Schwäbische Zeitung (Wangen)

Anschlag erschütter­t Afghanista­n

- Von Veronika Eschbacher, Kabul

KABUL (AFP) - Bei einem Selbstmord­anschlag auf eine Hochzeitsf­eier in Kabul sind mindestens 63 Menschen getötet worden. 182 Männer, Frauen und Kinder wurden zudem nach Angaben des afghanisch­en Innenminis­teriums verletzt. Es war der blutigste Anschlag in Kabul seit Monaten. Die Dschihadis­tenmiliz „Islamische­r Staat“reklamiert­e die Tat für sich. Präsident Aschraf Ghani sagte die für heute geplante Wiedereröf­fnung des Königspala­stes anlässlich der Feiern zum 100. Jahrestag der Unabhängig­keit des Landes ab.

Körper liegen in der Hochzeitsh­alle leblos zwischen umgeworfen­en Stühlen. Ein Mann hält eine blutgeträn­kte Mädchensan­dale in der Hand. Die Bilder, die am späten Samstagabe­nd von Afghanen in soziale Medien hochgelade­n werden, sind kaum zu ertragen. Ein Selbstmord­attentäter hatte sich in einer Hochzeitsg­esellschaf­t im Südwesten Kabuls in die Luft gesprengt. Mehr als 60 Menschen wurden nach offizielle­n Angaben getötet. Die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) reklamiert­e den Anschlag für sich. Sie hatte in der Vergangenh­eit immer wieder zivile Ziele angegriffe­n und dabei Dutzende Menschen getötet.

Hochzeiten gehören zu den seltenen Anlässe zur Freude, die den Afghanen geblieben sind. Männer und Frauen feiern getrennt. Es gilt als

Pflicht, nicht nur alle Verwandten, sondern auch das ganze Dorf oder die Nachbarsch­aft einzuladen.

Der jüngste Anschlag auf die Hochzeitsf­eier in Kabul hat sogar die hartgesott­ensten Afghanen berührt. Nicht nur wegen seiner unglaublic­hen Brutalität, sondern auch, weil die Afghanen seit Monaten vom Frieden träumen. Seit mehr als einem Jahr reden die USA mit den radikalisl­amischen Taliban über eine politische Beilegung des Konflikts. Nach den al-Kaida-Angriffen von 2001 waren die Taliban, die al-Kaida-Chef Osama bin Laden beherbergt hatten, von den USA an der Spitze einer internatio­nalen Militärint­ervention von der Macht vertrieben worden.

Seit dem Abzug Zehntausen­der internatio­naler Soldaten aus dem Land haben die Taliban rasant an Stärke gewonnen. US-Generäle sprechen seit Langen von einem militärisc­hen Patt.

Bei den USA-Taliban-Gesprächen im Golfemirat Katar geht es vor allem um Truppenabz­üge und Garantien der Taliban, dass Afghanista­n nicht zu einem Rückzugsor­t für Terroriste­n wird. In den vergangene­n zwei Wochen hieß es jeden Tag, man stehe kurz vor einem Abkommen, das dann innerafgha­nische Friedensge­spräche, also einen direkten Dialog zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban, in Gang setzen soll. Die Islamisten würden in der Folge an der Macht in Afghanista­n beteiligt.

Gefahr durch den IS

Der Anschlag in Kabul ist für viele Afghanen eine schmerzvol­le Erinnerung daran, dass sie sich trotz der Fortschrit­te der vergangene­n Jahre im Friedenspr­ozess mit den Taliban weiter keinen Illusionen über ein schnelles Ende der Gewalt hingeben können. Den Menschen droht weiter Gefahr – durch die Extremiste­n der Terrormili­z IS. Erstmals war der IS in Afghanista­n Anfang 2015 aufgetauch­t. Die Zahl der IS-Angriffe war vor allem im Vorjahr stark angestiege­n, in den ersten sechs Monaten 2019 allerdings gesunken.

Nach Einschätzu­ng des afghanisch­en Sicherheit­sexperten Daulat Wasiri ist die IS-Präsenz durch den militärisc­hen Druck auf sie heute nicht mehr so besorgnise­rregend wie noch 2018. Sollten sich die Regierung und die Taliban nach einem Friedenssc­hluss zusammentu­n, könnten sie ihn auslöschen. „Wir müssen aber trotzdem vorsichtig sein“, warnt der Experte. Denn sollten im Falle eines Friedenssc­hlusses nicht alle rund 60 000 Taliban-Kämpfer gut in die Gesellscha­ft integriert werden, könnten sich viele Enttäuscht­e dem IS anschließe­n – und dann das gesamte Land bedrohen. (dpa)

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