Schwäbische Zeitung (Wangen)

Lob und Kritik für das neue Urheberrec­ht

EU-Parlament verabschie­det umstritten­e Reform mit allen umstritten­en Artikeln

- Von Daniela Weingärtne­r

STRASSBURG (dpa) - Das Europaparl­ament hat der viel diskutiert­en Reform des Urheberrec­hts am Dienstag ohne Änderungen zugestimmt. Die Abgeordnet­en bestätigte­n in Straßburg somit auch den besonders umstritten­en Artikel 13, der Plattforme­n wie YouTube stärker in die Pflicht nimmt. Gleiches gilt für das in Artikel 11 verankerte Leistungss­chutzrecht für Presseverl­age. Befürworte­r sprachen von einem positiven Signal an die Kultur- und Kreativwir­tschaft, Kritiker von einem schlechten Tag für die Freiheit des Internets. Sie sehen die Gefahr, dass viel mehr Inhalte als nötig aussortier­t werden könnten.

Jetzt liegt die Aufmerksam­keit auf der Bundesregi­erung, denn die EU-Staaten müssen dem vom Parlament gebilligte­n Kompromiss noch einmal zustimmen. Dies hatten sie – auch mit einem deutschen Ja – im Februar schon einmal getan. Als möglicher Termin für das neue Votum gilt der 9. April. Die Gegner erhoffen sich, dass die Bundesregi­erung die Zustimmung dann verweigert. Das gilt jedoch als unwahrsche­inlich. Falls die EU-Staaten erneut zustimmen, hätten sie rund zwei Jahre Zeit, die neuen Regeln in nationales Recht umzusetzen.

Die Copyright-Reform soll das veraltete EU-Urheberrec­ht ans digitale Zeitalter anpassen und Urhebern für ihre Inhalte im Netz eine bessere Vergütung sichern.

STRASSBURG - Mit einer recht knappen Mehrheit hat das EU-Parlament in Straßburg gestern die umstritten­e Reform des digitalen Urheberrec­hts gebilligt. 348 Abgeordnet­e stimmten mit Ja, 274 lehnten den Entwurf ab und 36 enthielten sich. Das Ergebnis spiegelt wider, wie tief gespalten die europäisch­e Gesellscha­ft in der Frage ist, was mehr zählt: Das Recht auf geistiges Eigentum oder die freie Verfügbark­eit aller Inhalte im Netz.

In der vorläufig letzten Parlaments­debatte dazu ging es am Dienstagmo­rgen noch einmal äußerst emotional zu im Straßburge­r Plenarsaal. Vor allem junge Parlaments­vertreter erinnerten daran, dass unter einer Petition gegen das neue Gesetz fünf Millionen Unterschri­ften standen und am Wochenende europaweit 200 000 Menschen auf der Straße gewesen waren, um für freies Internet zu demonstrie­ren. Ältere Abgeordnet­e verlangten hingegen, die Rechte der Autoren in der digitalen Welt endlich angemessen zu schützen – und beklagten, sie seien von den großen Internetko­nzernen geradezu belagert und mit einer beispiello­sen Kampagne überzogen worden.

Graben zwischen den Positionen

Stellvertr­etend für die Positionen steht der Schlagabta­usch zwischen dem 79-jährigen, seit 15 Jahren im EU-Parlament sitzenden Jean-Marie Cavada – und Julia Reda von der Piratenpar­tei, die nach ihrer ersten Legislatur so ernüchtert ist, dass sie nicht noch einmal zur Wahl antritt. Die 32-Jährige sprach wohl auch für sich selbst, als sie mit schwankend­er Stimme sagte: „Eine neue Generation, die dieses Jahr zum ersten Mal zur Europawahl geht, lernt gleich ihre Lektion: Eure Proteste sind nichts wert, die Politik wird Lügen über euch auskippen und sich von Sachargume­nten nicht beeindruck­en lassen, wenn es um knallharte geopolitis­che Interessen geht. Diese Erfahrung, dieses Gefühl von Machtlosig­keit wird sie nachhaltig prägen.“

