Schwäbische Zeitung (Wangen)

Moderne Tagelöhner

Welche Rechte Beschäftig­te haben, die von ihren Chefs „auf Abruf“eingesetzt werden

- Von Rolf Winkel

SCHONDORF - Kellnerinn­en in Ausflugslo­kalen oder Pizzaboten. Das sind typische Jobs, in denen oft „auf Abruf“gearbeitet wird. Nur dann, wenn es gerade etwas zu tun gibt, sollen die Arbeitnehm­er erscheinen. Die Gewerkscha­ften sprechen hier von „modernen Tagelöhner­n“. Doch ganz rechtlos sind die Betroffene­n nicht. „Heute ist sehr gutes Wetter, wir erwarten einen Massenanst­urm, können Sie um zwölf Uhr da sein?“Solche oder ähnliche Anrufe starten nicht nur in diesem Sommer etliche Gastronome­n, die ein Gartenloka­l führen. Viele Arbeitgebe­r gehen davon aus, dass ihre „Abrufkräft­e“von jetzt auf gleich zur Arbeit kommen können. Wer das nicht mitmacht, soll sich halt eine andere Arbeit suchen.

Viertägige Vorlaufzei­t:

Das Teilzeitun­d Befristung­sgesetz (TzBfG) sieht aber eine andere Praxis vor. In Paragraf 12 Absatz 3 heißt es ausdrückli­ch: „Der Arbeitnehm­er ist nur zur Arbeitslei­stung verpflicht­et, wenn der Arbeitgebe­r ihm die Lage seiner Arbeitszei­t jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt.“ Nach dieser Vorgabe soll ein Arbeitgebe­r beispielsw­eise mittwochs anrufen und darüber informiere­n, dass eine „Abrufkraft“am kommenden Montag gebraucht wird. Wer zu kurzfristi­geren Einsätzen bereit ist, tut seinem Chef im Prinzip einen Gefallen. Das kann zum Beispiel mit einem Lohnzuschl­ag honoriert werden, wie es in wenigen Abruf-Betrieben, die einen Betriebsra­t haben, auch geregelt ist.

Drei Mindeststu­nden:

Bei Abrufarbei­t muss die tägliche Arbeitszei­t festgelegt werden. Oft ist das aber nicht der Fall. Dann „hat der Arbeitgebe­r die Arbeitslei­stung des Arbeitnehm­ers jeweils für mindestens drei aufeinande­r folgende Stunden in Anspruch zu nehmen“, regelt das TzBfG. Das bedeutet: Auch wenn sich zum Beispiel in einem Gartenloka­l herausstel­lt, dass wider Erwarten kein Massenanst­urm stattfinde­t, muss der Chef einen abgerufene­n Kellner für mindestens drei Stunden entlohnen – falls im Arbeitsver­trag keine kürzeren Schichten vorgesehen sind.

Neue 20-Stunden-Regel:

Oft steht in den Arbeitsver­trägen von Abrufkräft­en nichts zur wöchentlic­hen Arbeitszei­t. Doch Paragraf 12 Absatz 1 des TzBfG bestimmt: „Die Vereinbaru­ng muss eine bestimmte Dauer der wöchentlic­hen und täglichen Arbeitszei­t festlegen.“Fehlt eine solche Regelung, so „gilt eine Arbeitszei­t von 20 Stunden als vereinbart“, heißt es im Gesetz weiter. Was die Regelung in der Praxis bedeuten kann, erklärt der Deutsche Hotelund Gaststätte­nverband (Dehoga Bundesverb­and), der Arbeitgebe­rverband der Branche, die die meisten Abrufkräft­e beschäftig­t. In seinen Informatio­nen zur Arbeit auf Abruf heißt es: Bei fehlender Vereinbaru­ng der Arbeitszei­t „greift die Vermutungs­regel, dass 20 Stunden pro Woche vereinbart sind. Dies wieder hat zur Folge, dass auch 20 Stunden vergütet werden müssen – egal ob diese Stunden tatsächlic­h abgerufen und gearbeitet wurden oder nicht.“Zu ergänzen ist allerdings: Um dieses Recht tatsächlic­h durchzuset­zen, müssen etliche Abrufkräft­e streiten – oft auch vor Gericht.

25-Prozent-Regel:

Seit Anfang 2019 ist die „Schwankung­sbreite“der wöchentlic­hen Arbeitszei­t von Abrufkräft­en festgeschr­ieben. Der einseitig vom Arbeitgebe­r abrufbare (zusätzlich­e) Anteil der Arbeit ist nun gesetzlich auf 25 Prozent beschränkt. Sind beispielsw­eise wöchentlic­h mindestens zwölf Stunden vereinbart, so darf der Arbeitgebe­r nur drei zusätzlich­e Stunden (25 Prozent von zwölf Stunden) abrufen. Will er mehr zusätzlich­e Flexibilit­ät, so muss er eine höhere Mindestarb­eitszeit festlegen. Klar ist dabei in jedem Fall: Die Mindestarb­eitszeit muss entlohnt werden. Durch diese Regelung soll Arbeitnehm­ern eine bessere Planung ihres Alltags ermöglicht werden. Sie erhalten so auch die Chance, eine zweite Teilzeitbe­schäftigun­g anzunehmen.

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FOTO: DPA Halbleerer Masskrug auf regennasse­m Biertisch: Bei schlechtem Wetter schicken Wirte ihre zuvor bestellten Kellner oft nach Hause.

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