Streit ums Messer
Bundesrat befasst sich mit Verbot an öffentlichen Orten
BERLIN/RAVENSBURG (AFP/sz) Belebte öffentliche Orte sollen künftig zu vollständig messerfreien Zonen erklärt werden können – mit diesem Thema befasst sich heute der Bundesrat auf Initiative der Länder Bremen und Niedersachsen. Im Gesetzentwurf fordern sie, das Tragen von Messern in Fußgängerzonen, Einkaufszentren, an Bahnhöfen, Veranstaltungsorten und im Umfeld von Schulen und Kindergärten künftig per Rechtsverordnung beschränken oder ganz verbieten zu können. Bislang sind solche Verbote nur für besonders kriminalitätsbelastete Orte möglich, an denen es wiederholt Straftaten gegeben hat. Zudem soll es künftig generell verboten sein, Messer mit einer Klingenlänge von mehr als sechs Zentimetern öffentlich mitzuführen. Bisher sind zwölf Zentimeter erlaubt.
Der Gesetzentwurf ist umstritten. Baden-Württemberg und Bayern reagieren zurückhaltend auf den Entwurf. Sie fordern härtere Strafen für die Täter.
RAVENSBURG - In Mengen wird ein 27-Jähriger erstochen, der Täter soll ein fast gleichaltriger Mann sein. In Biberach stirbt ein 17-Jähriger an seinen Stichverletzungen, der mutmaßliche Täter, 20 Jahre alt, kommt in Untersuchungshaft. Bei der Tatwaffe soll es sich um ein Springmesser handeln. „Die Klinge muss händisch rausgezogen werden, aufgrund der Klingenlänge ist das Messer auch nicht verboten“, teilte die Staatsanwaltschaft mit. In Nürnberg wird vergangenes Wochenende ein Mann bei einer Messerattacke lebensgefährlich verletzt – es war bereits der dritte Vorfall mit einer Stichwaffe in der Stadt innerhalb eines Tages.
Taten mit Messern schockieren die Öffentlichkeit und lassen die Rufe nach mehr Sicherheit lauter werden. Die Landesregierungen von Niedersachsen und Bremen reagieren darauf und wollen das Waffengesetz verschärfen. Im Bundesrat wird an diesem Freitag der entsprechende Entwurf beraten. Darin heißt es, dass durch gesetzliche Maßnahmen „das Mitführen von Waffen und Messern in der Öffentlichkeit, insbesondere an stark frequentierten Orten, weiter eingedämmt werden“soll. Doch wo genau liegt die Verschärfung des Gesetzes? Nehmen Messerattacken tatsächlich zu? Und was schreibt das Gesetz schon jetzt vor?
Brotmesser kann Waffe sein
Verboten sind nach dem derzeitigen Waffengesetz schon jetzt Butterflymesser, Faustmesser und Springmesser mit einer Klingenlänge von mehr als 8,5 Zentimetern. Ebenso dürfen Einhandmesser mit einer feststellbaren Klinge und feststehende Messer mit einer Klinge von mehr als zwölf Zentimetern Länge außerhalb der eigenen Wohnung nicht mitgeführt werden. Damit kann auch ein Brotmesser unter das Waffengesetz fallen. Auf der anderen Seite gewährt das Gesetz Ausnahmen, falls es für das Führen eines Messers ein „berechtigtes Interesse“gibt, etwa bei Berufsausübung, Brauchtum oder Sport. Wichtig: Der Wunsch, sich mit einem Messer zu verteidigen, gilt nicht als berechtigtes Interesse.
Landesregierungen können schon heute an bestimmten öffentlichen Orten das Mitführen von Messern einschränken oder ganz verbieten. Nämlich wenn an diesen Orten bereits „wiederholt“Straftaten mit Waffen begangen wurden und dies auch künftig zu erwarten ist. Der Gesetzentwurf sieht nun vor, dass Waffenverbotszonen „über kriminalitätsbelastete Orte hinaus erstreckt werden, an denen sich besonders viele Menschen aufhalten“. Demnach soll künftig das Mitführen von Klingen in Einkaufszentren, an Bahnhöfen und bei Großveranstaltungen verboten werden können.
Keine Springmesser mehr
Der Gesetzentwurf beinhaltet überdies, dass feststehende Messer mit einer Klingenlänge von mehr als sechs Zentimetern nicht mehr in der Öffentlichkeit mitgeführt werden dürfen. Und der Umgang mit Springmessern soll unabhängig von der Klingenlänge komplett verboten werden. Begründet wird die Verschärfung damit, dass Angriffe unter anderem mit Messern „weiterhin in hoher Zahl verübt“würden. Das klingt vage und ist der Tatsache geschuldet, dass bundesweit keine seriösen Statistiken vorliegen, ob die Zahl der Messerattacken zugenommen hat. Für Baden-Württemberg liegen allerdings solide Statistiken vor. Demnach zählte im Jahr 2013 das Land 1400 Gewalttaten mit Messern, 2018 waren es 1757. Allerdings ging die Zahl der Fälle zuletzt leicht zurück.
Die Statistik belegt auch, dass bestimmte Gruppen häufiger beteiligt sind als andere: 705 Deutsche waren 2018 verdächtigt, eine Gewalttat mit einem
Messer verübt zu haben, bei den Nichtdeutschen waren es 1052.
Bleibt die Frage, ob eine Verschärfung des Waffenrechts die Zahl der Taten senken kann. Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, ist davon überzeugt. Er erhofft sich in Verbindung mit Polizeikontrollen eine präventive Wirkung: Wenn sich die Kontrollen herumsprechen würden, „werden weniger Menschen mit Messern auf die Straße gehen und die Zahl der Straftaten mit hohem Verletzungs- und Gefährdungspotenzial zurückgehen“, so Malchow im ARD-Fernsehen.
Gesetz mit Signalwirkung
Auch der Soziologe Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaft, befürwortet grundsätzlich eine Gesetzesänderung. „Die bisherige Gesetzeslage ist unübersichtlich und unbefriedigend“, weil zu kompliziert und mit zu vielen Ausnahmen behaftet, sagte Dirk Baier der „Schwäbischen Zeitung“. „Ein einheitlicher Gesetzesrahmen ohne Fußnoten und Sonderregeln könnte eine Signalwirkung haben.“Weil, so der Wissenschaftler, einfache und verständliche Regeln unter Jugendlichen diskutiert würden und auf diesem Weg in ihr Bewusstsein gelangten. Ein aus Sicht des Soziologen notwendiger Prozess, da Stichwaffen inzwischen wieder als cool gelten und unter dem Nachwuchs weite Verbreitung finden würden.