Die Hölle im eigenen Haus
Jetske Mijnssen hat Jean-Philippe Rameaus „Hippolyte et Aricie“am Opernhaus Zürich inszeniert
ZÜRICH - Die spätbarocken Musikdramen von Jean-Philippe Rameau sind im internationalen Opernbetrieb lange Zeit vernachlässigt worden. Die niederländische Regisseurin Jetske Mijnssen hat nun am Opernhaus Zürich eine subtile Inszenierung von Rameaus Erstling „Hippolyte et Aricie“erarbeitet. Unter der französischen Dirigentin Emmanuelle Haim gelingt eine pralle musikalische Darbietung mit großen Momenten vokaler und orchestraler Theatralik. Auch Rokoko-Kostümpracht, brillante Tanzkunst und fantastische Masken begeistern.
Als „Hippolyte et Aricie“1733 in Paris zum ersten Mal präsentiert wurde, war Rameau bereits 50 Jahre alt. Später hat er die fünfaktige Tragédie en musique noch zweimal überarbeitet. In Zürich wird eine Mischfassung dieser drei Versionen gespielt. Das Libretto von Simon-Joseph Pellegrin basiert auf Jean Racines Schauspiel „Phèdre“unter Einbeziehung antiker Vorlagen von Euripides und Seneca. Erzählt wird von schicksalhaften Verstrickungen am Hof des Königs Thésée.
Dessen Frau Phèdre hat es auf ihren Stiefsohn Hippolyte abgesehen. Als sie ihn beim Techtelmechtel mit Aricie erwischt, verdonnert sie die junge Frau zu Keuschheit im Dienste der Jagdgöttin Diana. Währenddessen steigt ihr Mann hinab in die Unterwelt, um seinen dort festgehaltenen Freund Perithous zu befreien. Die Nachricht von Thésées Tod macht Phèdre Mut. Sie gesteht Hippolyte ihre Liebe, wird aber zurückgewiesen. Selbst mit dem Angebot der Königskrone kann sie ihn nicht für sich gewinnen.
Da Phèdre sich nun erstechen will, versucht Hippolyte, ihr das Messer zu entwinden. Just in dieser verfänglichen Situation kommt Thésée zurück. Phèdres Vertraute Oenone beschuldigt Hippolyte der versuchten Vergewaltigung. Thésée kämpft gegen seine Vaterliebe und beschließt, den vermeintlichen Frevler zu bestrafen.
Bizarres Gruselkabinett
In Zürich spielt diese Geschichte auf Ben Baurs Drehbühne in und außerhalb von einem klassizistischen Rundbau. Zu Beginn tafelt dort die von Gideon Davey historisch eingekleidete Königsfamilie. Drei bärtige Aufpasser in schwarzen Soutanen stehen dabei, falten betend die Hände und wachen wie eine religiöse Security Crew über Tugend und Sitten. Es sind Rameaus männliche Parzen. Angst und Schrecken herrschen an diesem Hof, wo das Überbringen einer schlechten Nachricht schon ein Wagnis ist.
Indessen muss Thésée in der von Franck Evin düster beleuchteten Unterwelt auf Tänzerhänden ein gefährliches Crowdsurfing absolvieren. Plutos Rabenvögel führen mit gespenstischen Schnäbeln, Krallen und schwarzer Rokoko-Kleidung ein bizarres Gruselballett auf. Perithous’ geschundener Körper wird dabei vom athletischen Davidson Hegglin Farias großartig zum Leben erweckt (Choreografie: Kinsun Chan).
Mélissa Petit, die im Sommer auf der Bregenzer Seebühne als Gilda in Verdis „Rigoletto“auftritt, leiht Aricie ihren volltönenden Sopran. Als resolute Rivalin Phèdre steigert sich Stéphanie d’Oustrac mit heroinenhafter Mezzo-Stimme in wütende Exaltiertheiten. Cyrille Dubois gibt Hippolytes Trauer tenorkräftigen Ausdruck. Geschmeidig deklamierend beeindruckt der Bariton Edwin Crossley-Mercier als Schmerzensmann Thésée. Auch der von Janko Kastelic einstudierte Chor punktet.
Haim animiert das hochgfahrene Orchester „La Scintilla“mit energischen Gesten zu kräftigem Originalklang, der dem Gesang festen Grund bietet. Rameaus feinsinnige Partitur erstrahlt in all ihrem Farbenreichtum und rhythmischem Schwung. Als am Ende Hippolyte im Ornat herbeischreitet, erlebt Aricie einen kurzen glücklichen Augenblick. Bald aber lässt der Märchenprinz sie stehen und schreitet auf den Thron zu. Aricie wähnt sich im falschen Film, doch dann weint sie bitterlich. Strenge Repäsentationspflichten rufen.
Weitere Vorstellungen: 22., 24. und 30. Mai, 2., 7. und 14. Juni; Information und Karten unter: