Zeitumstellung soll im Herbst 2021 enden
Straßburg für Abschaffung – Flickenteppich soll vermieden werden – Forscher erfreut
STRASSBURG/BERLIN (KNA/dpa) In der Nacht von Samstag auf Sonntag müssen in Deutschland wieder Millionen von Uhren umgestellt werden. Ab dann ticken auch fast alle europäischen Länder nach der Sommerzeit. Mensch und Tier wird – gefühlt – eine Stunde Schlaf gestohlen. Damit soll demnächst Schluss sein. Das EU-Parlament in Straßburg hat sich am Dienstag mit großer Mehrheit für ein Ende der Zeitumstellung im Herbst 2021 ausgesprochen. Bei einer EU-weiten Umfrage im Sommer 2018 hatten sich 84 Prozent der 4,6 Millionen Teilnehmer für ein Ende des Uhrzeitwechsels ausgesprochen. Besonders groß war die Zahl der Abstimmenden in Deutschland.
Das Votum des EU-Parlaments ist eine wichtige Hürde für das Ende der Zeitumstellung, im Gesetzgebungsprozess handelt es sich aber lediglich um einen Zwischenschritt. Für ein tatsächliches Ende ist ein Kompromiss der Mitgliedstaaten notwendig. So müssen sich die EU-Verkehrsminister, die sich im Juni treffen, noch auf eine gemeinsame Linie einigen.
Letztlich soll nach dem Willen des Europaparlaments aber jeder Mitgliedstaat selbst entscheiden können, ob er in zwei Jahren eine dauerhafte Winter- oder Sommerzeit einführen will. Um einen Flickenteppich zu vermeiden, schlagen die Abgeordneten ein Koordinierungsgremium vor, in dem Vertreter von Kommission und Mitgliedstaaten sitzen sollen. Idealerweise sollte es danach weiterhin nicht mehr als drei Zeitzonen in der EU geben.
Tatsächlich ist die Zeitumstellung nicht nur unpopulär, auch viele Experten und Wissenschaftler plädieren für eine Abschaffung. Der Buchautor und Schlafforscher Hans-Günter Weeß begrüßte die EU-Entscheidung, „weil Kinder, Ältere und vor allem Menschen mit Schlafstörungen sehr unter der Zeitumstellung leiden“. Laut einer aktuellen Umfrage der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) hat etwa jeder Dritte in Deutschland in den Tagen nach der Umstellung Probleme mit dem Aufstehen. Weeß spricht von einem „messbaren Schlafmangel“. In der Woche nach der Umstellung gebe es mehr Krankenhauseinweisungen wegen Kreislauf- und Herzproblemen. „Die Umstellung“, sagte Weeß am Dienstag, „ist also keine Bagatelle.“
KLINGENMÜNSTER (KNA) - In der Nacht zu Sonntag wird die Uhr umgestellt – möglicherweise eines der letzten Male, denn das EU-Parlament will die Zeitumstellung bis 2021 abschaffen. Viele Menschen leiden unter der gestohlenen Stunde. Der Somnologe Hans-Günter Weeß leitet die schlafmedizinische Abteilung am Pfalzklinikum in Klingenmünster. Im Interview mit Lisa Konstantinidis erklärt der Buchautor, wie die Zeitumstellung besser gelingen kann – und warum Technik zur Schlafüberwachung zur Gefahr werden kann.
Herr Dr. Weeß, die Europäische Union möchte die Zeitumstellung bis 2021 abschaffen. Was halten Sie als Schlafforscher von diesem Plan?
Ich begrüße das sehr, weil Kinder, Ältere und vor allem Menschen mit Schlafstörungen sehr unter der Zeitumstellung leiden. Am Montagmorgen nach der jeweiligen Umstellung beginnt die Schule oder die Arbeit ohne Rücksicht auf unsere innere Uhr, die noch im alten Modus tickt und sich viel langsamer umstellen kann. Das führt zu Schlafmangel und der ist tatsächlich messbar. In der Woche nach der Umstellung gibt es mehr Krankenhauseinweisungen wegen Kreislaufproblemen oder Verdachts auf Herzinfarkt. Laut einigen Studien ist die Unfallrate im Straßenverkehr sogar erhöht. Die Umstellung ist also keine Bagatelle, wie viele meinen.
Was können Menschen denn tun, wenn sie sehr darunter leiden?
Ich empfehle Betroffenen, sich schon einige Tage vor der eigentlichen Zeitumstellung anzupassen und zehn bis 15 Minuten früher zu Bett zu gehen. Die Umstellung von heute auf morgen fällt dann nicht so hart aus. Damit bekommt der Körper und die eigene innere Uhr etwas mehr Zeit, sich umzugewöhnen.
