Schwäbische Zeitung (Wangen)

Durch Zufall Sängerin geworden

Anja Romer aus Staig bei Fronhofen wanderte nach Nordirland aus – Dort lebt die 25-Jährige von ihrer Musik

- Von Verena Jäger

FRONHOFEN - Rote Haare, helle Haut, schwarz lackierte Nägel und ein Ring in der Nase – Anja Romer fällt schon ein wenig auf. Zumindest, wenn sie ihre Eltern in ihrem beschaulic­hen Heimatdorf Staig besucht. Nicht so in ihrer Wahlheimat Nordirland, wo die 25-Jährige von den meisten für eine Einheimisc­he gehalten wird. Und noch etwas Entscheide­ndes ist dort anders: Die Musik hat einen höheren Stellenwer­t als in Oberschwab­en. Deshalb hält man sie in Nordirland auch nicht für eine Träumerin, weil sie „nur“von der Musik leben möchte. „In Belfast gibt es überall Live-Musik“, erzählt Anja Romer. Und zu dieser lebendigen Musikszene in der nordirisch­en Hauptstadt gehört nun auch sie. Nachdem sie bisher mit „The Anja Band“im Duo unterwegs war, tritt sie seit Kurzem als Solo-Künstlerin unter dem Namen „Anja Live Music“in Bars auf.

Seit 2017 lebt Anja Romer in der rund 340 000 Einwohner zählenden Hafenstadt, fast 2000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt. Hätte irgendwer der jungen Frau vor fünf Jahren prophezeit, dass sie einmal als Musikerin ihren Lebensunte­rhalt verdienen würde, hätte sie es wohl nicht geglaubt. Denn nur durch Zufall hat sie entdeckt, dass sie singen kann.

Doch von Anfang an: Anja Romer wurde 1993 in Ravensburg geboren und wuchs in Staig auf. Schon als Kind wurde sie von ihrer Mutter tagein, tagaus mit Gesang beschallt. Immer wieder bat diese ihre Tochter, es doch auch mal zu probieren. Als Mädchen war Anja das einfach nur peinlich. Heute allerdings ist sie sehr stolz auf ihre Mutter Gabriele, die als Mitglied der Frauenband „QFive“sowie der Gruppe „Off The Track“Musikfans in und um Ravensburg ein Begriff ist. Und auch für Anjas Vater Edgar steht Musik ganz oben. „Mein Papa hat sich Gitarren gekauft, obwohl er gar nicht spielt“, beschreibt Anja ihr musikbegei­stertes Elternhaus.

Anja selbst hielt sich jedoch lange Zeit nicht für eine Sängerin, schon gar nicht für eine gute. Mit Grauen erinnert sie sich daran, wie sie als Siebenjähr­ige ihren Gesang auf Kassette aufnahm – und dann fast zusammenbr­ach, als sie ihre Stimme hörte. Heute kann sie herzlich über diese Szene lachen. Doch damals hakte sie das Thema Singen im Geiste für sich ab. Als Jugendlich­e bekam sie von ihren Eltern eine E-Gitarre geschenkt und begann zu spielen. Und natürlich träumte sie davon, ein Rockstar zu werden.

Gitarre wieder rausgeholt

Nach dem Abitur am Welfengymn­asium zog Anja Romer nach Konstanz, um deutsche und englische Literatur zu studieren. Die englische Sprache war schon in der Schule ihre Leidenscha­ft gewesen. „Ich dachte, ich würde danach bestimmt irgendeine­n Bürojob machen, vielleicht in einem Verlag oder bei einer Zeitung.“Doch das Studium machte ihr keinen Spaß – zu akademisch. Und während eines Praktikums wurde ihr klar, dass auch der Büroalltag nichts für sie war – zu wenige Freiheiten. Während ihrer Bachelor-Abschlussa­rbeit kramte sie dann die eingestaub­te E-Gitarre wieder hervor. Und weil ihr das alleine zu langweilig war, sang sie dazu. Ihrem Vater gefiel, was er hörte, was Anja jedoch mit dem Gedanken abtat, er wolle ja nur nett sein.

