Stiefvater zum Pflegefall geprügelt
Alkohol, Tabletten und psychische Krankheit: 36-Jähriger muss in den Knast
KEMPTEN - „In der Wohnung sah es aus wie in einem Horrorhaus. Im Wohnzimmer lagen überall Glasscherben, durch den ganzen Flur hat sich eine Blutspur gezogen, ein Mann lag bewusstlos auf dem Boden. Der Angeklagte saß auf dem Sofa und hat auf keine Ansprache reagiert. Ich bin nicht einmal sicher, ob er überhaupt realisiert hat, dass wir da sind.“
Eindrücklich schildert eine Polizistin vor Gericht die Situation, die sie und ihre Kollegen im vergangenen Sommer in einer Wohnung in Kempten vorgefunden haben. Zuvor hatte der 36-jährige Angeklagte so massiv auf seinen Stiefvater eingeschlagen und getreten, dass dieser schwerste Verletzungen, unter anderem eine massive Hirnblutung, davontrug. Nun wurde dessen Stiefsohn zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
War der 36-Jährige schuldfähig? Auch um diese Frage ging es bei der Verhandlung vor dem Kemptener Landgericht. Als „schwierig“beschreiben Zeugen das Verhältnis der beiden Männer. Schon einmal hatte der 36-Jährige auf seinen von der Mutter getrennt lebenden Stiefvater eingeschlagen. Auch dessen Wohnung hatte er wenige Monate vor der Tat verwüstet. Nach Angaben eines Gutachters leidet der 36-Jährige an einer sogenannten Boarderline-Störung. Er sei emotional instabil und leicht reizbar. Er nehme zwar Tabletten. In Kombination mit Alkohol mache ihn das aber „zu einem aggressiven Menschen, der jederzeit hochgehen kann“.
Alkohol floss auch an dem Tag, an dem der Angeklagte auf sein Opfer losging. Warum er sich überhaupt in dessen Wohnung aufgehalten hat, blieb unklar. Gegen den Angeklagten lag ein Beschluss vor, demzufolge er die Wohnung des Stiefvaters nicht aufsuchen oder sich ihr auf 100 Meter nähern durfte. Auch Kontakt aufzunehmen war ihm untersagt.
Tagelang im Koma gelegen
Nach Ansicht der Verteidigerin war es die gemeinsame Sorge um die alkoholkranke Mutter des Angeklagten, die die beiden Männer wieder zusammengebracht hatte. Am Tag der Tat saßen sie offenbar zunächst friedlich zusammen und tranken Bier und Schnaps, bevor der 36-Jährige ausrastete. An den Grund und die Schläge kann er sich nach eigenen Angaben nicht erinnern. Sein Stiefvater lag danach tagelang im Koma. Er lebt mittlerweile in einem Pflegeheim und wird wohl nicht mehr gänzlich genesen.
Zum Zeitpunkt der Tat befand sich der Angeklagte offenbar in einem „mittelgradigen Rauschzustand“. Inwieweit er steuerungsfähig war, ließ sich nicht abschließend klären. „Er wusste aber, dass er zu aggressivem Verhalten neigt, dass er nicht trinken darf, dass er seinen Stiefvater schon mehrfach angegangen hat und dass es wahrscheinlich kracht, wenn er dorthin geht und Schnaps konsumiert – und es war ihm egal“, sagte der Staatsanwalt.
Er plädierte auf versuchten Totschlag und forderte sechs Jahre und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Die Verteidigerin hingegen glaubte nicht, dass ihr Mandant den Vorfall hätte vorhersehen können.
Das Gericht ging mit seinem Urteil fast gänzlich auf die Forderung des Staatsanwaltes ein. Allerdings erfolgte die Verurteilung nicht wegen Totschlags, sondern wegen schwerer Körperverletzung im Zusammenhang mit Vollrausch.
Letzteres heißt: Der Angeklagte konnte wegen seines Rauschzustandes und seiner daraus resultierenden möglichen Schuldunfähigkeit zwar nicht wegen Totschlags belangt werden. Er wurde jedoch dafür bestraft, dass er sich vorsätzlich in den Rausch versetzt hat.