikationsspiel für die Zum-Teil-Heim-EM 2020 (mit mindestens zwei Vorrundenpartien in München) verspricht einiges und gewährt Löw Ruhe für die nächsten Monate. Die Quali dürfte bereits nach dem Auftakt so gut wie durch sein. Angesichts der anderen Gruppengegner Nordirland, Weißrussland und Estland war die Aufgabe in Amsterdam das heißeste Eisen dieses Kalenderjahres. Test mit Bravour bestanden, Haken dran an die Reifeprüfung.
Bundestrainer Joachim Löw hatte mit seiner Aufstellung überrascht. Der formstarke Marco Reus stand wegen Oberschenkelproblemen nicht in der Startelf, dafür machte der Bundestrainer mit dem Bösinger Joshua Kimmich, Toni Kroos und Leon Goretzka die Mitte im Mittelfeld dicht. Dahinter verteidigten drei Innenverteidiger und zwei auch nicht immer offensiv agierende Außenverteidiger. Sieben Neue bot Löw gegenüber dem Test gegen Serbien (1:1) am Mittwoch auf.
Eine ungewöhnliche, letztlich aber schlaue Taktik des Bundestrainers, der auf dem Höhepunkt des Drucks auf seine Person wieder einmal bewies: Der Mann ist eine Katze, hat offenbar sieben Leben.
Neben Tempo und Dynamik forderte Löw vor allem Variabilität im Nach-WM-Jahr ein, also agierte seine Elf in der Vorwärtsbewegung in einem 3-5-2-System, wobei Leon Goretzka die beiden Angreifer Leroy Sané und Serge Gnabry punktuell mit Antritten in die Spitze unterstützte. Gegen den Ball, in der Rückwärtsbewegung reihten sich die Löw-Mannen in ein 3-2-5 ein. Sehr, sehr defensiv – von der Formation her. Dennoch mutig. Die Gäste griffen forsch an, man traute seinen Augen kaum. Der Lohn für so viel Courage: Das 0:1 durch Sané (15.). Toni Kroos schickte Nico Schulz über den linken Flügel nach vorne, der – mit Tempo, mit Dynamik! – scharf in die Mitte zu Sané passte und der Angreifer von Manchester City vollstreckte mit Mumm und Hirn halbhoch ins lange Eck. Siehe da: Man kann auch mit defensiver Ausrichtung mutig nach vorne spielen – und nicht nur den Bus vor dem eigenen Tor parken wie die Bayern beim 0:0 in der Champions League beim FC Liverpool. Kapitän Manuel Neuer bewahrte seine Jungs zwei Mal gegen Ryan Babel vor dem Ausgleich (25./ 27.). Dann machte Gnabry den ArjenRobben, von der anderen Seite. Der Bayern-Profi zog mit dem Ball am rechten Fuß von links in die Mitte, narrte zwei Holländer, indem er sie nicht an die Kugel ließ und dann ab damit: Vollspeed in den Winkel, langes Eck – das 0:2 (34.). Frech. Bärenstark. Löw jubelte an der Seitenlinie, aber mal so richtig. So was hat man lange nicht gesehen. Eine souveräne Halbzeit, die beste seit der WM 2014.
Nach der Pause fing man sich den frühen Anschlusstreffer durch einen Kopfball von Matthijs de Ligt (48.), dann den Ausgleich durch Memphis Depay (63.) – 2:2. Nun bekam die Prüfung noch eine Komponente: Wie tauglich ist man bei Gegenwind? Zunächst eher schlecht, die Mannschaft wankte bedenklich. Doch sie fiel nicht. Und schwamm sich schließlich wieder heraus aus dem Druck. Nico Schulz traf auf Zuspiel des eingewechselten Ilkay Gündogan.
Und so bestanden die DFB-Bubis, ganz ohne die aussortierten Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller, diese Prüfung.
Niederlande: Cillessen – Dumfries, De Ligt, Van Dijk, Blind– Wijnaldum, de Roon, F. de Jong – Promes, Depay, Babel (ab 46. Bergwijn). – Deutschland: Neuer – Ginter, Süle, Rüdiger – Kehrer, Kimmich, Kroos, Schulz – Goretzka (ab 70. Gündogan) – Gnabry (ab 88. Reus), Sané. – Tore: 0:1 Sané (15.), 0:2 Gnabry (34.), 1:2 de Ligt (48.), 2:2 Depay (63.), 2:3 Schulz (90.) – Zuschauer: 52 000.