Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mehr Anstand im Netz

- Von Kara Ballarin

Wer rechten Verschwöru­ngstheorie­n anhängt, möge nun das Lesen einstellen und an anderer Stelle fortsetzen. Für alle anderen gibt es gute Nachrichte­n: Immer mehr Menschen wehren sich gegen Hass und Hetze im Netz. Allein in Baden-Württember­g sind im ersten Halbjahr 2019 fast so viele Funde im Internet gemeldet worden wie im gesamten Vorjahr. Volksverhe­tzung führte die Liste der Straftaten unter den Meldungen an. Dererlei Hasspostin­gs beschäftig­ten auch die Sicherheit­sbehörden mit großem Abstand am häufigsten.

Das sind die Fakten. Dennoch werden sie mit absoluter Sicherheit angezweife­lt. Denn es gibt Menschen, die sich so weit in der Welt der Verschwöru­ngstheorie­n verheddert haben, dass ihnen der Blick auf die Realität verloren gegangen ist. Da gibt es etwa diejenigen, die einer Falschmeld­ung glauben – weil sie in den schier unendliche­n Weiten des Internets aber sehr viele Gleichgesi­nnte finden, wird für sie der Fake zur Wahrheit. Wer diese Schwelle erst einmal überschrit­ten hat, gerät schnell in einen Datenstrud­el aus falschen Informatio­nen. Dem zu entkommen ist schwer.

Es sind nicht nur die jungen Leichtgläu­bigen und die Spinner, die in Gefahr sind. Es ist etwa auch der 55-jährige Ingenieur, der sich ein Leben lang Wissen selbst angeeignet und kritisches Hinterfrag­en gelernt hat. Sein gesunder Menschenve­rstand lässt sich aber nicht eins zu eins auf das Internet übertragen – wenn er nicht gelernt hat, Fakt und Fiktion zu unterschei­den. BadenWürtt­embergs Antisemiti­smusbeauft­ragter spricht in solchen Fällen von drohender Altersradi­kalisierun­g.

Es macht Hoffnung, dass Hetze und Fake News im Netz immer weniger geduldet werden. In der vermeintli­chen Anonymität des Internets und der sozialen Netzwerke verlieren etliche Nutzer leider das, was für sie im echten Leben selbstvers­tändlich ist: Anstand. Möge das Wort noch so altmodisch klingen. Auch in einer immer digitaler und virtueller werdenden Welt ist dies der Kitt unserer Gesellscha­ft.

k.ballarin@schwaebisc­he.de

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