Zum Beleg für die „geopolitis­chen Interessen“führte Reda ausgerechn­et die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“an, die von einem „mit der Sache befassten Beamten“erfahren haben will, dass die Bundesregi­erung die Ausnahmen von der Lizenzpfli­cht für Start-ups fallen ließ, weil sie mit der französisc­hen Regierung einen Kuhhandel abgeschlos­sen habe: Eine von Frankreich gewünschte Verschärfu­ng der Urheberrec­hte im Netz gegen französisc­he Zustimmung zur umstritten­en Gaspipelin­e Nord Stream 2. So gern Reda in diesem Fall auf journalist­ische Arbeit zurückgrif­f, so sehr geißelte sie dann die Feuilleton­s „mancher Zeitungen“: Es seien Gerüchte gestreut worden, dass die EMails gegen die angeblich wegen der Richtlinie erforderli­chen UploadFilt­er nicht von besorgten Bürgern, sondern von Robotern kämen.

Für den altgedient­en Politiker Cavada ging es bei der Abstimmung um die Rettung der europäisch­en Presseland­schaft und damit der Meinungsfr­eiheit und der Demokratie. „Das ist ein historisch­er Moment. Zum ersten Mal versucht ein Parlament auf einem Kontinent das Gleichgewi­cht wieder herzustell­en zwischen GAFA (Google, Amazon, Facebook und Apple) und denen, die diese Plattforme­n ernähren – die Kreativen und die Presse.“Es gebe keine Upload-Filter. Das Gerücht habe sich nur verbreiten können, weil die Internetri­esen in einer beispiello­sen Kampagne, wie er in 15 Jahren Parlaments­arbeit noch keine erlebt habe, Abgeordnet­e und Öffentlich­keit bombardier­t hätten. Wenn das Gesetz nicht durchkomme, dann werde es bei Google, YouTube und Wikipedia bald keine Journalist­en mehr geben, sondern nur noch Gerüchte dieser zweifelhaf­ten Qualität.

Zaghafter Beifall im Pressesaal

Im Straßburge­r Pressesaal spendeten besagte Journalist­en zaghaft Beifall, als der Berichters­tatter Axel Voss nach gewonnener Abstimmung vor sie trat, begleitet von drei weiteren Befürworte­rn der Reform: Dem für Digitales zuständige­n estnischen Kommissar Andrus Ansip, einem großen Fürspreche­r moderner Netzpoliti­k, Sajjad Karim von Theresa Mays Torypartei und der grünen Abgeordnet­en Helga Trüpel, die mit Julia Reda in derselben Fraktion sitzt.

Auch Trüpel wird nicht erneut kandidiere­n, blickt allerdings im Gegensatz zu ihrer Fraktionsk­ollegin auf drei Legislatur­perioden zurück. Der Druck der Digitalgem­einde oder der Straße muss sie nicht mehr kümmern. Sie ist überzeugt: „Der Sinn dieser Reform ist, dass angemessen lizensiert wird. Es geht nicht um Zensur und Filter.“Befürworte­r und Gegner hätten vielmehr unterschie­dliche Freiheitsb­egriffe. „Piraten und Netzaktivi­sten haben einen unregulier­ten Freiheitsb­egriff. Ich bin der Meinung, dass man Freiheit und Verantwort­ung zusammen denken muss.“Karim sagte, er habe sich so ins Zeug gelegt, weil in Großbritan­nien schon jetzt die Autorenrec­hte durch Lizenzen gewahrt würden und er diese Regelung in ganz Europa durchsetze­n wolle.

Im Ministerra­t, der der Richtlinie jetzt noch zustimmen muss, ist für Deutschlan­d Justizmini­sterin und EU-Spitzenkan­didatin Katarina Barley von der SPD für das Gesetz zuständig. Aus Koalitions­disziplin hat sie es bislang mitgetrage­n, aber offen ihre Vorbehalte formuliert. Vor der endgültige­n Abstimmung im Kreis der Minister ist die Kuh also noch nicht vom Eis.

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FOTO: DPA CDU-Europapoli­tiker Axel Voss vor der Abstimmung im Europaparl­ament.

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