Der Durchbruch kam schließlic­h nach ihrem Studium auf einer Party: Eine Wohnung von Freunden. Alle tanzen und singen ausgelasse­n. Laute Musik aus den Boxen. Dann läuft „Where did you sleep last night“von Nirvana. Und weil niemand außer Anja den Text kennt, singt sie plötzlich ganz allein. Zum ersten Mal hören all ihre Freunde Anjas Stimme – und sind begeistert. „Wow! Wie geil!“, finden sie. Anja selbst dachte: „Wie cool.“

Nach dem Studium erfüllte sie sich ihren Kindheitst­raum vom Auswandern und ging für ein Freiwillig­es Soziales Jahr nach Nordirland. Da war sie 23 Jahre alt. „Du kommst bestimmt nicht zurück“, mutmaßten ihre Freunde. Doch für sie selbst stand das zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht fest. Wenn sie nicht arbeitete, reiste sie im Land herum. Erst in Nordirland, dann aber auch in den Süden, nach Schottland und England. Zwischendu­rch gründete sie eine Band und hatte erste Auftritte. Am Ende ihres Auslandsja­hres entschied sie sich dafür, ihr Abenteuer zu verlängern – und bis heute hat sie es nicht bereut.

Inzwischen kann Anja Romer von ihrer Musik leben. Für ein paar Monate hat sie ihre festen Auftrittso­rte, danach muss sie sich wieder neu orientiere­n. Sicher braucht das Geduld und viel Einsatz, und manchmal ist sie auch frustriert. Aber im Großen und Ganzen ist sie sehr glücklich. Das fiel natürlich auch ihrer Mutter auf. Deshalb hat sie auch ihren Frieden damit gemacht, ihre Tochter nicht in der Nähe zu haben. „Natürlich vermissen wir Anja“, sagt Gabriele Romer. „Sie hat so einen guten Humor. Mir fehlen vor allem die Gespräche mit ihr. Aber wenn sie glücklich ist, sind wir es auch.“

Omas Küche fehlt ihr

Zu Anja Romers berufliche­m Glück gesellte sich bald auch das private: Zu Beginn ihres zweiten Jahres in Belfast lernte sie ihre große Liebe Christophe­r kennen, einen Künstler und einen echten Nordiren. Überhaupt schwärmt Anja Romer für die Menschen in ihrer neuen Heimat. „Sie sind warmherzig, offen und höflich.“Diese Warmherzig­keit spiegelt sich auch in der irischen Folk-Musik wieder, die sie schon als Kind berührte.

Obwohl Anja Romer in Belfast ihr Glück gefunden hat, soll Nordirland nicht die Endstation sein. Mit Christophe­r zusammen könnte sie sich vorstellen, wieder nach Deutschlan­d zurückzuke­hren, nach Hamburg oder Berlin vielleicht, auf jeden Fall in eine Großstadt. „Ich brauche einen Ort, der ein bisschen weltoffen ist.“Und wo sie auch wieder näher bei ihrer Familie und ihren besten Freundinne­n lebt. Die vermisst sie nämlich sehr. Natürlich halten sie Kontakt über Whatsapp und Skype, aber mal eben einen Kaffee trinken und reden, das geht natürlich nicht. Und noch etwas fehlt Anja Romer in Nordirland: das schwäbisch­e Essen von Oma Christiane Kammerer aus Vogt, bei der sie in ihrer Kindheit viel Zeit verbrachte. Und was macht die Oma am besten? „Gefüllte Paprika“, sagt Anja und ergänzt lachend: „Wobei ich die Paprika gar nicht mitesse.“Und zum Nachtisch gibt’s einen Ofenschlup­fer. Spätestens dann hat sich die 2000-Kilometer-Reise nach Oberschwab­en gelohnt.

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FOTO: VERENA JÄGER Anja Romer

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