Routine beim „Jubiläums-Hochwasser“
Obere Argen erreicht maximalen Pegelstand von 2,80 Meter und bleibt im Flussbett – Entspannung am Nachmittag
120 Hilfskräfte sind im Einsatz. Lage entspannt sich am Nachmittag.
Von Bernd Treffler und Susi Weber WANGEN - Exakt ●20 Jahre nach der Naturkatastrophe an Pfingsten 1999 hat Wangen am Dienstag erneut mit einem Hochwasser zu kämpfen gehabt. Die Obere Argen verwandelte sich zwar erneut in einen reißenden Strom, sie blieb in der Kernstadt aber großteils in ihrem Flussbett. Verwaltung und Einsatzkräfte waren vorbereitet, bereits am Nachmittag zeichnete sich ab, dass sich die Lage entspannt. Eine Chronologie der Ereignisse.
Dienstag, 1.35 Uhr: Der Krisenstab aus Stadt, Polizei und Einsatzkräften trifft sich, nachdem der Pegel der Oberen Argen bei Epplings die Marke von 2,20 Meter erreicht hat und eine automatische Warnmeldung abgesetzt wurde.
2.35 Uhr: Die Pegel steigen weiter, die Stadt löst Hochwasseralarm aus. Laut Einsatzplan werden daraufhin diverse Schutzmaßnahmen umgesetzt. So werden die Durchgänge in der Stadtmauer zur Altstadt von den Einsatzkräften geschlossen. Schutzwände an den Parkplätzen beim Argencenter werden errichtet, entlang der Argen Straßen für den Verkehr gesperrt. Das Wehr bei der Isnyer Brücke wird geöffnet, der Fußgängersteg bei der Gallusbrücke angehoben. Das Bürgertelefon im Lagezentrum in der Feuerwache wird eingerichtet.
4 Uhr: Der Pegel an der Oberen Argen erreicht die Marke von 2,60 Meter – mehr als zwei Meter über normal. Insgesamt rund 2700 Sandsäcke werden abgefüllt, ein Gutteil davon wird an den Ausgabestellen der Innenstadt an die Bevölkerung ausgegeben. An der Eselmühle und am Scherrichmühlweg wird Wasser abgepumpt, weil der Zufluss Richtung Argen geschlossen werden muss.
6.15 Uhr: Der Epplingser Pegel an der Oberen Argen pendelt sich relativ konstant zwischen 2,60 und 2,75 Meter ein. Die Bevölkerung entlang der Argen wird durch Lautsprecher-Durchsagen der Polizei in regelmäßigen Abständen gewarnt. Fahrzeuge, die in hochwassergefährdeten Bereichen abgestellt waren, sollten umgeparkt werden.
8 Uhr: Der Pegel steigt nun kaum noch, um 8 Uhr liegt er bei knapp 2,80 Meter – der Höchststand, wie sich später herausstellt. Zum Vergleich: Beim Jahrhundert hochwasser vor 20 Jahren lag der Pegel bei 3,50 Meter (siehe Kasten unten ). Die Hochwasser s ich erungs maßnahmen, die seit etwa 2 Uhr laufen, werden jedoch, so meldet es die Stadt, „bis auf Weiteres gehalten“. „Wir warten jetzt die weitere Entwicklung ab“, sagte Kurt Kiedaisch vom Einsatzstab. Der Wetterdienst habe für den Dienstag noch bis zu 50 Liter Regen auf den Quadratmeter vorhergesagt. „Nun wird es darauf ankommen, ob sich Zulauf und Ablauf die Waage halten, oder ob der Zulauf durch den Regen viel mehr wird “, so der städtische Ordnung samts leiter. 8.30 Uhr: Am Argenufer ist die Lage derweil ruhig. Türen sind mit Folien und Sandsäcken abgedichtet, Fenster mit Metallprofilen, Durchgänge zur Altstadt sind mit Spundwänden abgeschottet. Einsatzkräfte der Feuerwehr stehen am Fluss „Gewehr bei Fuß“. Passanten schauen im Dauerregen fasziniert dem Wildwasser zu, in dem immer wieder mal ein größerer Ast mit hohem Tempo vorbei treibt. Eine ältere Spaziergängerin zückt beim Argenwehr ihr Smartphone: „Meine Verwandten aus Singapur wollen wissen, was da bei uns gerade los ist.“Das Wangener Hochwasser geht, wenn man so will, um die Welt.
