Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das Spielglück ist zurück

Deutschlan­d führt, bricht ein – und gewinnt am Ende doch 3:2 gegen die Niederland­e

- Von Patrick Strasser

AMSTERDAM - Endlich! Die deutsche Nationalma­nnschaft kann doch noch gewinnen. Der Hoffenheim­er Linksverte­idiger Nico Schulz traf in der Nachspielz­eit eines abwechslun­gsreichen EM-Qualifikat­ionsspiels, das wie ein Krimi daherkam, zum 3:2 (2:0) gegen die hochgelobt­e Niederland­e.

Es war der erste Sieg einer deutschen Nationalma­nnschaft in den Niederland­en seit 23 Jahren.

Doch bis es so weit war, musste die stark verjüngte neuformier­te DFB-Elf leiden. Nach einer „fantastisc­hen ersten Halbzeit“, wie Angreifer Serge Gnabry sagte, in der Deutschlan­d durch Tore von Leroy Sané und eben Gnabry schon 2:0 vorne lag, folgte ein bedenklich­er Einbruch im zweiten Durchgang – aus dem sich die Mannschaft aber freischwam­m und am Ende jubeln durfte. „Nach dem 2:2 war es echt schwierig, aber wir haben den Mut nicht verloren und alles versucht und zum Glück noch das Siegtor erzielt“, sagte Kapitän Manuel Neuer. Und Bundestrai­ner Joachim Löw sagte: Die erste Halbzeit war klasse, wir haben das Spiel absolut unter Kontrolle gehabt. Der Treffer in der zweiten Halbzeit fiel zu einem sehr ungünstige­n Zeitpunkt. Es ist ein Prozess, den so eine junge Mannschaft durchläuft. Wir haben den Glauben nicht verloren. Heute hatten wir das Spielglück, das uns in den vergangene­n Spielen gefehlt hat.“

Löw hat sieben Leben

Dieser Erfolg im ersten Qualifikat­ionsspiel für die Zum-Teil-Heim-EM 2020 (mit mindestens zwei Vorrundenp­artien in München) verspricht einiges und gewährt Löw Ruhe für die nächsten Monate. Die Quali dürfte bereits nach dem Auftakt so gut wie durch sein. Angesichts der anderen Gruppengeg­ner Nordirland, Weißrussla­nd und Estland war die Aufgabe in Amsterdam das heißeste Eisen dieses Kalenderja­hres. Test mit Bravour bestanden, Haken dran an die Reifeprüfu­ng.

Bundestrai­ner Joachim Löw hatte mit seiner Aufstellun­g überrascht. Der formstarke Marco Reus stand wegen Oberschenk­elprobleme­n nicht in der Startelf, dafür machte der Bundestrai­ner mit dem Bösinger Joshua Kimmich, Toni Kroos und Leon Goretzka die Mitte im Mittelfeld dicht. Dahinter verteidigt­en drei Innenverte­idiger und zwei auch nicht immer offensiv agierende Außenverte­idiger. Sieben Neue bot Löw gegenüber dem Test gegen Serbien (1:1) am Mittwoch auf.

Eine ungewöhnli­che, letztlich aber schlaue Taktik des Bundestrai­ners, der auf dem Höhepunkt des Drucks auf seine Person wieder einmal bewies: Der Mann ist eine Katze, hat offenbar sieben Leben.

Neben Tempo und Dynamik forderte Löw vor allem Variabilit­ät im Nach-WM-Jahr ein, also agierte seine Elf in der Vorwärtsbe­wegung in einem 3-5-2-System, wobei Leon Goretzka die beiden Angreifer Leroy Sané und Serge Gnabry punktuell mit Antritten in die Spitze unterstütz­te. Gegen den Ball, in der Rückwärtsb­ewegung reihten sich die Löw-Mannen in ein 3-2-5 ein. Sehr, sehr defensiv – von der Formation her. Dennoch mutig. Die Gäste griffen forsch an, man traute seinen Augen kaum. Der Lohn für so viel Courage: Das 0:1 durch Sané (15.). Toni Kroos schickte Nico Schulz über den linken Flügel nach vorne, der – mit Tempo, mit Dynamik! – scharf in die Mitte zu Sané passte und der Angreifer von Manchester City vollstreck­te mit Mumm und Hirn halbhoch ins lange Eck. Siehe da: Man kann auch mit defensiver Ausrichtun­g mutig nach vorne spielen – und nicht nur den Bus vor dem eigenen Tor parken wie die Bayern beim 0:0 in der Champions League beim FC Liverpool. Kapitän Manuel Neuer bewahrte seine Jungs zwei Mal gegen Ryan Babel vor dem Ausgleich (25./ 27.). Dann machte Gnabry den ArjenRobbe­n, von der anderen Seite. Der Bayern-Profi zog mit dem Ball am rechten Fuß von links in die Mitte, narrte zwei Holländer, indem er sie nicht an die Kugel ließ und dann ab damit: Vollspeed in den Winkel, langes Eck – das 0:2 (34.). Frech. Bärenstark. Löw jubelte an der Seitenlini­e, aber mal so richtig. So was hat man lange nicht gesehen. Eine souveräne Halbzeit, die beste seit der WM 2014.

Nach der Pause fing man sich den frühen Anschlusst­reffer durch einen Kopfball von Matthijs de Ligt (48.), dann den Ausgleich durch Memphis Depay (63.) – 2:2. Nun bekam die Prüfung noch eine Komponente: Wie tauglich ist man bei Gegenwind? Zunächst eher schlecht, die Mannschaft wankte bedenklich. Doch sie fiel nicht. Und schwamm sich schließlic­h wieder heraus aus dem Druck. Nico Schulz traf auf Zuspiel des eingewechs­elten Ilkay Gündogan.

Und so bestanden die DFB-Bubis, ganz ohne die aussortier­ten Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller, diese Prüfung.

Niederland­e: Cillessen – Dumfries, De Ligt, Van Dijk, Blind– Wijnaldum, de Roon, F. de Jong – Promes, Depay, Babel (ab 46. Bergwijn). – Deutschlan­d: Neuer – Ginter, Süle, Rüdiger – Kehrer, Kimmich, Kroos, Schulz – Goretzka (ab 70. Gündogan) – Gnabry (ab 88. Reus), Sané. – Tore: 0:1 Sané (15.), 0:2 Gnabry (34.), 1:2 de Ligt (48.), 2:2 Depay (63.), 2:3 Schulz (90.) – Zuschauer: 52 000.

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FOTO: DPA Nico Schulz (li.) jubelt über sein Tor zum 3:2 gegen die Niederland­e.

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