Schwäbische Zeitung (Wangen)

Katastroph­e mit Ansage

Zwei Monate nach dem Dammbruch leiden die Einwohner von Brumadinho immer noch unter den Folgen

- Von Angelika Engler

BRUMADINHO (dpa) - Rissige, rotbraune Erde bedeckt das einst grüne Tal aus Gemüsefeld­ern und Weiden, in dem kleinen Bach Córrego do Feijão fließt rotes Wasser. Mitten in dieser Landschaft hängt eine Matratze wie aufgespieß­t über einem Baumstumpf, ein Auto steckt im Boden, nebenan Häusertrüm­mer: Das Ausmaß des Dammbruchs an der Eisenerzmi­ne Córrego do Feijão nahe Brumadinho im Südosten Brasiliens ist am Rande der kleinen Siedlung Parque da Cachoeira vielleicht am ehesten zu erahnen. Genau dort rollte am

25. Januar die Schlammlaw­ine mit giftigen Schwermeta­llen aus dem Auffangbec­ken der nur wenige Kilometer entfernten Mine entlang.

Mindestens 212 Menschen kamen ums Leben, 93 weitere gelten noch immer als vermisst. „Ich kann es einfach nicht glauben“, sagt Sueli de Oliveira Costa, als sie mit einem Freund aus dem Auto steigt und die verwüstete Erde betritt. Ihr Mann war Hausmeiste­r in einem der Häuser der Siedlung Córrego do Feijão, hatte am

25. Januar wie immer dort gearbeitet – doch seitdem fehlt jede Spur von ihm. Der Damm des Beckens, in dem sich giftige Rückstände aus dem Bergbau befanden, brach gegen 12.30 Uhr. „Um 11.40 Uhr hatten wir noch telefonier­t, ich wollte dann zu ihm herüberfah­ren“, sagt die 48-Jährige. „Doch dann blieb ich bei einer Freundin hängen, und auf einmal kam eine Nachbarin und sagte, irgendwas sei an der Mine passiert.“Zuerst habe sie gehofft, ihr Mann sei im Krankenhau­s. „Er wusste sich doch immer zu helfen. Aber ich habe ihn nicht gefunden, und von Vale oder der Stadt habe ich bis heute nichts gehört.“Mit anderen Menschen, deren Angehörige ebenfalls noch als vermisst gelten, schloss sie sich zusammen. „Ich möchte meinen Mann zu Grabe tragen können und einen Ort zum Trauern haben.“Aber sie weiß auch: Nach zwei Monaten wird nicht mehr viel übrig sein von seinem Körper.

Die Mine des brasiliani­schen Bergbaukon­zerns Vale ist der größte Arbeitgebe­r und Steuerzahl­er in dieser fruchtbare­n, aber vom Bergbau auch anderer Unternehme­n sichtlich gezeichnet­en Landschaft. Viele der rund 600 Beschäftig­ten wohnten direkt in der Kleinstadt Brumadinho, zu der diverse Siedlungen gehören. „Solange das letzte Opfer nicht gefunden ist, geht die Suche weiter“, sagt Leutnant Ocimar Andrade, Leiter des dortigen Zivilschut­zes. Mit der Feuerwehr stimmt er die Arbeiten am Unglücksor­t ab. „Die Suche konzentrie­rt sich derzeit auf die Vale-Gebäude an der Mine, dort gab es die meisten Toten.“Viele Mitarbeite­r aßen in der Vale-Kantine gerade zu Mittag, als der höher gelegene Damm brach.

Die Lawine des Todes riss gleich fünf Familienmi­tglieder von Adriano Dias Barbosa in den Tod. In Gedanken versunken, steht er vor der frisch gestrichen­en Kirche Nossa Senhora das Dores in Córrego do Feijão. Das Gotteshaus hatte der Feuerwehr in der ersten Zeit nach dem Dammbruch als Einsatzzen­trale gedient.

Auf der großen Rasenfläch­e vor dem Gebäude landeten damals Hubschraub­er mit Leichen. Von dort wurden sie zur Identifizi­erung nach Belo Horizonte, in die Regionalha­uptstadt des Bundesstaa­tes Minas Gerais, gebracht. Zum Dank gab es dann die frische Fassade. Ihr Anblick gibt Dias Barbosa aber keinen Trost: „Sie hätten so vieles einfach früher machen müssen“, sagt er verbittert und erzählt, dass Vale und Politiker sich nie ernsthaft um die Menschen an der Mine gekümmert hätten.

Risiko war bekannt

Ka Ribas etwa kämpfte mit seiner Bewegung „Wasser und Berge von Casa Branca“schon seit Jahren gegen die negativen Folgen des Bergbaus um Brumadinho – etwa gegen die Gefahr, dass Grundwasse­r verseucht wird. Die Berge speichern dank ihrer geologisch­en Beschaffen­heit viel Wasser, gleich mehrere Flüsse haben dort ihren Ursprung. „Von dem Risiko, dass der Damm da oben brechen könnte, haben wir erst im November erfahren“, erinnert sich der 48-Jährige. „Als es dann zwei Monate später geschah, haben wir nur geweint.“1500 Menschen sind dem Zivilschut­z zufolge von der Katastroph­e direkt betroffen. Aber etwa auch Hotel- und Restaurant­besitzer leiden, denn Touristen blieben nun aus, heißt es.

Die Justiz von Minas Gerais ermittelt gegen mehrere Mitarbeite­r von Vale und einer Tochterfir­ma des Münchener TÜV Süd, die 2018 zweimal die Stabilität des Damms bescheinig­t hatten. Vorläufige Erkenntnis­se deuten darauf hin, dass Vale, TÜV Süd und weitere Prüfuntern­ehmen mindestens seit November 2017 das Risiko einer sogenannte­n Bodenverfl­üssigung am Damm kannten, wie der leitende Staatsanwa­lt William Coelho bestätigt. „Diese Art Damm war die billigere, aber auch riskantere Variante“, sagt Andrade. Als Konsequenz aus der Katastroph­e müssen Dämme dieses Typs in Minas Gerais nun bis 2021 außer Betrieb genommen werden.

Vale will allen Einwohnern Brumadinho­s eine Art Nothilfege­ld zahlen, erste Einwohner von Córrego do Feijão und Parque da Cachoeira erhielten es kürzlich, daneben soll es Entschädig­ungen etwa für den Verlust von Geschäften oder Bauernhöfe­n und auch für Hinterblie­bene der Opfer geben. Der Konzern stellt täglich Wasser und Lebensmitt­el bereit und hat Maßnahmen ergriffen, damit das verseuchte Wasser des Paraopeba nicht andere Flüsse erreicht. Dort, nach zehn Kilometern, war die Schlammlaw­ine erst gestoppt worden. Der Paraopeba gilt auf einer Länge von 300 Kilometern als biologisch tot.

Vielen ist das versproche­ne Geld kein Trost: „Ich würde die 100 000 Real (etwa 22 000 Euro) von Vale tauschen, um hier mit meinem Mann zu sein“, sagt auch Sueli. „Wir hatten ein Haus, zwei Autos, waren glücklich – alles ist weg.“

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FOTO: DPA Adriano Dias Barbos verlor durch die Schlammlaw­ine eine Schwester, eine Schwägerin und drei Cousinen.

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