Vom Kuhort zum Kurort
Erinnerungscafé in Neutrauchburg: Heute Kliniken, wo früher Kleinbauern wirtschafteten
ISNY - „Die Ortschaften dürfen im neu zu gestaltenden Museum im künftigen Kunst- und Kulturzentrum Schloss Isny keinesfalls fehlen“, lautet der Wunsch von Ute Seibold, Leiterin der Städtischen Museen. Beim jüngsten Erinnerungscafé im Rahmen des Projekts „Panorama-Partner“hat sie ihn wiederholt.
All das werde zusammentragen, was ältere Mitbürger aus dem reichen Schatz der eigenen Erfahrung des vergangenen Jahrhunderts noch wissen. Nach Rohrdorf und Beuren war nun Neutrauchburg dran, zum Erinnerungscafé im Schloss kamen gut 20 Senioren.
Bereits bei der Vorstellungsrunde wurde deutlich: „Eingeborene“Neutrauchburger stellen im Ort nurmehr eine kleine Minderheit dar. Einige wenige der Anwesenden sind auf den Höfen aufgewachsen und dort bis heute auch zu Hause. Es sind jene Höfe und Weiler auf der Gemarkung Neutrauchburg, die sich im Norden in einem Halbkreis um das Isnyer Stadtgebiet herum ausdehnt – von Ratzenhofen über Haubach, Menelzhofen bis herüber nach Gründels und bis fast nach Schweinebach.
Die meisten sind durch die Mitarbeit auf dem Fürstlichen Gutshof oder im Kinderheim während der 1950er-Jahre oder durch die ab der 1960er-Jahre rasche Entwicklung der Reha-Kliniken ins Dorf gekommen und hier hängengeblieben.
Hans Bodenmüller erinnerte sich, dass mit der Generalmobilmachung im September 1939 Wehrmachtsangehörige in den Ort einmarschierten und die Pferde beschlagnahmten. Im Dorf habe es bis dahin acht Kleinbauern mit je ein paar Kühen und mit ein oder zwei Pferden gegeben, die armen Bauern mussten ihre Pferde zum Bahnhof nach Isny zur Verladung und zum Abtransport bringen ohne irgendeine Entschädigung zu erhalten, war weiter zu erfahren.
„Das Dorf war – ehrlich gesagt – ein kleines, heruntergekommenes Nest.“Der einzige große Hof war der Fürstliche Gutshof mit 110 Hektar Land. Der Pächter des Hofes, der sogenannte „Domänepächter“, sei damals Konrad Frick gewesen.
Das fürstliche Gasthaus Sonne diente in den letzten Weltkriegsjahren als Nachtquartier der Kriegsgefangenen, meist Franzosen. Tagsüber mussten sie auf den Höfen arbeiten.
Das Schloss war von der Verwaltung des Reichsarbeitsdienstes besetzt. Als nach dem Ende des Krieges die Lazarette aufgelöst wurden, wurde das Schloss noch zu einer Auffangstation für Kriegsinvaliden, die jedoch bald vom Stephanuswerk übernommen wurden. Ab 1947 sei die „UNRA“ins Schloss eingezogen, eine „Wiederaufbau-Organisation“zur Versorgung und Rückführung von rund neun Millionen, nichtdeutschen Flüchtlingen.
120 Kinder für je sechs Wochen
Von 1951 bis 1961 wurde das Schloss als Kinderheim der Ilse Mittelhammer, einer Augsburgerin, genutzt. Organisiert durch Bahn und Post, seien aus verschiedenen ausgebombten deutschen Städten jeweils bis zu 120 Kinder für je sechs Wochen zur Erholung angereist, einige der „Erzieherinnen“seien in Neutrauchburg hängengeblieben. Mit dem Unfalltod von Fürst Erich meldete die Herrschaft Waldburg-Zeil Eigenbedarf für das Schloss als Witwensitz an.