Ganz grundsätzlich: Was kann jeder Einzelne für einen gesunden Schlaf tun?
Viele Menschen, die abends schlafen gehen, sind innerlich noch angeund spannt und nehmen die kleinen und großen Sorgen mit ins Bett. Menschen mit Schlafstörungen neigen auch dazu, immer mehr auf ihren Schlaf zu achten, sich unter Druck zu setzen, endlich einzuschlafen. Aber Druck bedeutet Anspannung und Anspannung ist der Feind des Schlafes. Für einen gesunden Schlaf müssen wir entspannt sein, dann rollen wir dem Schlaf den roten Teppich aus. Ein Zubettgeh-Ritual kann helfen, den Tag gedanklich Revue passieren zu lassen und abzuschließen. Ein Buch oder Musik kann mit der Entspannung helfen, die wiederum den Schlaf fördert.
Mit welchem Verhalten raubt sich der Mensch denn selbst den Schlaf?
Schwere Mahlzeiten und sportliche Aktivitäten kurz vor der Bettzeit sind nicht förderlich für die Nachtruhe. Wer vor dem eigentlichen Zubettgehen vor dem Fernseher einschläft, baut zudem Schlafdruck ab kann später im Bett nicht einschlafen. Die Bildschirme von Smartphones und Tablets strahlen ein blaues Licht aus, das dem Sonnenlicht ähnlich ist und das dem Gehirn vorgaukelt, dass es noch hell ist. Dadurch produziert der Körper weniger Melatonin – wir werden etwas später müde und brauchen länger zum Einschlafen. Aber das sollte auch nicht überbewertet werden, es handelt sich vermutlich nur um einige Minuten, die uns verloren gehen. Entscheidender ist, ob wir uns durch das Smartphone gedanklich und gefühlsmäßig noch mit unserem Tag beschäftigen, zum Beispiel Arbeitsmails checken oder mit Freunden chatten. Damit stören wir die notwendige Ruhe vor dem Zubettgehen. Eine Stunde vor dem Schlafengehen sollten alle elektronischen Medien abgeschaltet werden.
Wann sprechen Experten denn tatsächlich von einer Schlafstörung?
Eine solche Störung liegt dann vor, wenn nicht nur in der Nacht ein Problem in Form von Einschlaf- und Durchschlafstörungen auftritt, sondern auch am Tage Einschränkungen im Verhalten, Leistungsniveau, sich aber auch beim körperlichen und psychischen Befinden bemerkbar machen. Wenn das über vier Wochen häufiger als dreimal pro Woche der Fall ist, dann spricht der Schlafforscher von einer leichten Schlafstörung, die behandelt werden sollte. Der Hausarzt wäre in diesem Fall die erste Anlaufstelle.
Was halten Sie von Apps und sogenannten Wearables, mit denen Privatpersonen ihren Schlaf überwachen können?
Dabei handelt es sich um Steinzeitmethoden der Schlafforschung. Deren Analysen beruhen zumeist auf der Bewegungshäufigkeit, dem Puls des Schläfers und der Tageszeit. Damit ist eine vernünftige Schlafanalyse nicht möglich. Die Daten sind zwar hochwissenschaftlich verpackt in Grafiken, aber tatsächlich sind diese Instrumente sehr fehlerbehaftet. Wir haben Ergebnisse unserer Forschungsmethode mit den Resultaten von Wearables und Apps verglichen. Es haben sich große Diskrepanzen gezeigt. Einige Apps verzeichneten bei einer Testperson vier Stunden Tiefschlaf am Stück – das wäre Weltrekord, das ist gar nicht möglich. Eine andere Probandin lag in einem Zeitraum wach, den eine App als Tiefschlaf verzeichnete – weil sie sich nicht bewegte.
Man kann sich solche Hilfsmittel also sparen?
Ja, definitiv – auch wenn diese Tools darauf aufmerksam machen, was für ein wichtiger biologischer Zustand der Schlaf ist. Auch Jugendliche registrieren das. Jedoch kann die Fehleranfälligkeit solcher Gadgets auch gefährlich werden, wenn jemand nicht mehr auf seine eigene SchlafWahrnehmung achtet, sondern sich nur noch darauf verlässt, was die Technik ihm sagt. Ein Mensch kann sich schlecht fühlen, wenn eine App ihm sagt, dass er schlecht geschlafen hat, obwohl das gar nicht der Fall war.