10 Uhr: Der Epplingser Pegel der Oberen Argen bewegt sich weiter zwischen 2,70 und 2,80 Meter, auch der Pegel der Unteren Argen bei Beutelsau scheint mit 2,00 Metern seinen Höchststand erreicht zu haben. Dennoch fahren manche Wangener samt Anhänger bei den Sandsack-Abgabestellen vor. „Für meine Garage, man weiß ja nie, sicher ist sicher“, sagt einer aus dem Ebnet. Auch über das Bürgertelefon hat die Stadt im Lauf des Vormittags vermehrt Anrufe von besorgten Bürger registriert. Meist fragten die Bürgerinnen und Bürger, wie die Prognosen aussahen und womit im Lauf des Tages noch zu rechnen sein würde und ob für ihr Haus oder ihre Wohnung Gefahr bestand, teilt die Verwaltung mit.
11.45 Uhr: Die Einsatzkräfte der Feuerwehr sichern unter anderem in Hiltensweiler den Hochwasserdamm mit Sandsäcken. „Noch hält es“, sagt Maximilian Bernhard. Seit 3 Uhr ist der Holzindustrie-Unternehmer unterwegs, um den etwa zwei Kilometer langen und vor eineinhalb Jahren sanierten Damm zu sichten. „Der Biber scheint erneut über die Stirnseite in den Damm eingedrungen zu sein und hat den Damm erneut geschwächt.“Seit den frühen Morgenstunden sei der Druck auf den Damm immer größer geworden. „An manchen Stellen ist das Wasser rausgesprudelt wie Öl“, erzählt Bernhard. Für ihn gibt es aus der erneuten Hochwasserlage nur eine Konsequenz: „Der versprochene Hochwasserschutz muss schneller kommen. So geht es nicht mehr weiter. Irgendwann überschwemmt es uns komplett.“
12 Uhr: Der Wangener Einsatzstab ist nach dem mittäglichen Treffen vorsichtig optimistisch, dass sich die Hochwasserlage zumindest nicht verschlimmert. „Laut Wetterdienst gibt es bis zum Nachmittag noch 20 Liter Niederschlag, und dann haben wir Hoffnung, dass der Regen abnimmt oder ganz aufhört“, sagt Stadtsprecherin Susanne Müller. Und: „Im Moment sind alle entspannt.“Auch deshalb, weil die Einsatzkräfte von Feuerwehr, THW, DRK und DLRG sowie der städtische Bauhof mit 120 Mann in der Nacht ganze Arbeit geleistet hätten.
16 Uhr: Der Pegel der Unteren Argen bleibt bei knapp 2,00 Metern, doch der Wasserstand bei der Oberen Argen fällt bereits wieder leicht, er nähert sich langsam der 2,60 MeterMarke. Auch der Krisenstab gibt nach einer weiteren Besprechung leichte Entwarnung. „Die Lage entspannt sich weiter“, so die Stadtsprecherin. Man habe zudem verschiedene Wettermodelle überprüft, mit dem Ergebnis, dass bis Mittwochmittag durchschnittlich noch etwa 20 Liter Niederschlag zu erwarten sei. Und: Man rechnet dabei auch mit Regenpausen, was ein weiteres Sinken der Pegelstände bedeuten würde. Positive Nachrichten gibt es auch von der DLRG-Ortsgruppe, die vergleichsweise wenig Treibgut auf der Argen meldet. Alle Zeichen deuten auf eine weitere Entspannung der Hochwasserlage hin.
17.30 Uhr: Beide Argen-Pegel sind weiter auf dem Rückzug. Der Einsatzstab in der Feuerwehrwache beschließt, dass die Anzahl der Einsatzkräfte, die teilweise schon seit 2 Uhr auf den Beinen sind, reduziert wird und die Leute heimgeschickt werden. Beobachtet wird die Hochwasserlage aber weiterhin, die Sicherheitsvorrichtungen bleiben über Nacht bestehen und sollen gegebenenfalls am Mittwoch im Lauf des Tages abgebaut werden. Auch die Altstadt soll dann von Osten wieder zugänglich sein. Überrascht sei man laut Kurt Kiedaisch gewesen, dass sich vor allem bei der Oberen Argen der Pegel auf einem hohen Niveau gehalten habe. Unter dem Strich sei der Hochwassereinsatz jedoch „routiniert, aber mit dem nötigen Ernst“abgearbeitet worden: „Es hat alles gut funktioniert, wir werden aber den Einsatz auf jeden Fall nachbereiten.“Nach dem Motto: Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser.
Mehr Bilder und ein Video vom Wangener Hochwasser finden Sie unter www.schwaebische.de/ hochwasser-wg