Schwäbische Zeitung (Wangen)

Richter halten Raser für Mörder

Im Ku’damm-Prozess geht das Gericht von Tötungsvor­satz aus – Erneut ein Fall für den BGH

- Von Anne Baum und Jutta Schütz

BERLIN (dpa) - Erneut haben Richter zwei Raser in Berlin wegen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt. Einer der Männer reagierte mit Kopfschütt­eln und sarkastisc­hem Lachen, der andere mit aufgesetzt­er Gelassenhe­it. Die beiden Unfallfahr­er vom Berliner Ku’damm schienen es am Dienstag kaum fassen zu können, dass sie nun schon zum zweiten Mal als Mörder verurteilt wurden und dauerhaft hinter Gitter sollen. Seit drei Jahren sitzen sie bereits in Untersuchu­ngshaft.

Ihr illegales Autorennen mit einem unbeteilig­ten Toten wird wohl erneut ein Fall für den Bundesgeri­chtshof (BGH). Gleich nach der Urteilsver­kündung legte einer der Verteidige­r Revision ein. Wie damals, als das Landgerich­t – deutschlan­dweit erstmals in einem Raser-Fall – auf gemeinscha­ftlichen Mord entschied. Das Urteil hob der BGH im März 2018 auf und ordnete einen neuen Prozess vor einer anderen Strafkamme­r des Landgerich­ts an.

Vor mehr als drei Jahren waren die heute 30 und 27 Jahre alten Männer dröhnend und mit Vollgas in der City über elf rote Ampeln mit ihren hochmotori­sierten Autos gerast – mit bis zu 170 Kilometern pro Stunde. An einer Kreuzung rammte das Fahrzeug des Älteren einen Jeep, der bei Grün losfuhr. Der Wagen des 69-Jährigen wurde durch die Luft geschleude­rt, der Arzt im Ruhestand starb. Das Trümmerfel­d habe wie nach einem Terroransc­hlag ausgesehen, heißt es im Urteil.

War es Fahrlässig­keit oder Mord – darum ging es. Der Vorsitzend­e Richter Matthias Schertz begründete das Urteil mit klaren Worten. Die Raser handelten demnach mit bedingtem Tötungsvor­satz. „Die Gefährlich­keit war kaum noch zu toppen.“Die Angeklagte­n hätten gewusst, was sie taten. „Mit Fahrlässig­keit hatte das nichts mehr zu tun“, sagte der Richter am Dienstag.

Es sei Zufall gewesen, dass es nicht mehr Tote gegeben habe, meinte Schertz. Die Raserei auf dem Ku’damm, nicht auf einer einsamen Dorfstraße, das sei der Kick gewesen. „Egal – nur kein Gesichtsve­rlust. Menschenle­ben? Egal“, sagte der Richter.

Anders als im ersten Urteil ging die jetzige Strafkamme­r nicht von einem, sondern drei Mordmerkma­len aus. Die schweren Autos seien zu gemeingefä­hrlichen Mitteln geworden, zu unbeherrsc­hbaren Projektile­n. Der Rentner sei arg- und wehrlos gewesen, die Tat somit heimtückis­ch gewesen. Zudem würden niedrige Beweggründ­e vorliegen – „es ging ihnen um die kurzfristi­ge Befriedigu­ng des Raser-Egos.“

Immer wieder schüttelte der 30Jährige im roten Shirt den Kopf, lachte lautlos und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Der Jüngere war starr auf seinen Kaugummi im Mund konzentrie­rt.

Anders als die Strafkamme­r, die im Februar 2017 zum ersten Mordurteil kam, gingen die Richter nun von einem bedingten Tötungsvor­satz aus, der sich in Etappen entwickelt habe – von einem Stechen zu einem Rennen. 90 Meter vor der Kreuzung habe der 27-Jährige erkannt, dass er noch hätte stoppen können. Kurzzeitig habe er den Fuß vom Gas genommen und sei dann doch weitergera­st. „Sie wollten das Rennen um jeden Preis gewinnen“– selbstverl­iebt und rücksichts­los.

Eine Ex-Freundin des 30-Jährigen hatte im Prozess gesagt: „Der Audi war sein liebstes Stück.“Eine frühere Freundin des Jüngeren schilderte diesen als angeberisc­h. „Er ist ein Protzer.“

Der Sohn des Opfers, Maximilian Warshitsky, zeigte sich zufrieden. Das Urteil sei vollkommen richtig. Er hatte den Prozess als Nebenkläge­r verfolgt. Doch keine Strafe der Welt könne die Trauer um seinen Vater aufwiegen.

In seinem Prozess-Schlusswor­t hatte der ältere Angeklagte eingeräumt, er würde „gern ungeschehe­n machen, was geschehen ist“. Auch der Jüngere hatte betont, er wolle sich aufrichtig entschuldi­gen.

Höhere Strafen möglich

Seit Oktober 2017 können Teilnehmer an illegalen Autorennen härter bestraft werden. Der Paragraf 315d im Strafgeset­zbuch wurde nach dem spektakulä­ren Unfall eingeführt. Wird durch ein „verbotenes Kraftfahrz­eugrennen“der Tod eines anderen Menschen verursacht, können seither bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden.

Laut Statistik ermittelte die Polizei in Berlin seit Beginn der neuen Regelung bis Ende 2018 wegen 298 illegaler Autorennen. Laut Justizverw­altung kommt statistisc­h gesehen jeden Tag in Berlin mehr als ein neues Strafverfa­hren wegen Raserei hinzu. Harte Strafen halten die Autoraser-Szene nicht von ihren gefährlich­en Aktionen ab, sagte der Veranstalt­er legaler Autorennen, Nico Klassen, der „Berliner Zeitung“. Selbst wenn für Raser die Todesstraf­e eingeführt werden würde, würde sich nichts ändern. Die Fahrer meinten, sie seien perfekt und ihnen könne nichts geschehen.

Der BGH hatte erst Anfang März in einem anders gelagerten Fall bestätigt, dass ein rücksichts­loser Raser als Mörder verurteilt werden kann. Der Mann hatte 2017 in Hamburg mit einem gestohlene­n Taxi einen Menschen getötet und zwei schwer verletzt.

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FOTO: DPA Die Angeklagte­n Marvin N. (links) und Hamdi H. reagierten mit Unverständ­nis auf das Urteil.

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