Ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union
Politikwissenschaftler Ulrich Eith spricht vor 60 Besuchern über die Europäische Integration
WANGEN - Ist „Europa am Ende“? Ulrich Eith, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg, vermittelte am Montagabend in der Aula des Rupert-Ness-Gymnasiums Hintergründe über die Europäische Union. Dem Beklagen eines schrittweisen Verlustes nationaler Eigenständigkeit und einer zu großen Regelungswut der EU-Beamten setzte Eith mit dem Verweis auf Frieden und Demokratie ein klares Bekenntnis zu Europa entgegen.
Am Sonntag ist Wahltag. Dass neben den Ortschaftsräten, dem Gemeinderat und Kreistag auch das Europäische Parlament neu gewählt wird, rückt seit einigen Wochen mehr und mehr ins Bewusstsein. Nicht zuletzt durch die Geschehnisse in Großbritannien und ganz aktuell in Österreich wird diese Wahl von vielen der insgesamt 400 Millionen wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger wohl zum ersten Mal als wirklich wichtig eingeschätzt.
Der Vortrag am Montag, eine Kooperation der Wangener Volkshochschule und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und von SZRedaktionsleiter Jan Peter Steppat moderiert, brachte eine Fülle von wichtigen Informationen. Professor Ulrich Eith verstand es, „Motive, Problemfelder und Perspektiven der Europäischen Integration“so lebendig aufzuzeigen, dass alle Zuhörer davon profitieren konnten. Und das, ob sie nun die Zeit „von der Montanunion über die Zollunion bis zum Beitritt Kroatiens“selbst miterlebt haben oder nicht.
Elsass als europäisches Beispiel
Ulrich Eith machte zunächst am Beispiel „Elsass“die wechselvolle Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich deutlich. Nach vielen kriegerischen Ereignissen und dem Bruch des 1919 geschlossenen „Versailler Friedensvertrages“durch die nationalsozialistische Regierung sei bei den deutschen Nachbarn der Wunsch nach einem „nicht ständig von Deutschen dominierten Europa“entstanden.
Nicht erst seit damals wisse man, „dass Demokratie anstrengend und mühsam ist“. Aber wenn man etwas zusammen machen wolle, dann müsse man sich über die Erwartungen, Befürchtungen und über das Bild vom anderen klar werden. Die unterschiedlichen Vorstellungen seien hier letztendlich in einen „volkswirtschaftlichen Weg“gemündet, „der transparent war und den Frieden gesichert hat“. Ulrich Eith fasste diesen Weg mit „Schutz für und Schutz vor Deutschland“zusammen.
Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt, Francois Mitterrand und Helmut Kohl – sie haben Gesten des Miteinanders gezeigt. Doch der Politikwissenschaftler zeigte sich überzeugt davon, dass es für eine Integration nicht nur Personen, sondern auch Symbole bedürfe. Und er führte die Europastadt Straßburg als Sitz des europäischen Parlaments mit seinen seit 1979 direkt gewählten Abgeordneten an und erklärte: „Das Haus bedient sich keiner Verfassung, sondern Verträgen, die von allen unterschrieben werden. Man kann sich stets auf sie berufen.“
Anhand von Skalen konnten die Besucher wichtige Forschungsergebnisse ablesen. So sieht die deutsche Bevölkerung mit 55 Prozent eher Vorteile in der EU-Mitgliedschaft, zehn Prozent eher Nachteile. Bei 32 Prozent halten sich Vor- und Nachteile die Waage. Für die Mehrheit der Befragten stehen Frieden, Demokratie, Menschenrechte, Wohlstand und Völkerverständigung ganz oben auf der „EU-Werteskala“. Zusammengenommen 66 Prozent wollen einen engeren Zusammenschluss der 28 Mitgliedsländer, wobei allein die Anhänger der AfD sich mit 58 Prozent für die Eigenständigkeit aussprechen.
Ein wichtiges Thema sind bei vielen Diskussionen immer wieder die Finanzen. Unter der Überschrift „Ist die EU zu teuer?“machte der Experte eine Rechnung auf: Der Haushalt der EU betrug 2017 bei 512 Millionen Einwohner rund 137 Milliarden Euro. Davon gingen 94 Prozent zurück an die Bürger, die Regionen und Kommunen, an die Landwirte und Unternehmen. Sechs Prozent wurden für Verwaltungskosten aufgewendet. Interessant auch der Blick auf den deutschen Export. Die 68,2 Prozent der Güter für Europa teilten sich 2017 in „EU gesamt“mit 58,6 Prozent und der Eurozone mit 36,8 Prozent auf. Nach Asien gingen 16,6 Prozent und nach Amerika 12,1 Prozent. „Da kommt unser Wohlstand her“, sagte Eith und wandte sich in einem nächsten Schritt den Verfahrensund Entscheidungsprozessen der Europäischen Union zu.
Dass die Konflikte auf dem „Verhandlungsweg“gelöst werden, ist für den Professor der Beweis dafür, dass die EU „weltweit Beachtung als Vorbild für regionale Zusammenarbeit und als Modell für Politik im 21. Jahrhundert“darstellt. Und die hier praktizierte Demokratie nennt Eith auf der Seite „Beteiligung“die Legitimation für die politische Macht, die Entscheidungsfindung sowie die Mehrheitsmeinung, auf der Seite „Rechtsstaat“die Begrenzung genau dieser politischen Macht, zudem die Sicherung der Freiheit und den Minderheitenschutz. Viktor Orbán, der Ministerpräsident Ungarns, stellt für Ulrich Eith das „Problem Rechtsstaatlichkeit“dar und verkörpert damit eine „illiberale Demokratie“. Weitere Probleme sieht er im Hinblick auf die Flüchtlings- und Asylfrage und die Forderung von Frankreichs Präsident Macron, die EU „neu zu gründen“. Die „deutsche Dominanz“nannte Eith ein „heikles Thema“.
Auf Fragen aus dem Publikum gab der Redner seine Einschätzungen preis: Auch wenn die Britten jetzt wählen und dann ausscheiden, wird es keine Neuwahlen geben. Anforderungen an Normen sollten möglichst im eigenen Land geklärt werden. Auch in Zukunft wird man mit Rechtspopulismus zwischen zehn und 15 Prozent rechnen müssen. Und mit Erdogan wird es keine Aufnahme der Türkei in die EU geben.
Zusammenfassend sang Professor Ulrich Eith das hohe Lied auf die Demokratie und definierte sie so: „Die Demokratie gibt es nicht ohne Engagement. Sie steht für die Freiheit, sein Leben selbstbestimmt zu leben.“Wie Eith aber ebenso unmissverständlich sagte: „Der Sozialstaat gehört zur Demokratie dazu. Die Frage ist, ob wir bereit sind, unseren Wohlstand mit den ärmeren Ländern zu teilen.“