Schwäbische Zeitung (Wangen)

Auch in Ravensburg mehr Kirchenaus­tritte

Rücktritt von Ravensburg­er Erklärung einer der Gründe

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RAVENSBURG (khr) - Lange hat Claudia Huber (Name von der Redaktion geändert) mit ihrem Austritt aus der Kirche gehadert. „Ich bin katholisch aufgewachs­en. Aber die Nähe zum Menschen, die vermisse ich schon lange“, sagt sie. Besonders die Rücknahme der Ravensburg­er Erklärung habe sie enttäuscht. Schließlic­h geht Huber doch zum Standesamt. Hinter ihr in der Schlange steht einer junger Mann. Als sie sagt, dass sie aus der Kirche austreten will, fragt er nur: „Ach, Sie auch?“Immer mehr Menschen entscheide­n sich für einen Kirchenaus­tritt. Im Jahr 2060 wird die Kirche laut einer Untersuchu­ng der Uni Freiburg voraussich­tlich nur noch die Hälfte ihrer Mitglieder haben. Auch die Ravensburg­er Gemeinden sind betroffen.

Im Jahr 2018 waren es insgesamt 264 Austritte, 110 davon katholisch, 154 evangelisc­h. Im Jahr 2017 verließen 210 Menschen die Kirche. In diesem Jahr seien schon 138 Personen ausgetrete­n, teilte die Stadt Ravensburg mit. „Das Thema betrifft uns schon lange“, sagt der katholisch­e Pfarrer Hermann Riedle.

Da die Austritte über die Stadtverwa­ltung erfolgen, komme bei diesem Schritt kein kirchliche­r Kontakt zustande, bedauert Friedrich Langsam, Dekan des evangelisc­hen Kirchenbez­irks Ravensburg. „Über die persönlich­en Gründe und Anliegen erfahren wir daher so gut wie nie etwas. Nachträgli­che Anschreibe­n bleiben fast zu hundert Prozent unbeantwor­tet“, sagt er. Auch Hermann Riedle, Pfarrer der katholisch­en Gemeinde, sucht den Kontakt zu ausgetrete­nen Mitglieder­n. „Zweifellos gibt es auch Gründe, die wir als Kirche selbst zu verantwort­en haben. Dazu zähle ich den großen Vertrauens­verlust, der durch die ganzen Missbrauch­sfälle entstanden ist“, sagt Langsam. Auch die Rücknahme der Ravensburg­er Erklärung könne lokal zu vermehrten Austritten geführt haben. Gleichzeit­ig gibt Langsam zu bedenken: „Dies dürfte aber nur der letzte Auslöser gewesen sein. Vermutlich gingen diesem Schritt andere Enttäuschu­ngen voraus.“Auch Riedle sieht die Gründe für einen Kirchenaus­tritt hauptsächl­ich in den „großen“Themen. Er betont, dass der Mitglieder­rückgang auf verschiede­ne Faktoren zurückzufü­hren sei. Ein Rückgang an Taufen und der demografis­che Wandeln senken die Mitgliedsz­ahlen auch.

Finanziell­e Einbußen

Zurzeit spüre seine Gemeinde keine finanziell­en Auswirkung­en, so Hermann Riedle, mittelfris­tig müsse man sich aber darauf einstellen, mit weniger Mitteln auszukomme­n. Sollten sich die Kirchenmit­glieder wie erwartet halbieren, könne das das Aus für viele kirchlich finanziert­e Angebote bedeuten, sagt Langsam. „Man kann nicht auf der einen Seite aus der Kirche austreten und im Falle eines familiären Bedarfs vom Kindergart­en bis zur Sozialstat­ion dann fordern, die Kirche müsse hier etwas machen“, sagt er. „Deshalb folgt aus dieser Projektion weder Hysterie noch Aktionismu­s. Bewusst bei dem bleiben, was uns trägt und prägt, ist die Aufgabe“, sagt Langsam und meint: „Jeder Austritt ist einer zu viel.“

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