Neutrauchburg hatte ein Rathaus, einen Gutshof, acht Kleinbauern und auch eine eigene Schule aufzuweisen. Acht Jahrgänge wurden in einem Klassenzimmer von einem Lehrer unterrichtet. Günter Wirth, Forellenzüchter in zweiter Generation unterhalb des heutigen Terrassenhotels, erzählte aus seinen Erinnerungen: Sie hätten zusammen mit dem Lehrer das Holz für den Ofen aufgestapelt und auch den Garten gemeinsam umgegraben und gepflegt. Er selbst sei der einzige Erstklässler gewesen und habe deshalb die erste Klasse wiederholt, um nicht durch die acht Jahre der Einzige in der Klasse zu sein. Damit er aber tatsächlich nach acht Jahren entlassen werden konnte, habe er die fünfte und die sechste Klasse nur je halb gemacht.
Die Anfänge der Kurortentwicklung seien nicht zu erklären ohne den weitsichtigen, ehemaligen Gutshofbesitzer Hans-Hermann Rösner, einen Flüchtling aus Oberschlesien, dem der Fürst die Gutshofverwaltung anvertraut hatte.
Als der Pächter des Gasthauses Sonne verunglückte und das Gebäude frei wurde, sah Rösner darin die Chance zum Beginn einer Reha-Einrichtung. Er habe die Herrschaft Waldburg-Zeil dafür gewinnen können, und auch der Arzt Karl Sell vom Kriegsversehrtenheim in Isny wurde nach Neutrauchburg berufen.
Anfangs nur drei Reha-Zimmer
Am Anfang hätten nur drei Zimmer für Reha-Gäste zur Verfügung gestanden, Sell habe ständig gefordert, weshalb stetig gebaut und erweitert wurde. Therapieeinrichtungen und sogar ein Freibad entstanden, doch es seien auch jede Menge Schulden gemacht worden. Das Freibad war bis 14.30 Uhr für den öffentlichen Badebetrieb zugelassen, danach nur noch für die Patienten.
Das Bemühen um Reha-Gäste über Krankenkassen und Versicherungen blieb durch Jahre weitgehend erfolglos. Mitte der 1950er-Jahre sei Rösner nach Berlin bestellt worden zur Bundesversicherungsanstalt (BFA). Zurückgekommen sei er mit einem Vertrag, dass künftig 79 Betten von der BFA belegt werden, obwohl bis dahin nur 40 zur Verfügung standen. Die Leute wurden in Privatquartieren untergebracht.
Anfang der 1960er-Jahre sei die Kuranstalt Mechensee, die spätere Klinik Alpenblick gebaut worden, 1963 die Argental- und 1966 die Schwabenland-Klinik. Weil immer Personalmangel herrschte, sei Hans Bodenmüller mit einem VW-Bus auf die Höfe ringsum als „Mädchenhändler“geschickt worden, um Personal zu rekrutieren. Ab 1965 seien über die deutsche Botschaft in Spanien auch Gastarbeiterinnen angeworben worden.
In den Beiträgen im Erinnerungscafé wurde deutlich: Neutrauchburg hat sich nicht aus der eigenen Bevölkerung heraus entwickelt, sondern ausschließlich durch den Zuzug der Mitarbeiterschaft des Gutshofes, des Kinderheimes und die Entwicklung der Waldburg-Zeil-Kliniken. Die fürstliche Herrschaft hat den Mitarbeitern günstig Bauplätze zur Verfügung gestellt, sie allerdings auch dazu verpflichtet Gästezimmer in den Privathäusern einzurichten um Begleitpersonen der Kurgäste zu beherbergen.
Vor allem die akademische Mitarbeiterschaft habe sich am Leben im Dorf wenig beteiligt. Das Leben im Kurort sei bis heute wenig durch Vereine bestimmt, wurde bedauert, als vielmehr als Wohnort der ehemaligen und aktuellen Mitarbeiterschaft des großen Arbeitgebers.
Das nächste Erinnerungscafé der Städtischen Isnyer Museen dreht sich am Mittwoch, 22. Mai, ab 14.30 Uhr im großen Sitzungssaal des Isnyer Rathauses rund um die Geschichte des Stephanuswerks.